Abgas-Affäre: Wann wusste Winterkorn was?

Problem-Post

Die Aufarbeitung der Abgas-Affäre bei Volkswagen könnte sich für Ex-Konzernchef Winterkorn zu einem Bumerang entwickeln. Nach Mitteilung des Konzerns wusste dieser möglicherweise schon 16 Monate vor dem späteren Bekanntwerden von Ungereimtheiten und Problemen

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Von
  • Martin Franz
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Es dürfte eine der längsten Pressemitteilungen in der Volkswagen-Geschichte sein. Doch der Sprengstoff der gut drei Seiten, die der Volkswagen-Konzern am Mittwochabend aussendete, steckt vor allem in einem einzigen Satz: „Ob und inwieweit Herr Winterkorn von dieser Notiz damals Kenntnis genommen hat, ist nicht dokumentiert.“ Der kurze Satz informiert darüber, dass der damalige Konzernboss Martin Winterkorn schon im Frühling 2014 – rund eineinhalb Jahre vor dem Ausbruch des Diesel-Skandals – von der Wurzel des Problems hätte wissen können. Doch ob er die Notiz in seiner Wochenendpost überhaupt las und ob er deren Brisanz erahnte, sei eben „nicht dokumentiert“.

Wann wusste Winterkorn was?

Der Hinweis in Winterkorns Post erläuterte Ungereimtheiten beim Abgasverhalten des Dieselmotors EA 189, die aus einer im Mai 2014 vorgelegten Studie hervorgingen. Die Analyse sollte die US-Behörden in der Folge stutzig machen und die Affäre um weltweit elf Millionen manipulierte Konzernfahrzeuge ins Rollen bringen. Für einige Medien ist die Sache damit nun klar: Winterkorn war schon frühzeitig über den Abgas-Skandal informiert. Diese Lesart aber ist nicht zwingend. Man kann das annehmen, nur kann man es nicht belegen. Schon gar nicht mit der Existenz der Notiz in der Wochenendpost. Doch die Büchse der Pandora ist nun offen. Schon vor der Pressemitteilung kursierten in den Medien Teile einer gut 120-seitigen Klageerwiderung, mit der sich Volkswagen gegen Anlegervorwürfe wehrt, wonach der Konzern im Wissen um die Tragweite des Skandals die Finanzwelt zu spät informiert habe.

Seit Monaten geht auch die Bundesfinanzaufsicht dieser Frage nach. Wie bei allen anderen Ermittlungen zur Abgas-Krise ist auch hier noch nichts Konkretes bekannt. „Die Prüfung wird noch Monate dauern“, sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Damit dürfte das Ergebnis auch bei der voraussichtlich erst im Juni 2016 stattfindenden Hauptversammlung noch nicht auf dem Tisch liegen. Dennoch könnte es für Winterkorn brenzlig werden. Denn auch wenn der Konzern argumentiert, dass selbst Anfang September 2015 die Affäre noch auf die USA begrenzt zu sein schien, ist nun erstmals vom Konzern bestätigt, dass die Wurzel des Problems schon im Mai 2014 zu einem Vorgang für den obersten Chef wurde. Dies hatte Winterkorn, der kurz nach Bekanntwerden des Skandals um manipulierte Dieselfahrzeuge zurücktrat, immer vehement bestritten. Fraglich bleibt dabei auch, ob und wie er die Sache wertete, denn das ist „nicht dokumentiert“.

Für Winterkorn gilt die Unschuldsvermutung. Womöglich nahm er die Passage in seiner Wochenendlektüre gar nicht wahr. Doch allein schon der Umstand, dass ein schriftlicher Vorgang bei ihm so früh ankam, manövriert ihn in eine Zwickmühle. Entweder er kann sich nicht mehr erinnern. Oder er nahm es zur Kenntnis, hielt es aber für Tagesgeschäft. Oder er erklärte es doch zur Chefsache, was wenig plausibel erscheint, da ja „nichts dokumentiert“ ist. Alle Varianten bieten Angriffsfläche. Oder es ist noch schlimmer und Winterkorn wusste damals schon alles.