Griechenland und Ukraine: Kommt die EU-Krise zurück?

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnt vor einer Implosion der EU

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Ein "progressives Europa mit sozialer Gerechtigkeit" forderten am Montag der griechische Ministerpräsident Tsipras und sein portugiesischer Kollege António Costa. In den Medien wurde davon gesprochen, dass es eine Erklärung von zwei "linksgerichteten Regierungen" war.

Nun war vor einem Jahr Tsipras mit einer linkssozialdemokratischen Syriza angetreten und hatte dafür auch den Wählerauftrag bekommen, die Austeritätspolitik zu beenden. Nach einem mehrmonatigen Kampf musste Tsipras vor allem vor dem Druck von "Deutsch-Europa" kapitulieren. Die griechische Regierung machte nun deutlich, dass sie das Austeritätsprogramm weiterhin ablehnt. Aber sie war bereit, es umzusetzen.

Es gab eine Spaltung innerhalb von Syriza, ein Großteil der Basisaktivisten wandte sich enttäuscht von der Regierung ab. Auch die Hoffnungen, die parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken mit dem Kampf der griechischen Regierung gegen die Austeritätspolitik verknüpft hatten, waren verflogen. Hier begann die Umorientierung von einer Politik der sozialen Gerechtigkeit zu Abschottung und Entsolidarisierung, wie sie der Aufstieg der Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern charakterisierte.

Doch wenn die Verantwortlichen von "Deutsch-Europa" gedacht hätten, nun wären die Themen, die Syriza nach ihrem Wahlerfolg im letzten Jahr auf die Agenda gebracht hatten, endgültig erledigt, haben sie sich getäuscht.

An der gemeinsamen griechisch-portugiesischen Erklärung ist vor allem bemerkenswert, dass der portugiesische Regierungschef ein Sozialdemokrat ist, dessen Regierung allerdings seit einigen Monaten von dem Linksblock und der Kommunistischen Partei unterstützt wird.

Sie haben sich auf ein Regierungsprogramm geeinigt, das in den Grundzügen auch das fordert, wofür Syriza im letzten Jahr stand: ein Ende der Austeritätspolitik und ein sozialeres Europa. Die Kooperation der ungleichen und lange Zeit verfeindeten politischen Parteien ist erst vor dem Hintergrund der griechischen Erfahrungen möglich geworden.

Die Erpressung der griechischen Regierung wurde auch als Folge von deren Isolierung gesehen. Sowohl innerhalb Europas als auch in Griechenland hatte sie wenig Kooperationspartner. Diesen Fehler wollten die Linksparteien in Portugal nicht machen.

Auch in Spanien und Italien gibt es große Mehrheiten für die Grundsätze der griechisch-portugiesischen Regierung, auch wenn es dort bisher keine entsprechenden Regierungen gibt. Auch daran wird deutlich, dass die Forderungen in südeuropäischen Ländern noch mobilisierungsfähig sind.

Vor einem neuen Countdown zwischen Griechenland und der EU?

Doch es sind nicht nur diese bilateralen Erklärungen, die in Brüssel für Unruhe sorgen. Am vergangenen Freitag waren Vertreter der EU, der Europäischen Zentralbank und des IWF in Athen, um zu kontrollieren, ob die griechische Regierung weitere Fortschritte bei der Umsetzung des Austeritätsprogramms gemacht hat.

Dabei gab es sowohl zwischen der griechischen Regierung und den unterschiedlichen Kontrolleuren als auch innerhalb der unterschiedlichen Institutionen Auseinandersetzungen. Zur Frage, ob Griechenland eine Staatspleite droht, berichtet der Spiegel:

"Das könnte immer noch passieren. Derzeit hängt alles von den weiteren Verhandlungen ab. Im Juli laufen Kredite des IWF und der EZB an Athen im Volumen von gut 2,7 Milliarden Euro aus. Wenn die Gläubiger bis dahin kein Geld nachlegen, wird es eng für Griechenland."

Dass damit die alte, die EU spaltende Krise wieder auf der Agenda stünde, wird hingegen nicht erwähnt. Als Wikileaks dann noch Gesprächsprotokolle des IWF veröffentlichte, in denen offen ausgesprochen wurde, dass man auch der gezähmten Syriza-Regierung nicht traut und auch Vorschläge entwickelte, wie man den Druck auf die Athener Regierung weiter erhöhen kann, wurden Reminiszenzen an den Druck der Institutionen auf Athen wach.

Allerdings zeigen die geleakten Protokolle auch die Uneinigkeit der Institutionen. Das sind Widersprüche, die die Athener Regierung vielleicht ausnutzen kann. Zudem dürfte auch die Degradierung Griechenlands als Abschiebebahnhof für Migranten und die unsolidarische Haltung verschiedener EU-Staaten die Bereitschaft der griechischen Regierung auf einen neuen Kotau vor den Institutionen gedämpft haben.

Während der Türkei für ihre Beteiligung beim Deal bei der Rücknahme der Migranten neben Geld auch viele weitere Vergünstigungen zugesagt wurden, gibt es für das EU-Mitglied Griechenland keinerlei Konzessionen. Angesichts der langjährigen türkisch-griechischen Querelen dürfte sich die EU damit in Griechenland viele Sympathien verscherzt haben.

Es gibt dort heute sicher mehr Menschen, als noch vor einen Jahr, die auch zu einen Austritt aus der EU oder zumindest aus der Eurozone bereit wären, wenn der Druck aus Brüssel erneut steigt. Eine Mehrheit dürfte allerdings auch jetzt nicht für einen Abschied von der EU stimmen.

Auch in der Ukraine wächst die Ernüchterung über die EU

Doch auch an einer anderen Baustelle, in welche die EU in den letzten Jahren viel investierte, wächst die Ernüchterung über Brüsseler Politik. Die Rede ist von der Ukraine, wo seit mehr als einem Jahrzehnt beständig zwei Blöcke gegenüberstehen. Einer will die Kooperation mit Russland ausbauen, der andere sucht das Bündnis mit der EU.

Eine Politik der Neutralität, bei guten Kontakten zu beiden Seiten, könnte vielleicht das fragile innere Gleichgewicht bewahren. Doch die Maidan-Proteste gegen eine korrupte Regierung waren eskaliert, nachdem führende EU-Vertreter, unter anderem der damalige deutsche Außenminister, sich offen für die radikale prowestliche Fraktion aussprachen und dabei auch die Kooperation mit Ultrarechten zumindest in Kauf nahmen.

Dabei muss allerdings betont werden, dass der prorussische Block keineswegs progressiver ist und ebenfalls ultrarechte Kräfte einschließt. Doch in großen Teilen der ukrainischen Politik ist die Euphorie über die EU längst verflogen. Schließlich war der Preis für die einseitige Positionierung ein Konflikt mit Russland und der Verlust der Krim. Zudem stellt sich längst heraus, dass die Kappung alter wirtschaftlicher und politischer Kontakte zum russischen Nachbarn politisch und wirtschaftlich ein Desaster ist.

Mit dem aufpolierten Popanz des ukrainischen Nationalismus, inklusive seiner offen faschistischen Elemente wird nun versucht, die prowestliche Orientierung beizubehalten. Doch es gibt deutliche Anzeichen, dass die Kräfte, die zumindest einen Ausgleich mit Russland suchen, wieder an Ansehen in der Ukraine gewinnen. Sie hatten bei einigen regionalen Wahlen Erfolge.

Politberater aus den USA und der EU warnten in der letzten Zeit vor vorgezogenen Neuwahlen in der Ukraine, weil sie eine Niederlage der pro-EU-Kräfte befürchten. Das Szenario ist nicht neu. Schon einmal siegte die prowestliche orangene Revolution, deren Protagonisten sich zerstritten, und wenige Jahre später siegte der Block, der auf einen Ausgleich mit Russland setzt. Jetzt könnte sich ein solches Szenario wiederholen.

Dass in Holland in einem Referendum das Übereinkommen zwischen der EU und der Ukraine abgelehnt wurde, spielte dabei noch keine Rolle. Doch das Ergebnis könnte die Gegner einer weiteren Annäherung an die EU natürlich bestärken. Es zeigt sich daran, dass die Opfer, die die Ukraine aus Sicht der prowestlichen Kräfte für ihre Positionierung gebracht hat, nicht beachtet wurden.

Die Ergebnisse des holländischen Referendums haben sehr unterschiedliche Ursachen, es gab ein rechtspopulistisches und ein linkes Nein. Doch eins wird deutlich: Die Zeiten, in denen der Ukraine in vielen EU-Staaten wegen ihres angeblichen Freiheitskampfes gegen Russland scheinbar die Sympathien zufliegen, sind vorbei, wenn es sie je gegeben hat.

Fliehkräfte: Schulz warnt

Eine EU, die vor jedem Referendum über ein beliebiges Thema zittern muss, ob es zu den nötigen Mehrheiten kommt, verliert weiter an Vertrauen und Respekt. Auch das könnte in Staaten wie der Ukraine die Kräfte stärken, die sich für einen Austausch mit Russland stark machen.

Schon wird in Brüssel vor den Folgen eines Austritts Großbritanniens aus der EU gewarnt. Das könnte die Fliehkräfte in der EU verstärken. Andere Länder könnten sich daran ein Beispiel nehmen, warnte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Dann könnte die EU-Krise mit voller Wucht zurückkehren.

Selbst der nicht zu Pessimismus neigende Martin Schulz warnt vor einer Implosion der EU. Es gibt ja bereits ein historisches Vorbild: das Ende des nominalsozialistischen Blocks.