Geld oder Leben

Alles wird gut? Ein Berliner Startup will das Eintreiben von Schulden neu erfinden.

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Alles wird gut? Ein Berliner Startup will das Eintreiben von Schulden neu erfinden.

Etwas seriöser gesagt, sie wollen das Inkasso-Geschäft revolutionieren. Inkasso - ein hässliches Wort. Das erinnert an drohende Briefe, schmerzhafte Gebühren, und abenteuerliche rechtliche Drohungen von skrupellosen Anwälten.

Der unschöne Prozess des Eintreibens offener Schulden, der früher notorische Bankrotteure und windiger Pleitiers betroffen hat, trifft mittlerweile jedoch auch zunehmend normal sterbliche: Jugendliche, die arglos Smartphone-Verträge abschließen und sich wundern, wenn sie in der Hölle des Kleinstgedruckten wieder aufwachen. Rentner, die sich von agressiven Telefonwerbern Zeitschriftenabos, Reisen oder Versicherungen aufschwatzen lassen. Oder deprimierte Erwerbslose, die zu lange Dauerwerbesendungen ausgesetzt waren. All diese Menschen verlieren in der schönen, neuen Welt des Jetzt-sofort-Bestellens immer öfter die Übersicht.

Der Bundesverband der Inkasso-Unternehmen lobt zwar generell die noch recht gute Zahlungsmoral in Deutschland. Sieht aber gerade im Online-Handel, bei jungen und bei älteren Kunden bedenkliche Tendenzen. Kein Wunder, dass die Branche stetig wächst: Mit Verzugszinsen und Inkassogebühren lässt sich gutes Geld verdienen.

Die ganze Geschichte hat nur einen Haken, den das Berliner Start-Up PairFinance messerscharf erkannt hat: Säumige Zahler, die einmal durch die Mühle eines traditionellen "Forderungsmangements" gegangen sind, werden den gleichen Fehler in der Regel nicht noch mal machen. Die ist der Online-Händler, der den Inkasso-Prozess ausgelöst hat, in der Regel ein für allemal los.

Auftritt PairFinance. Da läuft der ganze Prozess viel smarter und sanfter: "Individuelle Ansprache, smarte Rückzahlungspläne und jederzeit die kostenfreie Möglichkeit die Lage zu erklären und gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Ganz ohne Papier, Callcenter und Frust. So bleiben Kunden Kunden", wirbt das Unternehmen.

Seine Software, versendet "eine Output-optimierte Anzahl von E-Mails, SMS und Briefen, die sich sofort an die Reaktion Ihres Kunden anpassen und ihn dort erreichen, wo er am effektivsten angesprochen werden kann". Soll zum Beispiel praktisch heißen: Berufstätige werden eher Morgens kontaktiert - Studierende erst ab Mittag.

So menschlich kann Technik sein. Denn seien wir doch mal ehrlich, manchmal sind die Menschen einfach vergesslich. Wer achtet heute schon noch auf Briefe? Totes Holz - wie uncool. Das Schweizer Unternehmen eCollect geht sogar noch einen Schritt weiter und kontaktiert Schuldner sogar per Skype oder Whatsapp. Nur das Posten in der Facebook-Timeline des säumigen Zahlers, das ist den Schweizern dann doch zu heikel. Datenschutz, Sie verstehen?

Eigentlich schade - zumindest aus Sicht der innovativen Unternehmensgründer. Schließlich haben Forscher wie Alex Pentland mit seiner "sozialen Physik" mehrfach gezeigt, dass sozialer Druck von Freunden wirksamer ist Willensstärke oder ein schlechtes Gewissen, wenn es um Verhaltensänderungen geht. Besser als der breitschulterige Geldeintreiber an der Haustür wäre das schon. Noch besser allerdings wäre es, arglose Kunden gar nicht erst in die Schuldefalle reinlaufen zu lassen. Aber damit lässt sich ja nichts verdienen, gell? (wst)