Der Plastikfischer

Als Boyan Slat seine Idee eines gigantischen Plastik-Fangnetzes für die Weltmeere vorstellte, hielten viele die Idee für absurd. Nun installiert er einen zwei Kilometer langen Prototyp vor Japan.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

Es mag öfters vorkommen, dass ein 18-Jähriger davon träumt, die Umwelt zu retten. Aber es ist selten, dass er es dann auch wirklich tut. Boyan Slat war 18, als er sich vornahm, die Weltmeere vom Plastikmüll zu säubern. 2013 gründete der junge Holländer an der TU Delft die Ocean Cleanup Initiative. Und jetzt, nach zahlreichen Tests, Expeditionen und Machbarkeitsstudien, steht nächstes Jahr die erste Nagelprobe für Slats ehrgeiziges Vorhaben an. Eine zwei Kilometer lange Filteranlage vor der japanischen Insel Tsushima soll der Welt beweisen: Es ist möglich!

Sie wird die größte schwimmende Struktur sein, die Menschen je gebaut haben – und könnte der erste Schritt zur möglichen Lösung eines gewaltigen Problems sein, vor dem schon viele kapituliert haben. Bis zu 150 Millionen Tonnen Plastik treiben in unseren Weltmeeren – es sind Schätzungen, genaue Zahlen hat niemand. Und jedes Jahr kommen weitere acht Millionen Tonnen hinzu – vom Wind verwehter Plastikmüll, über die Flüsse ins Meer gespült oder direkt aus Schiffen geworfen.

Die Plastikteile konzentrieren sich in fünf gigantischen Meereswirbeln, wo sie über Jahrzehnte unter dem aggressiven Einfluss des Salzwassers und der Sonnen-UV-Strahlung in immer kleinere Stücke zerfallen. Das Plastik tötet nicht nur die Meerestiere, die es fressen. Er kommt auch über die Fischerei wieder zurück auf unsere Teller – und mit ihm jede Menge giftiger Chemikalien, die an das Plastik gebunden sind.

Boyan Slat, mittlerweile 21, hat sein Raketenbaustudium nun geschmissen. "Ein Studium ist ein großartiges Werkzeug, um zu erreichen, was man erreichen möchte", sagt er. "Aber wenn man es auch anders schaffen kann, spart das fünf Jahre Zeit." Und Zeit ist etwas, das er derzeit nicht hat. Nach dem Probelauf in Japan bleiben ihm nur noch vier Jahre, um seine riesige Meeres-Reinigungsanlage zu bauen.

Seit 2013 arbeitet der junge Holländer unermüdlich daran, seine Vision eines 100 Kilometer großen Wasserfilters zu verwirklichen. Es ist eine schwimmende Struktur mit zwei V-förmigen Fangarmen, von denen eine Plane etwa drei Meter tief ins Wasser hängt. Die Arme sind mit kilometerlangen Seilen am Meeresboden befestigt. Durch die Ozeanströmung angeschwemmt, soll sich das Plastik nach und nach an den Fangarmen sammeln, zur Mitte des Vs treiben und dort in einem Förderturm automatisch gepresst werden. Alle paar Wochen holt ein Schiff dann den Müll ab. So Slats Plan. In etwa zehn Jahren, hat er errechnet, könnte seine Filteranlage etwa 70000 Tonnen einsammeln. Das ist zwar nur ein Bruchteil des gesamten Plastiks, aber immerhin die Hälfte des im Nordpazifik-Wirbels treibenden. Würde man an jedem Wirbel einen Filter installieren, glaubt Slat, wären in einigen Jahren die Meere sauber.

Vor der japanischen Insel Tsushima wird Slat noch in diesem Jahr eine verkleinerte Version dieses Filters bauen. Die Insel liegt in der Meerenge zwischen Südkorea und Japans südlichster Insel Kyushu. Für Slats Vorhaben bietet sie ideale Voraussetzungen. Die Strömungsverhältnisse passen, und es gibt jede Menge Müll: 30000 Kubikmeter spülen jährlich an die Strände Tsushimas und werden derzeit von den 30000 Inselbewohnern per Hand eingesammelt.

Das kostet die Regierung fünf Millionen Dollar, jedes Jahr. Daher sei die Regierung Tsushimas außerordentlich interessiert gewesen an seiner Anlage, erzählt Slat. Zusammen mit acht anderen Interessenten habe sie sich regelrecht darum beworben. Das gesammelte Plastik will Tsushimas Regierung zur Energieversorgung der Insel nutzen.

Es war nicht immer so, dass sich die Welt um Boyan Slats Idee riss. Als Technology Review den jungen Erfinder vor anderthalb Jahren in Delft besuchte, war er ziemlich erschöpft. Damals hatten er und seine über einhundert Mitarbeiter gerade eine 528 Seiten schwere Machbarkeitsstudie veröffentlicht. Es war ein unglaublicher Kraftakt und eine ausführliche Antwort auf die vielen kritischen Stimmen. Wissenschaftler und Techniker hatten ihm vorgeworfen, das Problem zu unterschätzen, und auf viele mögliche Schwachpunkte in dem Vorhaben hingewiesen. Einen nach dem anderen räumten Slat und sein Team, in dem ebenfalls viele Wissenschaftler und Ingenieure mitarbeiten, Punkt für Punkt aus.

Die wissenschaftliche Kritik verstummte größtenteils, nicht aber die einiger Umweltorganisationen. Ihnen war das Projekt ein Dorn im Auge. Was zunächst verwundert, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als eine Frage des Prinzips. Manche Umweltorganisationen sehen in Slats riesigem Müllfilter einen Persilschein für menschliches Fehlverhalten. Er bekämpfe Symptome statt die Ursache – nämlich Plastikmüll zu vermeiden, bevor er im Ozean landet. Diese Kritik konnte Slats Machbarkeitsstudie naturgemäß nicht ausräumen. Sein Konter war allerdings ebenso berechtigt: Weniger Plastik wegzuwerfen hilft nichts gegen das Plastik, das schon im Meer schwimmt.

Er war nicht der Einzige mit dieser Meinung: 2,2 Millionen US-Dollar strich Slat im Anschluss an seine Machbarkeitsstudie mit einer Crowdfunding-Kampagne ein – in nur 100 Tagen. 38.000 Menschen aus 160 Ländern hatten ihn mit ihrem Geld unterstützt. Damit finanzierte der 21-Jährige seine Mega-Expedition: 30 Schiffe untersuchten im Nordpazifik Dichte und Verteilung des Plastikmülls. Die Pilotanlage in Japan wird sich dem harten Realitätstest stellen müssen. 29 Millionen Dollar soll sie kosten. Das Geld dafür hat Slat bereits eingesammelt. Jetzt kann er sich dem Müll widmen. (jlu)