Der Kompensator von Emissionen

Wer seine Emissionen nicht senken kann oder will, kann sie über Klimaschutzprojekte kompensieren. Tricksereien raubten der Idee die Glaubwürdigkeit. Atmosfair macht trotzdem weiter. Warum?

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Hohe Decken, weiße Wände, spartanische Einrichtung – hier könnte auch ein Start-up zu Hause sein. Doch im Eingangsbereich sieht es eher aus wie in einem Campingladen: Dort stehen rund ein Dutzend sechseckige, kniehohe Holzkocher aus Edelstahl in verschiedenen Ausführungen. Mit ihnen kämpft die gemeinnützige GmbH atmosfair gegen den Klimawandel. "In diesen Kochern stecken zehn Jahre Entwicklungsarbeit", sagt Geschäftsführer Dietrich Brockhagen. Ihr passgenau sitzender Topf fasst die Mahlzeit für eine ganze Großfamilie. Vergleichsweise winzig ist hingegen die Öffnung für die Holzscheite. "Mit einer Handvoll Holz können Sie ein ganzes Mittagessen kochen", sagt Brockhagen. Gegenüber traditionellen Feuerstellen spart der Edelstahlkocher rund 80 Prozent des Brennholzes.

Mehr als 60.000 Kocher hat atmosfair in den letzten Jahren verteilt, vor allem in Afrika. Bezahlt haben sie Reiseveranstalter oder Privatleute, um die Treibhausgasemissionen ihrer Flugreisen zu kompensieren. Auf der Homepage von atmosfair gibt es einen Rechner, der aus Route und Maschinentyp die Klimawirkung eines bestimmten Fluges ermittelt – einschließlich Kondensstreifen- und Ozonbildung. Die Berechnungsmethode hat das Umweltbundesamt geprüft. Für rund 20 Euro pro Tonne bietet atmosfair an, diese Emissionen auszugleichen.

Kritiker bezeichnen solche Geschäfte als "Ablasshandel", mit denen sich wohlhabende Westler ein reines Gewissen erkaufen. Nicht ganz zur Unrecht: Unter dem Kürzel CDM ("Clean Development Mechanism") kam die Methode zu zweifelhaftem Ruhm. Geschäftemacher entdeckten schnell lukrative Lücken im System: Indische Fabriken etwa haben zeitweise absichtlich unnötig viel des hochwirksamen Treibhausgases Trifluormethan (HFC-23) hergestellt, um sich anschließend dessen Vernichtung über Emissionszertifikate vergolden zu lassen. Solche Zertifikate überschwemmten den Markt und drückten den Preis für die Tonne CO2 zeitweise auf 20 Eurocent – viel zu wenig, um irgendjemanden zur Vermeidung von Treibhausgasen zu bewegen.

Mittlerweile sind solche Geschäfte mit Industriegasen nicht mehr erlaubt, doch der Ruf des CDM ist ramponiert. Dietrich Brockhagen wäre der Letzte, der die Auswüchse des Kompensationsgeschäfts verteidigen würde. Dabei hat er den CDM selber mitgestaltet: Schon zum Klimagipfel in Kyoto 1997 reiste er als Beobachter an – mit dem Zug, zehn Tage lang. Später war er als Referent des Bundesumweltministeriums direkt an der Verhandlung des Kyoto-Nachfolgeprotokolls beteiligt.

Frustriert musste er damals zur Kenntnis nehmen, dass es für den Flugverkehr wohl so bald keine Klimaauflagen geben werde (erst 2010 wurden innereuropäische Flüge in den Emissionshandel einbezogen). Also gründete Brockhagen 2004 atmosfair – zunächst als One-Man-Show, unterstützt vom "forum anders reisen" und der Nichtregierungsorganisation Germanwatch. Erst 2007 stellte er die ersten Mitarbeiter ein. Heute beschäftigt atmosfair 15 Menschen und nimmt im Jahr rund vier Millionen Euro an Kompensationsspenden ein. Etwa 80 Prozent davon fließen in die Projekte.

Brockhagen wirkt nicht wie ein charismatischer Visionär, eher wie ein kühler Rechner. Und entsprechend nüchtern spricht der promovierte Physiker über die Grenzen des eigenen Geschäftsmodells: "Kompensationen sind nur die zweitbeste Lösung", betont er. Besser sei es, Emissionen gar nicht erst entstehen zu lassen. Deshalb lehnt atmosfair es auch ab, konventionellen Strom oder Autofahrten zu kompensieren, denn dafür stünden bereits Ökostrom oder Elektroautos zur Verfügung. Bei Flugzeugen gebe es bislang allerdings keine wirklichen Alternativen zur Kerosinverbrennung. "Wenn fliegen – dann atmosfair", lautet der Slogan.

Bei seinen Projekten unterwirft sich atmosfair dem Standard, den das UN-Klimasekretariat für handelbare CDM-Zertifikate festgelegt hat. Der schreibt zum Beispiel vor, dass ein Gastland dem Vorhaben zustimmen und der Erfolg regelmäßig vor Ort kontrolliert werden muss. Zudem hält sich atmosfair an den "Gold Standard" der schweizerischen GS-Stiftung, einem 2003 gegründeten Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, der Klima- und Entwicklungshilfeprojekte zertifiziert. Der "Gold Standard" verpflichtet unter anderem dazu, lokale Arbeitsplätze zu schaffen.

Doch beide haben nach Ansicht Brockhagens eine entscheidende Lücke: Sie stellen nicht ausreichend sicher, dass die Gelder nur in solche Projekte fließen, die sonst nicht realisiert würden. "Bei chinesischen Windkraftanlagen zum Beispiel machen die Einnahmen aus CDMs nur rund drei bis vier Prozent der Investitionssumme aus", so Brockhagen. Deren Betreiber nähmen die Klimagutschriften zwar gern mit, hätten die Anlagen wahrscheinlich aber auch so gebaut. Aus diesem Grund investiert atmosfair nur in Projekte, in denen die Spendengelder den größten Teil der Investitionen finanzieren.

Dementsprechend stammt nur knapp ein Viertel der bisher durch atmosfair eingesparten CO2-Emissionen aus Projekten, die Wind-, Wasser- oder Sonnenkraft nutzen. Und in die Aufforstung von Wäldern investiert atmosfair gar nicht. Der Grund: Niemand könne garantieren, dass neu angepflanzte Wälder nicht vorzeitig abgeholzt oder abgebrannt werden und ihren gespeicherten Kohlenstoff dann wieder schlagartig freisetzen. Die wichtigsten Säulen von atmosfair sind deshalb Holzkocher und kleine Biogasanlagen.

Bei einem neuen Vorhaben erfasst atmosfair gemeinsam mit lokalen Partnern zunächst einmal den Status quo. So lässt sich später seriös nachweisen, wie viel Treibhausgas eine Maßnahme tatsächlich eingespart hat. Die Details dazu hat das UN-Klimasekretariat in einem Handbuch vorgeschrieben. Vor der Einführung von Holzkochern müssen zum Beispiel 50 bis 100 zufällig gewählte Haushalte befragt werden, wie oft sie kochen, wie viel Holz sie dabei verbrauchen und woher das Holz kommt.

Läuft ein Projekt, schauen Mitarbeiter einmal im Jahr nach, ob es auch wirklich genutzt wird. Deren Berichte werden wiederum von unabhängigen Prüfern stichprobenartig kontrolliert. Die Prüforganisationen müssen sich regelmäßig beim UN-Klimasekretariat neu akkreditieren. Dies ist weit mehr als eine reine Formalie: Der TÜV Süd etwa hat 2010 seine Zulassung vorübergehend verloren. Laut UN-Klimasekretariat hatte er ein Projekt positiv beurteilt, obwohl es Zweifel daran gab, ob es wirklich zusätzlich und nicht ohnehin – auch ohne Förderung – durchgeführt worden wäre.

Atmosfair selbst hielt kritischen Untersuchungen bisher stand. Die Stiftung Warentest lobte die gGmbH 2013 als "transparent und gut organisiert". Und der Verbraucherzentrale Bundesverband setzte atmosfair 2010 auf Platz eins der Kompensationsanbieter. "Richtig verstandene Kompensation ist durchaus sinnvoll", meint auch Michael Angrick, Chef der Deutschen Emissionshandelsstelle.

"Sie macht einem die eigene Verantwortung im Klimaschutz bewusst. Sie reduziert zweitens den eigenen CO2-Fußabdruck. Und drittens entsteht bei richtig ausgewählten Projekten über die Klimawirkung hinaus ein sozialer Mehrwert, indem die nachhaltige Entwicklung eines Landes gefördert wird." (grh)