3D-Raub der Nofretete: Eine unglaubhafte Geschichte

Mit einer vor den Bauch geschnallten Kinect will ein Künstlerduo die weltberühmte Büste im Neuen Museum in Berlin heimlich dreidimensional gescannt haben. Die Datei haben sie veröffentlicht – und die nährt Zweifel.

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Der 3D-Raub der Nofretete: Warum wir diese Geschichte nicht glauben

(Bild: hyperallergic.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter König
Inhaltsverzeichnis

Die Büste der ägyptischen Königin Nofretete (auch: Nefertiti) ist einer der am besten gehüteten Kunstschätze des Neuen Museums in Berlin – und ein umstrittener: Sie gelangte 1913 nach Deutschland und blieb seitdem dort, aber seit 1924 fordert Ägypten immer wieder die Rückgabe dieses Kulturguts ein. Die deutsch-irakische Künstlerin Nora Al-Badri und ihr deutscher Kollege Jan Nikolai Nelles haben sich dieser Kontroverse auf ihre Weise angenommen: Sie haben mit einem 3D-Drucker eine präzise Kopie der Kalksteinbüste angefertigt und unter dem Titel "The Other Nefertiti" in Kairo ausgestellt. Außerdem haben sie die 3D-Datei zum Download freigegeben.

Die angeblich heimlich gescannte Nofretete (4 Bilder)

Hier ist die fragliche 3D-Datei der Nofretete besonders hübsch gerendert ...
(Bild: all3dp.com)

Genau diese Datei macht uns jetzt aber sehr stutzig. Kurz gesagt: Sie ist nach unserer Erfahrung um mindestens zwei Größenordnungen zu detailliert, um wirklich aus einer Kinect zu stammen.

Wir haben selbst eine Menge Erfahrung im 3D-Scannen mit der ersten Kinect von Microsoft gemacht und so gut wie jede Software getestet, die von der Stange damit zusammenspielt. [Update, 29.02.2016: Mehr Details dazu haben wir in einem ausführlichen Online-Hintergrundartikel zur Kinect als 3D-Scanner veröffentlicht.] Wie man das Gespann aus Tiefenkamera und Anwendung handhabt und was für Ergebnisse damit drin sind, davon geben die beiden folgenden Videos einen Eindruck:

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Eine der kitzeligstes Angelegenheiten beim 3D-Scan mit der Kinect ist es, die Tiefenkamera exakt so an den Formen des Zielobjekts entlangzuführen, dass die Software dabei den Faden nicht verliert – denn die muss gleichzeitig die momentan vom Sensor erfasste 3D-Punktwolke mit den bisher gefundenen Daten in Einklang bringen und auch noch die eigene Position im Raum rekonstruieren. Damit das klappt, ist es eigentlich unerlässlich, zur Kontrolle dauernd die Live-Vorschau auf dem Monitor im Auge zu behalten, um die Position und Bewegung der Kinect gegebenenfalls anzupassen. Heimlich im Museum unter den argwöhnischen Augen des Wachpersonals klappt das sicher nicht. Hinzu kommt, dass sich eine um den Bauch geschnallte Kinect kaum kontrolliert als 3D-Scanner um das Objekt herumführen lässt.

Sollte es dem Künstlerduo aber dennoch gelungen sein, mit einer Kinect einen 3D-Scan der Nofretete anzufertigen, dann müsste jemand in diese Rohdaten nochmals sehr viel Hingabe und Nachbearbeitung mit einer 3D-Modelliersoftware gesteckt haben, bis alle Details der Büste bis hin zum den abgeplatzten Stellen der Stuckschicht auf der Augenbraue so präzise nachgebildet sind wie im Datensatz, den man jetzt herunterladen kann. Hinzu kommt, dass eine vor dem Bauch getragene Kinect die Büste stets nur schräg von unten einfängt und damit Bereiche wie die obere Seite der Krone in Form eines Kegelstumpfes gar nicht erfasst werden würden. Diese ist bei der jetzt verbreiteten Datei aber nicht nur vorhanden, sondern zeigt auch eine sehr detaillierte Materialstruktur.

Al-Badri und Nelles haben ihre Aktion beim vergangenen Chaos Communication Congress (32C3) im Dezember in Hamburg vorgestellt. Bei ihrem Vortrag berichten sie, dass sie selbst erstaunt waren, was für eine tolle Qualität an 3D-Daten "befreundete IT-Experten" nach der Aktion generieren konnten. Das erstaunt uns auch (und wir würden natürlich gerne mehr darüber wissen).

Aber beim besten Willen: Viel plausibler erschiene uns, falls der jetzt veröffentlichte Scan der Nofretete gar nicht unter Guerilla-Bedingungen im Museum entstanden wäre, sondern ganz in Ruhe etwa anhand eines präzisen Gipsabgusses der Büste, vielleicht sogar mit einem professionellen 3D-Scanner, etwa vom Hersteller Artec. Die liefern tatsächlich 3D-Datensätze in der Güte des fraglichen Scans. Angeblich soll das Neue Museum selbst 3D-Scans von Stücken aus seiner Sammlung besitzen – und die Nofretete ist definitiv darunter. Einige andere Museen haben solche Datensätze bereits zur freien Verfügung veröffentlicht.

Genau um diese allgemeine Zugänglichkeit (und insbesondere den Zugang der Ägypter zu ihrer Königin Nefertiti) ging es Al-Badri und Nelles in ihrer Aktion "Cultural Commons durch Kunstraub", wie sie das nennen. Für deren Wirkung ist es vielleicht auch gar nicht so wichtig, ob der Scan tatsächlich so entstanden ist, wie die beiden berichten. Die Daten sind jetzt jedenfalls in der Welt. Und viele Fragen sind offen. (pek)