Die Molekül-Maschine

Der amerikanische Arzt und Chemiker Martin Burke hat einen Apparat entwickelt, der die Synthese medizinischer Wirkstoffe automatisiert.

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  • Katja Ridderbusch
Inhaltsverzeichnis

Der amerikanische Arzt und Chemiker Martin Burke hat einen Apparat entwickelt, der die Synthese medizinischer Wirkstoffe automatisiert. Das könnte die Entwicklung neuer Medikamente gegen eine Reihe von schweren und unheilbaren Krankheiten vorantreiben.

Die Maschine, mit der Martin Burke zuerst die Chemie und später die Welt verändern will, sieht so harmlos aus wie ein Espressoautomat in einer Großkantine: Das gut zwei Meter breite und knapp 80 Zentimeter hohe Gerät steht in einem Regal in einem schmalen Raum, der vollgepackt ist mit Reagenzien, Rundkolben und Rotationsverdampfern. An einem scheinbar wilden Gewirr aus Schläuchen und Pumpen hängen Glasröhrchen und Messbecher, in denen es köchelt und blubbert. Auf einem wackeligen Holzhocker steht ein Laptop. Er steuert die Maschine.

Doch der Eindruck einer profanen Maschine täuscht. Mit dem Apparat sollen sich neue Medikamente weit einfacher und rascher entdecken lassen als heute. Burkes Ziel ist die Automatisierung der chemischen Synthese von sogenannten kleinen Molekülen (small molecules). Der Name bezieht sich auf ihr Gewicht, nicht aber ihre Bedeutung: Zu ihnen gehören mehr als 90 Prozent aller Arzneimittel, darunter etwa Acetylsalicylsäure (ASS), der Wirkstoff in Aspirin. Hinzu kommen viele komplexe Naturstoffe, die als Wirksubstanzen gegen Pilzinfektionen oder allergisches Asthma Verwendung finden oder aus denen sich zahlreiche neue Antibiotika ableiten.

"Eine Art 3D-Drucker auf molekularer Ebene", so beschreibt Erfinder Burke, Chemieprofessor an der University of Illinois in Urbana-Champaign, seine Maschine. Mit ihr könnten sich Pharmaforscher und Mediziner per Mausklick ihre gewünschten Moleküle zusammensetzen lassen. Die Molekülmaschine könne dabei helfen, "neue Medikamente gegen schwere und bislang unheilbare Krankheiten" zu entwickeln, sagt Burke – zum Beispiel gegen bestimmte Krebsarten, gegen Infektionen oder gegen Stoffwechselstörungen.

Bislang erfolgt die Synthese zahlreicher kleiner Moleküle meist in Handarbeit durch eine Serie chemischer Reaktionen. "Der Prozess ist zeitaufwendig und mühsam", sagt Burke, "eine individuelle Synthese für jedes individuelle Molekül." Maßarbeit eben. Denn viele kleine Moleküle haben trotz ihres geringen Gewichts eine hochkomplexe Struktur. Eine Automatisierung, wie sie bei der Synthese von einfacher gebauten Stoffen wie Zellulose oder Insulin bereits Standard ist, schien bei kleinen Molekülen lange nahezu unmöglich. Das wollte Burke ändern. Im Frühjahr stellten er und sein Team die Ergebnisse ihrer Arbeit im renommierten US-Fachmagazin "Science" vor. Das Thema schaffte es sogar aufs Cover.

Rein optisch könnte der 39-jährige Wissenschaftler, der an den Edelschmieden Johns Hopkins und Harvard studierte und Doktortitel in Medizin und Chemie hat, gut als Forschungsassistent durchgehen. Der jungenhafte Typ, groß, mit dunklem Bürstenhaar, redet sich in einen atemlosen Rausch, wenn es um die Macht der kleinen Moleküle geht. Sein Büro ist prall gefüllt mit Büchern und Papierstapeln. An den Regalen hängen bunte Bilder verschachtelter Strukturformeln gleich neben krakeliger Kinderkunst.

Das sieht für den Laien durchaus ähnlich aus, und für Burke liegen die beiden Welten ohnehin nah beieinander: Seine Frau ist auch Chemikerin, arbeitet im gleichen Gebäude. Die beiden haben zwei Söhne, drei und vier Jahre alt. Die interessierten sich im Moment aber eher für Saurier als für Synthesen, sagt Burke und lacht. Dann zieht er seinen Laborkittel an, um die Maschine vorzuführen, die im Labor monoton vor sich hin brummt. Einen Designpreis dürfte der Prototyp kaum gewinnen, räumt der Erfinder ein – wenngleich mit wohlkalkuliertem Understatement.

Die Geschichte von Martin Burke und seiner Molekülmaschine hat drei verschiedene Anfänge. Einer spielt an einem unwirtlichen Januarabend 2003 in Cambridge bei Boston, in der Studentenkneipe "The Cellar" nahe dem Campus der Harvard-Universität, wo sich Burke mit einem Chemiker-Kumpel traf. Burke forschte gerade an der Synthese des Naturstoffs Amphotericin B. Der wird seit Jahren zur Behandlung von inneren Pilzinfektionen eingesetzt, hat aber schwere Nebenwirkungen. Burke wollte den Wirkstoff verträglicher machen, kam nicht recht voran mit seiner Arbeit und war frustriert.

Sein Freund dagegen war bester Dinge. Er studierte den Aufbau und die Wirkung von Peptiden, großen Kettenmolekülen. Die Synthesearbeit erledigte ein Apparat. "Während wir in der Bar saßen und tranken, stellte eine Maschine die gewünschten Verbindungen her, und wenn mein Kumpel am nächsten Morgen ausgeschlafen ins Labor kam, konnte er deren Reaktionen erforschen." Burke war "unfassbar neidisch", sein Ehrgeiz war geweckt – und eine Idee geboren: Er wollte den weltweit ersten Syntheseroboter für kleine Moleküle entwickeln.

Nach Abschluss seiner Doktorarbeit bewarb sich Burke an der Universität von Illinois in Champaign, deren Fachbereich für organische Chemie besonders renommiert ist. Den dortigen Wissenschaftlern gefiel das gewagte Forschungsprojekt, und sie boten Burke eine Stelle an – mit eigenem Labor und eigener Arbeitsgruppe. In den folgenden zehn Jahren forschte das Team an der Entwicklung. Viel anderes zu tun gab es ohnehin nicht: Champaign ist eine Kleinstadt tief im Mittleren Westen, umgeben von Mais- und Sojabohnenfeldern, vereinzelten Höfen und Getreidesilos, die in der Sonne glitzern, seelenlosen Straßen, die gerade in den Horizont führen – von einer Landschaft so leer und still wie Szenen in den Bildern von Edward Hopper.

Bei ihrer Arbeit stießen die Forscher gleich auf mehrere Engpässe. Der erste: Um Moleküle maschinell herzustellen und den Prozess reproduzierbar zu machen, mussten sie die Stoffe zuerst in einzelne, sich wiederholende Bausteine zerlegen und dann bei der Herstellung miteinander verknüpfen. "Das ist ähnlich wie bei Legos", erklärt Burke. "Da gibt es viele Teile in unterschiedlichen Formen, Farben, Größen, mit denen sich immer neue Dinge bauen lassen."

Kettenförmig strukturierte Teilchen wie Peptide, Zuckermoleküle oder die Erbsubstanz DNA lassen sich relativ einfach in Bausteine zerlegen. Doch bei vielen kleinen Molekülen, insbesondere Naturstoffen mit Ringsystemen und Mehrfachbindungen, "die so kunstvoll gefaltet sind wie Origami-Kreationen", schien das Vorhaben zunächst aussichtslos. Dennoch gelang es den Forschern, die verschachtelten Moleküle "gewissermaßen aufzufalten und in ihre lineare Grundstruktur zurückzuführen", sagt Burke. Mit diesem Kunstgriff ließen sich die Vorläufer dann in einzelne Bausteine zerlegen.