Kommentar: AlphaGos Gespür für gute Züge

Wie Googles KI-System AlphaGo in den Spielen gegen Lee Sedol gesiegt hat, zeigt, dass in Zukunft die menschliche Go-Gemeinde von der KI lernen kann, kommentiert Jo Bager.

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Kommentar: AlphaGos Gespür für gute Züge
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Jetzt ist es also amtlich: Googles künstliche Intelligenz AlphaGo hat den koreanischen Spieler Lee Sedol geschlagen; nach drei Matches steht es 3:0 für den Computer. In der Go-Szene ist man beeindruckt bis schockiert. Die meisten Beobachter hatten erwartet, dass AlphaGo gegen Lee Sedol keine wirkliche Chance hat. Lee Sedol selber war davon ausgegangen, dass er 5:0 siegt oder maximal ein Spiel abgibt. Er kann jetzt bei den Spielen morgen und am Dienstag allenfalls noch einen Achtungserfolg gegen den neuen Champion AlphaGo einfahren.

Eine Analyse von Jo Bager

Jo Bager arbeitet schon seit fast zwanzig Jahren bei c't und seit dem Start auch bei heise online. Er schreibt über Suchmaschinen, soziale Netze und Web-Dienste aller Art und ist immer wieder fasziniert davon, wie sich die IT-Branche permanent neu erfindet.

Lee Sedol sagte in der Pressekonferenz nach dem zweiten Spiel, dass er auf Fehler von AlphaGo gewartet hatte – aber keine kamen. Googles KI hat also ihre Hausaufgaben gemacht und brav gelernt, was gute Züge sind. Das ist das weniger Verwunderliche an AlphaGos Spiel. Das System wurde mit Abermillionen von Spielstellungen gedrillt. Man sollte also erwarten können, dass es gelernt hat, Fehler zu vermeiden und gleichzeitig genug Druck auf den Gegner aufzubauen.

Da war aber noch mehr. Es gab mehrere Situationen, in denen die Live-Kommentatoren sich nach der Sinnhaftigkeit von Zügen gefragt haben. Und auch in den Nachbetrachtungen hieß es mehrfach, dass AlphaGo Züge gespielt hatte, "die ein Mensch nie machen würde". Wenn eine Profispielerin wie Young Sun Yoon so etwas sagt, dann bedeutet das so viel wie: Profispieler würden diesen Zug nicht spielen, weil in der Jahrtausende alten Tradition dieses Spiels offenbar noch keine Schule einen solchen Zug als gewinnbringend angesehen hat.

Lee Sedol zum zweiten Spiel: "Vom Beginn des Spiels an gab es keinen Moment, in dem ich mich in Führung fühlte."

Der Erfolg gibt AlphaGo aber recht. Die KI hat in ihrer Lernphase eben nicht nur menschliche Spiele nachvollzogen. Ihre Erschaffer bei DeepMind haben sie wohl auch damit deutlich verbessert, dass sie sie immer und immer wieder haben gegen sich selbst spielen lassen. Und dabei scheint sie ganz offensichtlich Züge und Zugfolgen gefunden zu haben, auf die bisher kein Mensch gekommen war.

Mit anderen Worten: AlphaGo scheint nicht nur unglaublich viel menschliches Go-Wissen in sich aufgenommen zu haben. Auf einer gewissen Abstraktionsebene hat es offenbar schon so etwas wie ein Unterbewusstsein für Go entwickelt, das eine eigene Kreativität in das Spiel einbringt. Fast würde man sagen: AlphaGo hat eine Intuition für das Spiel entwickelt.

Bei AlphaGo ist aber nichts Intuition, sondern alles pure Mathematik. Wenn das System einen ungewöhnlichen Zug "gefunden" hat, dann bedeutet das nichts anderes, als dass es ihn und seine Folgezüge in zigtausend Variationen durchgerechnet hat. Vielleicht schafft es Google ja, auch AlphaGo in den Kopf zu schauen – wie es das bei seinen Bilderkenner-KI-Systemen bereits gemacht hat. Dann könnte man ergründen, was AlphaGo als Wesen guter Züge ansieht – und die Go-Gemeinde wohl eine Menge lernen.

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(jo)