Videostreaming-Dienst Netflix: Einblick in das neue Empfehlungssystem

Zum Start in 130 weitere Ländern hat der Video-on-Demand-Dienst seinen Algorithmus überarbeitet, der jedem Kunden zielgenau die zu seinem Geschmack passenden Inhalte präsentieren soll.

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Netflix gewährt Einblick in neues Empfehlungssystem

(Bild: dpa, Britta Pedersen)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nico Jurran
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Von "dem" Zuschauergeschmack wollte man bei Netflix noch nie etwas wissen. Stattdessen setzte der Video-on-Demand-Dienst stets auf Personalisierungsalgorithmen, die jedem Kunden zielgenau die zu ihm passenden Inhalte empfehlen sollen.

Doch das bisherige System stieß an seine Grenzen, als Netflix den Anfang Januar erfolgten Start in 130 weitere Länder in Angriff nahm. Daher wurde im vergangenem Jahr ein komplett neuer Nachfolger entwickelt, zu dem der für Poduktinnovationen zuständige Vizepräsident Carlos Gomez Uribe nun heise online in einem Interview konkrete Details verriet.

Das Grundprinzip hat sich nicht geändert: Bei den Vorschlägen orientiert sich der Dienst weiterhin weder am Alter des Zuschauers noch an dessen Geschlecht. Als beste Indikator gilt vielmehr, was der Kunde zuvor angeschaut hat – und wie er das betreffende Video bewertet. Bei der Einrichtung eines Kundenkontos frage der Dienst daher zunächst Lieblingsfilme und -serien ab. Über Vergleiche der Kunden untereinander ließen sich laut Netflix dann sehr präzise Empfehlungen aussprechen.

Netflix neue Empfehlungsalgorithmen bilden globale Nutzergruppen nach verschiedenen Vorlieben, wie beispielsweise japanische Zeichentrickfilme.

(Bild: Netflix)

Doch damit ergab sich bislang ein großes Problem: Beim Kaltstart in einem neuen Land fehlt komplett die Datenbasis, die Algorithmen können nicht anspringen. Netflix setzt daher beispielsweise bei Deutschlandstart zunächst auf Erfahrung – und wohl auch auf deutsche Angestellte, die die Datenbank mit ihren Empfehlungen füttern.

Dieses Problem gibt es beim neuen System nicht mehr, da es mit länderübergreifende Kundengruppen zu jedem nur erdenklichen Interessensgebiet arbeitet. Uribe führt als Beispiel gerne Animes auf, deren Fans über die ganze Welt verteilt sind. Tatsächlich leben weniger als 10 Prozent der Netflix-Nutzer, die die japanischen Zeichentrickfilme mögen, tatsächlich in Japan. Netflix führt nun die Daten aller Anhänger zusammen, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Und so funktioniere das Empfehlungssystem schon beim ersten Anime-Fan in einem von Netflix neu erschlossenen Land.

Aber auch Kunden in Ländern mit vielen Nutzern, die einen weit verbreiteten Filmgeschmack haben, profitieren laut Uribe von der neuen Herangehensweise: So würden Nutzer aus kleineren Ländern oftmals dafür sorgen, dass Perlen eines Genres zum Vorschein kommen, die im Mainstream andernfalls schnell untergingen.

Trotz des generellen Ansatzes, Daten eher länderübergreifend zu analysieren, dürften zudem weiterhin länder- und regionsspezifische Tendenzen nicht außer Acht gelassen werden. So kämen Bollywood-Produktionen nun einmal in Indien allgemein besser beim Publikum an als in Argentinien. Insofern gelte es, den Inhaltemix in gewissem Rahmen anzupassen.

Vor allem Kunden, die keinen "Massengeschmack" haben, sollen vom neuem Empfehlungssystem profitieren. Dazu gehören in vielen Ländern laut Netflix Nutzer, die sich für Dokumentationen rund um das Thema Essen interessieren.

(Bild: Netflix)

Am Ende spiele der persönliche Geschmack im direkten Vergleich aber die größere Rolle: Für Liebhaber von Science-Fiction-Filmen sei ein Fan des Genres auf der anderen Seite schließlich ein besserer Ratgeber als der Nachbar, der auf Dokumentationen über Essen steht.

Eine große Herausforderung ist nach Angaben des Netflix-Vizepräsidenten weiterhin, dass aufgrund unterschiedlicher Lizenzvereinbarungen nicht alle Titel in jedem Land verfügbar sind. So bietet Netflix beispielsweise den Science-Fiction-Film "Equilibrium" in den USA an, nicht jedoch in Frankreich – während es bei "The Matrix" genau umgekehrt ist. Solche Lücken im Katalog muss der Algorithmus beachten, damit diese nicht zu ungewollten Ergebnissen führen. Als Grundlage griff Netflix nach eigenen Angaben dabei unter anderem auf Konzepte aus J. L. Schafers Werk "Analysis of Incomplete Multivariate Data" zurück.

Bei der Suche nach Titeln stellen laut Uribe vor allem manche Sprachen eine große Herausforderung dar – gerade im asiatischen Raum. So seien etwa beim koreanische Alphabet (Hangul), wo Silben aus individuellen Buchstaben gebildet werden, die Eingaben aufgrund der vielen Kombinationsmöglichkeiten eine zeitraubende Angelegenheit. Hier arbeite man daran, künftig effizientere Eingabemethoden zu entwickeln. Aktuell unterstützt Netflix nach eigenen Angaben Videos in 21 Sprachen.

Zum Abschluss betonte Uribe, dass man den neuen Algorithmen natürlich nicht blind vertraue. Daher seien auch bereits vor dem Start über 20 Tests durchgeführt worden. Und auch nach dem Start werte man ständig aus, ob die Kunden die vorgeschlagenen Videos auch tatsächlich anschauen und wie sie diese danach bewerten.

Alles in allem sei Netflix mit den neuen Algorithmen aber sehr zufrieden – nicht zuletzt auch, weil diese wesentlich einfacher mit neuen Funktionen zentral erweitert werden könne. Vorher mussten die Programmierer des Dienstes an dem Empfehlungssystem jedes einzelnen Landes herumschrauben. Aktuell stünde laut Uribe beispielsweise zur Diskussion, ob künftig stärker beachten werden soll, wenn ein Kunde die Originalfassung eines Films gegenüber der Synchronfassung bevorzugt.

Siehe dazu auch:

Netflix (12 Bilder)

Einfahrt der Netflix-Zentrale im kalifornischen Los Gatos
(Bild: Netflix)

(nij)