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Platz ist knapp in New York City. Und teuer. Im Stadtteil Manhattan zeigen Architekten, wie sich bezahlbarer Wohnraum aus standardisierten Modulen schaffen lässt. Von der Idee könnten auch deutsche Städte profitieren.

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Von
  • Christian Buck

Platz ist knapp in New York City. Und teuer. Im Stadtteil Manhattan zeigen Architekten, wie sich bezahlbarer Wohnraum aus standardisierten Modulen schaffen lässt. Von der Idee könnten auch deutsche Städte profitieren.

Aus der Ferne sehen sie aus wie gestapelte Umzugskartons, die schon der leiseste Windhauch umwerfen könnte – die mit gelbem Dämmmaterial verkleideten Betonquader, aus denen an der Ecke 335 East/27th Street in Manhattan gerade "My Micro NY" entsteht. Das zehnstöckige Gebäude besteht – von der Stahlkonstruktion im Erdgeschoss abgesehen – vollständig aus standardisierten und vorgefertigten Modulen, die ein mächtiger Kran nacheinander in luftige Höhen hievt. Bauarbeiter verbinden dort die 66 Quader miteinander und schließen sie an die Strom- und Wasserversorgung an.

Das neuartige Konzept soll die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannen: In New York gibt es rund 1,8 Millionen Haushalte, in denen eine oder zwei Personen leben – aber nur etwa eine Million Apartments in der richtigen Größe. Darum hat das NYC Department of Housing Preservation & Development 2012 den Wettbewerb "adAPT NYC" ins Leben gerufen. Das Architekturbüro nArchitects gewann ihn mit seinem Konzept "My Micro NY". Es ist das erste Gebäude in der Stadt, das aus vorproduzierten Mikro-Einheiten besteht, und bietet 55 Apartments mit 25 bis 33 Quadratmetern Wohnfläche. Eigentlich verbietet das städtische Baurecht Behausungen, die kleiner als 37 Quadratmeter sind. My Micro NY war daher nur aufgrund einer Ausnahmegenehmigung möglich. Inzwischen aber überlegt man in New York, mehr solcher Mikro-Apartments zu errichten.

Das Modell könnte auch hierzulande wichtig werden. Die Wohnungsknappheit ist zwar längst noch nicht so groß wie in New York, aber die Mieten steigen spürbar. In Berlin legten sie 2014 um rund neun Prozent zu, in Wolfsburg sogar um 19 Prozent – trotz der bundesweit 240000 neu errichteten Einheiten. Darum hat das Bundesbauministerium Anfang November ein Förderprogramm in Höhe von 120 Millionen Euro verkündet, das neuartigen "Variowohnungen" gewidmet ist – kleinen, modularen Wohneinheiten, die sich zunächst an junge Menschen richten, in Zukunft aber altersgerecht umgestaltet werden können. Die Warmmiete darf nicht höher als 260 Euro sein, in Städten mit sehr angespannter Wohnsituation liegt die Grenze bei 280 Euro.

Die P&P Gruppe Bayern GmbH ist in der Metropolregion Nürnberg bereits vorgeprescht: Rund 920 Mikro-Apartments sind gebaut, das neueste Projekt besteht aus 101 Wohnungen zwischen 20 und 35 Quadratmetern. Günter Vornholz sieht solche Apartments aber nicht als Allheilmittel gegen den Wohnungsmangel. "Das könnte ein neuer Markt werden, der aber nie eine flächendeckende Bedeutung haben wird", sagt der Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum und Leiter Marktanalyse der Deutschen Hypo. "Diese kleinen Wohnungen machen nur in der Nähe von Arbeitgebern oder Universitäten Sinn – denn niemand wird freiwillig auf so engem Raum leben wollen."

1. Fertigung wie am Fließband

Die einzelnen Wohncontainer entstanden in einer Schiffswerft im Hafen von Brooklyn – rund 50 Arbeiter der Capsys Corporation haben sie in einer großen Halle fast wie am Fließband hergestellt. Grundlage der Konstruktion ist die Bodenplatte aus Beton, an der im ersten Schritt mehrere senkrecht stehende Stahlprofile befestigt werden. An ihnen machen die Arbeiter Stahlgitter für die Außen- und Innenwände sowie die Decke fest – bis der Container aussieht wie ein Raubtierkäfig.

Jetzt folgt das Innenleben: Arbeiter bringen an den Stahlgittern die Trockenbauwände, Fenster und Türen an. Außerdem werden die elektrischen Leitungen und Wasserrohre sowie die Klimaanlagen installiert. Auf der Baustelle können sie dann an die städtische Strom- und Wasserversorgung angeschlossen werden. Am Ende folgen Boden, Decke, Küche und Bad.

Viele Arbeiten laufen parallel ab, um die Module in kurzer Zeit herstellen zu können. Die Serienproduktion hat aber noch einen weiteren Vorteil: Die Fertigungstoleranzen sind mit einem achtel Zoll wesentlich kleiner als bei der üblichen Bauweise (ein halbes bis ein viertel Zoll), sodass sich die Container sehr dicht packen lassen.

Aufgrund der verschiedenen Grundrisse der unterschiedlich großen und teuren Wohnungen sowie wegen der ebenfalls benötigten Module für Treppenhaus und Fahrstuhl besteht My Micro NY aus insgesamt 14 unterschiedlichen Typen von Containern, die in jeweils zwei bis drei Wochen produziert werden.

2. Aufbau nach dem Lego-Prinzip

Das Erdgeschoss von My Micro NY besteht aus einer klassischen Stahlkonstruktion, auf der die 66 Container ruhen. Durch die vorproduzierten Module lässt sich das Gebäude in kürzerer Zeit und mit weniger Belästigungen für die Anwohner errichten. "Die modulare Bauweise ist schneller, billiger, erlaubt eine bessere Qualitätskontrolle und verringert Abfall und Lastwagenverkehr spürbar", brachte es der ehemalige New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg auf den Punkt. "Außerdem ist es für die Arbeiter sicherer, weil die Fertigung in einer kontrollierten Umgebung stattfindet."

Im Mai brachten Tieflader die Module von Brooklyn nach Manhattan, und nach vier Wochen waren alle Container an ihrem richtigen Platz. Danach folgten die Außenarbeiten – vor allem die Fassade sowie Teile der Verglasung – und der Innenausbau der Gemeinschaftsflächen. Ende 2015 sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein, und im Februar 2016 werden die ersten Mieter einziehen.

3. Kleines Heim, Glück allein?

Die New Yorker Singles sind einiges gewöhnt. Viele von ihnen leben während ihres Studiums und selbst noch danach jahrelang in Wohngemeinschaften auf engstem Raum. Da ist der Umzug ins eigene Mikro-Apartment schon ein gewaltiger Fortschritt. Dennoch fürchteten die Architekten, die Bewohner der Mikro-Apartments könnten Platzangst bekommen.

Mit verschiedenen Tricks wollen sie das verhindern: Schiebetüren aus Glas, große Fenster, zahlreiche Ablagemöglichkeiten und fast drei Meter hohe Decken sollen ihnen das Gefühl von Größe vermitteln. Die Apartments bieten neben einer kleinen Küche auch ein Badezimmer, das sogar für Rollstuhlfahrer geeignet ist. Und wer sich in sein Apartment ein Klappbett einbaut, verschafft sich zusätzliche Bewegungsfreiheit. Außerdem können die Bewohner Gemeinschaftsräume innerhalb des Gebäudes nutzen, darunter einen kleinen Fitnessraum, einen Waschraum sowie Abstellflächen für Fahrräder und gerade nicht benötigte Besitztümer.

Kein Wunder also, dass nArchitects schon nach dem Gewinn der Ausschreibung Dutzende Anrufe von potenziellen Mietern bekommen hat. Der kleine Luxus in Manhattan hat allerdings auch einen stolzen Preis: Zwischen 2000 und 3000 Dollar müssen die künftigen Mieter pro Monat für ihre Handvoll Quadratmeter bezahlen. Das klingt nach viel, ist für den New Yorker Stadtteil aber völlig normal – eine Zweizimmerwohnung kostet hier bis zu 4000 Dollar im Monat, und wer in vier Zimmern wohnen möchte, muss dafür bis zu 9000 Dollar ausgeben. (bsc)