Frisch aus dem Netz

Vom Apfel bis zum Rindersteak – immer mehr Unternehmen bieten Lebensmittel im Internet an. Sie übertragen ihr bisheriges Angebot eins zu eins ins Web. Genau das könnte ihr Fehler sein.

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Von
  • Susanne Donner

Vom Apfel bis zum Rindersteak – immer mehr Unternehmen bieten Lebensmittel im Internet an. Sie übertragen ihr bisheriges Angebot eins zu eins ins Web. Genau das könnte ihr Fehler sein.

Gewohnheiten gehorchen ihren ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten. Bücher, Schuhe, ja sogar Computer kaufen wir ohne zu zögern im Internet. Aber Äpfel, Brot und Kaffee? Da gehen wir noch immer ganz konventionell in den Supermarkt. Dabei kann man inzwischen auch Lebensmittel per Mausklick ordern.

"Die nächste große Welle im E-Commerce betrifft Drogerieprodukte, Baumarktartikel und Lebensmittel", glaubt Axel Jahn, Geschäftsführer des auf Internethandel spezialisierten Dienstleisters Netpioneer in Karlsruhe. Bisher werden hierzulande nur rund ein Prozent aller Umsätze im Lebensmittelsektor im Internet erzielt. Doch tatsächlich lässt sich beobachten, dass immer mehr Einzelhändler ihr Geschäft im Netz suchen.

Allen voran liefert Rewe neuerdings in etwa 70 deutschen Großstädten nach Hause, wenn der Kunde online eingekauft hat. Die Metro-Tochter Real bringt den Wocheneinkauf in Berlin, Köln/Bonn und Hannover zum Kunden. Aldi erprobt den Onlinehandel zurzeit in Großbritannien. Und Edeka plant den Verkauf im Internet von 2016 an. Die Kaufleute treibt vor allem die Angst vor einem großen Player an: Gerüchteweise soll der in den USA erfolgreiche Lieferdienst Amazon fresh künftig auch nach Europa kommen. In den USA beliefert das Unternehmen überwiegend gekühlte Packstationen, der Kunde muss zum Lieferzeitpunkt also nicht einmal zu Hause sein. Das bedeutet Konkurrenz für die Filialen.

Grundsätzlich ist es jedoch viel komplizierter, Lebensmittel an die Haustür zu bringen als Schuhe, stellt Jahn klar. Schon weil es um Frische geht. Die Anbieter müssen gekühlte, tiefgekühlte und ungekühlte Waren in separaten Einheiten transportieren. Liegt andernfalls zum Beispiel die Fertigpizza neben Salat und Bananen, kommen Obst und Gemüse verdorben an. Sie erleiden einen Gefrierschaden.

"Das haben wir bei unserem Test von zwölf Anbietern leider erlebt, wenn gewöhnliche Transportunternehmen wie DHL genutzt werden", berichtet Sascha Berens, Online-Experte beim privatwirtschaftlichen EHI Retail Institute in Köln. Kein einziger konnte den Wocheneinkauf wie bestellt liefern. "Wir kamen um den Einkauf im stationären Supermarkt nicht herum." Zum Teil fehlten Artikel, zum Teil wurden Austauschprodukte geliefert, weil das Bestellte offensichtlich nicht vorrätig war. Die Krönung dieser Praxis: Statt einer Tafel Schokolade schickte ein Unternehmen Pralinen zum selben Preis. Zudem kann die Ware länger unterwegs sein als geplant.

Einige Unternehmen setzen deshalb auf den eigenen Lieferservice, darunter Rewe. Fahrzeuge der Supermarktkette bringen den Wocheneinkauf vom Zentrallager bis zur Haustür. In jedem Wagen sind zwei Mitarbeiter unterwegs. Der Mitfahrer stellt jeweils die Bestellung in Papiertüten zusammen und bringt sie dann sogar bis ins Dachgeschoss eines Hinterhauses. "Das ist teurer, aber wirkt natürlich ganz anders auf das Image", findet Berens. Die Autorin hat den Lieferservice von Rewe ausprobiert: Alle Artikel von Zitronen bis zum Waschpulver kamen wie bestellt und unversehrt. Außerdem können Kunden jene Artikel, die nicht der Erwartung entsprechen, "dem Lieferanten gleich wieder mitgeben". Ist das Brot schimmelig oder die Milch geplatzt, muss niemand hinterher umständlich reklamieren.

Allerdings hat er dann trotzdem nichts zu essen, denn ob der Lieferant Ersatz dabei hat, ist nicht garantiert. Zudem bedeutet dieser Service – eigene Fahrzeuge, zwei Mitarbeiter je Wagen – Mehrausgaben und drückt auf die Bilanz. Mehr berechnen die Unternehmen für online gelieferte Artikel trotzdem nicht. Allenfalls die Lieferung kostet zwischen fünf und zehn Euro. Aber ab 100 Euro streicht beispielsweise Rewe auch diesen Betrag. Berens zufolge hat die Kulanz taktische Gründe. "Es gibt noch keinen Marktführer. Alle werben deshalb um Kunden."

Ob sie am Ende auf ihre Kosten kommen, ist alles andere als gesagt. Schon im stationären Lebensmittelhandel liegen die Margen hierzulande nur bei ein bis drei Prozent. Die Deutschen sind im europäischen Vergleich beim Essenskauf besonders geizig. Der Onlinehandel dürfte für die klassischen Einzelhandelsunternehmen daher gegenwärtig meist ein Verlustgeschäft sein, schätzt EHI-Experte Berens.

Der große Fehler könnte sein, das klassische Modell nahezu deckungsgleich ins Netz zu verlagern. Dabei bietet gerade das Web Raum für neue Ideen. Ein junges Team etwa betreibt unter dem nostalgischen Namen "emmasbox" am Münchner Flughafen Deutschlands erste gekühlte Packstation. Sie soll ankommenden Flugreisenden den mühsamen Gang zum Supermarkt ersparen. Zwischen den Gepäckbändern haben die Boxbetreiber Tablet-Computer installiert, auf denen die gelandeten Passagiere alle Zutaten für bestimmte Gerichte vorbestellen können. Die Ware liegt dann wenig später an der Packstation für sie zum Abholen bereit. Edeka möchte für die Abwicklung der Online-Einkäufe mit dem bayerischen Start-up kooperieren.

Mit einer ähnlichen Idee versucht sich auch das Start-up HelloFresh – nur eben für zu Hause. Sämtliche Zutaten eines Gerichtes wie Spaghetti Bolognese oder Fisch mit Kartoffelgratin liefert es frei Haus. Dazu gehören auch Ingredienzien, die nur in winzigen Mengen benötigt werden, wie kleine Tütchen mit Salz und Pfeffer. Mit dem Komplettpaket richtet sich das Unternehmen an junge Kunden, die nicht regelmäßig kochen und deshalb womöglich Pfeffer und Kurkuma nicht im Haus haben oder die das Kochen mit Freunden als Event zelebrieren. Der Bestellung liegt auch das Kochrezept bei, damit beim Zubereiten der Speisen möglichst wenig schiefgehen kann. Bezahlen lässt sich HelloFresh nicht nur für die Zutaten, sondern auch für deren Zusammenstellung und die Rezeptidee ab 4,50 Euro je Gericht.

"Aufgrund ihres Alleinstellungsmerkmals können sie höhere Preise verlangen", erläutert Berens. Auf ein vergleichbares Konzept setzen auch Otto Gourmet und das Start-up foodpanda. Der etablierte Versandhändler liefert exquisite Fleischprodukte und berechnet mitunter 50 Euro je Kilogramm Rindfleisch – im Wissen, dass der Kunde das gleiche Produkt nicht im Laden um die Ecke kaufen kann.

Foodpanda, das zur Berliner Start-up-Fabrik Rocket Internet gehört, versorgt in Großstädten von vierzig Ländern wie Indien, Ägypten und Russland die zahlungskräftige Käuferschicht mit Speziallebensmitteln. Vor Ort dienen Restaurants als Partner, die das gewünschte Sortiment bis zur Tür des Käufers transportieren. So bestellten senegalesische Kunden etwa bevorzugt Croissants als Abwechslung zum üblichen Fladenbrot, berichtet Firmenchef Ralf Wenzel. Die Finanzbranche scheint an die Geschäftsidee zu glauben: Im Mai hat der Dienstleister knapp 89 Millionen Euro Venture-Kapital von der US-Bank Goldman Sachs eingeworben.

Aber auch wenn diese Rechnung aufgehen sollte, einen Nachteil hat der Lebensmittelkauf per Mausklick immer: Mit der Sinnlichkeit eines echten Einkaufs hat er nichts gemein. Man klickt sich durch Produktnamen und standardisierte Bilder, die nicht einmal tagesaktuell sind. An frischen Erdbeeren riechen, Äpfel anfassen oder eine Ananas auf ihre Reife testen – alles unmöglich. Ja, man kann nicht einmal sicher sein, ob man grüne oder rote Äpfel bekommt. (bsc)