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Was war. Was wird. Von lebendiger und toter Politik

IT-Bullshit-Bingo, das kann nicht nur die Branche selbst gut, sondern auch die Politik, die sich gerne an sie ranwanzt, ohne ihre eigene Historie oder die ihrer verblichenen Politiker zu kennen. Sei es als Warnung, sei es als Ansporn, merkt Hal Faber an.

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Bingo
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Auf der CeBIT: Bürgerterminal oder Westerwelle-Gedächtnissteele

*** Nach der CeBIT liegt man hoffnungslos am Boden, liest vielleicht noch im Halbkoma nach dem Weltschlaftag, dass sie die beste CeBIT jemals gewesen sein soll, mit stabilen Besucherzahlen in arg geschrumpften Hallen. Es ist wie 2004, als man rundum zufrieden war mit den stark rückgängigen Besucherzahlen. Unter den Besuchern nicht nur der Chaos Computer Club mit seinem Negativpreis für das Mautsystem, sondern auch ein Guido Westerwelle, der sich auf der CeBIT erstmals mit seinem Lebenspartner zeigte und den deutschen Erfindergeist von Toll Collect lobte. Inmitten all der Nachrufe über den Unvollendeten, den Spieler oder den großen Außenpolitiker, der der USA die Meinung geigte, sollten die großen Erfolge von Westerwelle nicht vergessen werden. Er war es, der 2001 auf der CeBIT den chipbestückten neuen Personalausweis forderte, anno 2016 so alltäglich im Nicht-Einsatz, dass nur ein einziger CeBIT-Stand mit einem Bürgerterminal eine Neuheit zeigte. Auch die Bedeutung von Big Data für die Medizin erkannte Westerwelle beizeiten. So gesehen ist es tragisch, dass seine Krankheit zu spät diagnostiziert wurde und die Behandlung nicht erfolgreich war.

*** Noch enger als Westerwelle war der CDU-Whistleblower Lothar Späth mit der IT-Branche verbandelt, der frühzeitig in seinem Buch Wende in die Zukunft: Die Bundesrepublik auf dem Wege in die Informationsgesellschaft von der "digitalen Gesellschaft" sprach, was ihm den Vorwurf der Technologiegläubigkeit eintrug. Ohne ihn würde es das wichtige Zentrum für Kunst und Medientechnologie und die Wissenschaftsstadt Ulm nicht geben. Später arbeitete er bei bei Jenoptik, wo man beim Bau von Halbleiterfabriken mit von der Partie war. Wer heute das Internet als Neuland (CDU) bezeichnet und an einer "Digitalen Agenda 2025" (SPD) bastelt, hat seinen Späth nicht im Tornister. Dieser schrieb 1985:
"Es gilt, von der Industriegesellschaft alter Prägung nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und geistig Abschied zu nehmen und sich auf das Neuland der Informationsgesellschaft, das vor uns liegt, umsichtig vorzubereiten."

*** Wo wir geistig anno 2016 sind, zeigt die von Sigmar Gabriel auf der CeBIT vorgestellte Digitale Strategie 2025, ein kurioses Papier, mit allem gespickt, was der IT-Bullshit-Bingo-Koffer so an Wortkarten hergibt. Die heiße Luft von Gabriel wabert in starkem Gegensatz zu seinem Protektionismus der schon von Späth kritisierten Telekom beim ach so wichtigen Internet-Ausbau. Das Trauerspiel um die Störerhaftung gehört auch in diese Kategorie. Etwas entlegener ist das Ministervotum für die Übernahme von Kaiser's/Tengelmann durch Edeka, die angeblich 16.000 Arbeitsplätze sichert. Das freut die Gewerkschaften, die ein starkes Mitspracherecht bei der Übernahme bekommen. Zudem sind betriebsbedingte Kündigungen in den Supermärkten in den ersten Jahren fast ausgeschlossen – der Kampf wird sich auf Lieferanten-Ebene abspielen, etwa bei Bringmeister, diesem Internet-Gedöns. Das Argument mit den Arbeitsplätzen dürfte auch die fusionswillige Rüstungsindustrie erfreuen. Wie war das noch mit der Schande für Deutschland, dass dieses unsere Land zu den größten Waffenexporteuren gehört?

*** Ein anderer SPD-Politiker sorgte in dieser Woche für hübsche Schlagzeilen im Berliner NSA-Untersuchungsausschuss. Frank-Walter Steinmeier war also überrascht vom Ausmaß der BND-Spionage zu einer Zeit, als er als Chef des Bundeskanzleramtes der Kontrolleur dieses Dienstes war. Ja, da laust uns einer dieser Affen, die nichts hören oder sagen können wollen! Nicht zu vergessen den nichts sehen könnenden Affen, der allenfalls die Aufklärungsmöglicheiten erschöpft sieht. Zu diesem affigen Bild passt es wie Arsch auf Eiskübel, dass die angedachte BND-Reform vom aktuellen Kanzleramtschef auf Eis gelegt wird. Die bessere Kontrolle des BND könnte dazu führen, dass die Arbeit des Geheimdienstes durch das Vorhaben massiv eingeschränkt wird. Das lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass die ach so saubere Arbeit hier und da ein bisschen dreckig ist, womöglich an der Grenze zur Illegalität, wie es eine Ausstellung zur Gründungsgeschichte des BND zeigt. Da mischte der unschuldige Informationsbeschaffer kräftig im Waffengeschäft mit, zum Wohle und Nutzen der sich wieder aufrappelnden deutschen Rüstungsindustrie. Keine Reform der BND-Kontrolle, dafür aber ein "neues Aufgabenprofil", das wieder Ordnung schafft. So macht man das unter Freunden, geht doch!

*** Zurück zur CeBIT, auf den freiheitlich-demokratischen Boden, auf dem die "Asylkrise" bewältigt werden muss. Dementsprechend ist das "Kerndatensystem", in dem alle Daten aller Asylsuchenden zusammengeführt werden, eine der Glanztaten deutscher IT, ein technisches Wunderwerk mit dem modernsten eID-Management. Oder auch nicht: Die Kommetare treuer Leser von heise online lassen erahnen, dass längst nicht alles glänzt, was da Magenta ist. Nicht mal ein einfaches Excel-Sheet habe man geschaffen, um die chaotische Situation zu beenden. Was aufgebaut wurde, ist eine Superdatenbank, in die Personendaten inkluusive biometrischer ID-Daten, Zuweisungsdaten, Ausbilungsinformationen, Sprachkursverpflichtungen, medizinische Daten sowie Vermögensdaten und die Flüchtlingskategorien A, B, C sowie D für die Dublin-Überquerlinge einfließen. Zahlreiche Behörden und die Polizeien können die Daten abgestuft abrufen, aus der hochsicheren Migrationscloud.

*** Was bleibt, ist bestens geordnet: Ein paar Tausend kommen noch, der Rest der "illegalen Flüchtlinge" bleibt in der Türkei. Sie ist ein so wunderbar sicherer Drittstaat, dass deutsche Zeitschriften wie der Spiegel ihre Korrespondenten abziehen, weil es dort zu gefährlich ist und ein eigener Krieg tobt. In der Türkei wird an einem Terror-Gesetz gebastelt, das kritisches Denken unter Strafe stellt: "Zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und jenen, die ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel den Terroristen zur Verfügung stellen, besteht kein Unterschied", erklärte Präsident Erdogan. Wie das mit Stift und Titel geht, soll in seinem Ermessen stehen. Schande über ein Europa, das Erdogan Geld für Waffenkäufe gibt.

*** In ihrem eigenen Ermessen hat Frauke Petry von der AfD mehrfach ein verabredetes Gespräch mit der Journalistin Dunja Hayali geschwänzt, weil sie diese für eine "politische Aktivistin" und nicht für eine "professionell arbeitende Journalistin" hält. Frau Hayali unterstützt die Vereine Gesicht zeigen!, genau wie die Moderatorin Anne Will, und Respekt!, genau wie Jürgen Klopp. Passend zur Absage twitterte ein mutmaßlicher (nicht verifizierter) AFD-Account zur Heute Show: "Eure Sendung setzen wir als 1. ab!" Die Partei, die die Stigmatisierung des CO2 aufheben will, hat mit der Stigmatisierung der Presse begonnen und sich den Lügenpresse-Vorwürfen der Pegidioten angenähert. So etwas nennt sie Frühlingsoffensive.

Was wird.

Ungeschwärzt: eine von drei Mail-Adressen Snowdens bei Lavabit

Wie vom agilen Nachrichtenticker gemeldet, ging es beim schwer geheimen "National Security Letter" an den E-Mail-Provider Lavabit tatsächlich um die Überwachung der Kommunikation von Edward Snowden. Lavabit musste schließen und Snowden musste sich einen anderen sicheren Kommunikationskanal suchen. Bemerkenswert an der Geschichte ist, dass dieser Fall in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen dem FBI und Apple über ein verschlüsseltes iPhone als "Präzedenz-Fall" zitiert wird, obwohl er vollkommen anders gelagert war, wie Lavabit-Gründer Ladar Levison schreibt. Was Snowden von der Sache hält, mag man in Berlin erfahren, wenn er auf der Media Convention der re:publica zugeschaltet wird und mit Luciano Floridi, dem Hausphilosophen von Google, über das Leben in der Infosphäre diskutiert. So bleibt die Hoffnung, dass das Geschwurbel über die neue Online-Identität mit harten Fakten unterfüttert wird, wie diese zu gestalten und zu schützen ist. Immer nur rufen, dass Kryptografie hilft, kann es doch nicht sein. (jk)