Post aus Japan: Sprechen mit dem Finger und andere Ideen

Firmenmessen in Nippon sind die heimlichen Favoriten eines Wissenschaftsjournalisten. Denn hier dürfen junge Forscher ihren Geist in Gebiete vordringen lassen, die zuvor vielleicht noch nie ein Mensch bedacht hat.

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Von
  • Martin Kölling

Firmenmessen in Nippon sind die heimlichen Favoriten eines Wissenschaftsjournalisten. Denn hier dürfen junge Forscher ihren Geist in Gebiete vordringen lassen, die zuvor vielleicht noch nie ein Mensch bedacht hat.

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.

Firmenmessen in Japan sind für mich immer wieder ein Quell der Inspiration. Denn auf ihnen erlebe ich – bei aller Anpassung an den kapitalrationalen Zeitgeist – noch immer das traditionelle japanische Innovationsmodell, viele Ideen in die Luft zu werfen, um zu sehen, welche fliegt. Und dabei finde ich immer wieder Lösungen für Probleme, die mir noch gar nicht bewusst waren. Denn so restriktiv die Arbeitskultur japanischer Konzerne auch erscheint, sie erlaubt ihren Ingenieuren mitunter kreative Ausflüge.

Diese Woche war ich auf der Messe von Mitsubishi Electric, einer jener großen japanischen Technikkonzerne, die im Ausland kaum jemand kennt. Die Firma ist für mich besonders reizvoll, weil sie sehr breit aufgestellt ist. Auf der Messe kann ich somit in eineinhalb Stunden einen kurzen Einblick in viele verschiedene Gebiete gewinnen.

Mit anderen Fahrstuhlherstellern wetteifert Mitsubishi Electric um die schnellsten Lifte der Welt. Das Unternehmen baut Satelliten fürs Weltall, Mobilnetzanlagen der fünften Generation für die Erde und Klimaanlagen für den Heimbedarf. Auch als Softwareschmiede wirbt es um Kunden mit schnell arbeitenden, hochkomprimierten oder kontextuell durchsuchbaren verschlüsselten Datenbanken. Außerdem mischt es als Autozulieferer mit, besonders im boomenden Segment des autonomen Fahrens.

Auch diese Woche wurde ich nicht enttäuscht. Eine der nettesten Ideen war eine multifunktionale Tablet-App für die Spracherkennung, Text- und Notizverarbeitung, Übersetzung und die gemeinsame Eingabe von Inhalten in amtliche Formulare.

Der erste Clou des Systems ist die Funktionsweise von Spracherkennung und Textausgabe. Die Spracherkennung dauert so lange an, wie man mit einem Finger auf den Bildschirm drückt. Dabei kann man allerdings den Finger auch gerade oder in Wellenform über das Display ziehen. Es entsteht ein blauer Schweif, in dem der Text ausgegeben wird. Diesen Text kann man dann im Stück verschieben.

Idee 2: Der Nutzer kann vorher eine Karte aufs Display zeichnen, mit einem Fingerschweif die Wegmarken verbal-textlich benennen und dann mit anderen Nutzern teilen.

Idee 3: Zusätzlich gibt es eine Splitscreen-Funktion mit Übersetzungsmodus, die das auf der einen Seite Gezeichnete und Geschriebene einmal gespiegelt und vor allem übersetzt darstellt. Wenn der Japaner beispielsweise Konnichiwa mit dem Finger "aufs Display spricht", erscheint auf der anderen Seite des Bildschirms Guten Tag (so denn Deutsch als zweite Sprache gewählt wurde).

Idee 4: Ein Beamter kann einem Ausländer oder schlecht hörendem Japaner am Splitscreen dabei behilflich sein, Formulare korrekt auszufüllen.

All das fand ich sehr interessant als Information für Touristen, Taxifahrer, Arztpraxen und vielleicht auch für den Heimbedarf. Allerdings frage ich mich, wie sehr sich unsere handschriftlichen Fähigkeiten noch weiter verschlechtern, wenn unsere laut geäußerten Gedanken quasi von selbst aus dem Finger aufs digitale Papier fließen.

Eine andere nette Idee ist das "luftige Display" (Aerial Display). Die Ingenieure nutzen die Kombination aus zweidimensionaler und holographischer Projektion, um Bilder, Informationstafeln oder Richtungsanzeigen frei im Raum schweben zu lassen. Damit der Mensch den Sinn für Entfernung und Dimension nicht verliert, wird das Hologramm allerdings seitlich von 2D-Bildern eingerahmt, die nahtlos in die luftige Darstellung übergehen.

Hilfreich bei neuen Tsunami-Katastrophen könnte eine Seewasser-Antenne sein. Dabei speit eine Pumpe einen Wasserstrahl in Parabelform in die Luft, der dann als Sender oder Empfänger von Radiowellen fungieren kann. Das funktioniert, weil Meerwasser leitfähig ist. Die Leitfähigkeit reicht zwar bei weitem nicht an Kupfer heran. Allerdings soll die Wirksamkeit der flüssigen Antennen 70 Prozent herkömmlicher Antennen betragen.

Besonders in Küstengebieten, in denen ein Erdbeben und ein Tsunami die Infrastruktur vernichtet haben, kann man dann mit einem relativ einfachen Pumpsystem rasch wieder Radio- und TV-Empfang herstellen.

Eine Fingerübung junger Designer ist mir ganz besonders ans Herz gewachsen. Sie haben einen mit Solarzellen geladenen elektrischen Kühlbottich für Fischer in tropischen Entwicklungsländern entwickelt. Zudem ist er so dimensioniert und gestaltet, dass er sich auf einem der dort üblichen Lastenmotorräder befestigen lässt.

Mithilfe des Bottichs müssten die Fischer nicht mehr wie bisher mit Eis kühlen. Und auch sonst scheint das Verfahren effizienter für den Fischvertrieb zu sein. In einem Test in Indonesien wollen die Ingenieure ermittelt haben, dass die Verwendung der japanischen Idee den Umsatz der Fischer um fünfzig Prozent steigern konnte.

Darüber hinaus beschäftigen sich die Japaner schon mit der Datensicherheit in der Epoche nach der Smartphone-Ära, jener Zeit nach 2030. In dieser Zukunft werden nicht nur immer weitere Teile von Arbeit und Leben vernetzt sein. Außerdem erwarten die Japaner, dass Roboter mit uns das Leben und damit selbst unsere bisher geheimsten Daten und Wünsche teilen werden.

Die Ingenieure spinnen den Alltag noch ein Stück weiter: Sie erwarten beispielsweise den Down- wie Upload von Gedanken aus und in das Gehirn. Das ist beunruhigend – einerseits. Doch andererseits finde ich es zugleich beruhigend, dass sich jemand mit dieser Idee auseinandersetzt. Denn diese intimen Informationen möchten wir Menschen vielleicht auch nicht frei mit unserer Umwelt und vor allem nicht mit Regierungen und Konzernen teilen. ()