Gene Drives: Angriff auf die Evolution?

Dank neuer gentechnischer Verfahren lassen sich vom Menschen vorgenommene DNA-Veränderungen schnell in Pflanzen- oder Tierpopulationen verbreiten. Eine Studie der US-Nationalakademien warnt vor den Gefahren.

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Von
  • Mike Orcutt
Inhaltsverzeichnis

Jeder kennt den Superheldenspruch: "With great power comes great responsibility" – große Macht setzt viel Verantwortungsgefühl voraus. Im Fall der sogenannten Gene Drives, zu Deutsch: Gen-Antriebe, stimmt das definitiv. Diese neuen gentechnischen Verfahren erlauben eine besonders schnelle Ausbreitung genetischer Veränderungen in der Tier- und Pflanzenwelt.

Noch ist völlig unklar, wie sicher der Ansatz ist. Es gebe "deutliche Wissenslücken" über potenzielle Konsequenzen beim Einsatz der Gene Drives in der Natur, schreiben die amerikanischen National Academies für Science, Engineering and Medicine (NAS) nun in einem aktuellen Report. Entsprechend sei es unverantwortlich, die Technik ungeschützt einzusetzen.

Fokus: Gentechnik

Gene Editing und Gene Drive sind die Schlagworte in der aktuellen Gentechnik. Der Fokus unserer Juni-Ausgabe beschäftigt sich mit diesem Thema.

Gene Drives bieten Forschern zufolge viele Chancen – beispielsweise beim Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Zika oder Malaria, die über bestimmte Lebewesen (in diesem Fall Moskitos) verbreitet werden. Interessant ist das Verfahren auch in der Landwirtschaft (gegen Schädlinge) oder invasive Spezies (die schwere Schäden in der Natur anrichten).

Doch der 200 Seiten starke Bericht der NAS, der von einer Kommission aus 16 Experten verfasst wurde, zeigt, wie schlecht die Forschung darauf vorbereitet ist, die Risiken für Umwelt und Ökosysteme bei der Verwendung der Verfahren abzuschätzen. Gleiches gilt für diejenigen, die Gesetze und Bestimmungen abfassen müssen, die Gene Drives künftig regeln sollen.

Die Technik wurde von einem Naturphänomen inspiriert, bei dem bestimmte "egoistische" Gene ("selfish genes") mit einer höheren Frequenz vererbt werden, als dies in der Natur normalerweise bei sexuell reproduzierenden Organismen der Fall wäre. Es gibt mehrere Möglichkeiten, Gene Drives im Labor zu erzeugen. Aktuell wird vor allem das Geneditierwerkzeug CRISPR verwendet, das schnell und effizient ist. Versuche bei Moskitos, Fruchtfliegen und Hefen legen nahe, dass sich ein verändertes Gen so durch nahezu 100 Prozent einer Population verbreiten lässt.

Die möglichen ökologischen Folgen, erwünschte wie unerwünschte, sind jedoch keineswegs klar. Wie lange würden die Gene Drives in der Umwelt weiterwirken? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein veränderter Organismus die Gene an andere Organismen weitergeben könnte, die nicht bedacht wurden? Welche Auswirkungen hat die Technik auf das gesamte Ökosystem? Und wie stark hängen all diese Faktoren vom jeweiligen Organismus und/oder Ökosystem ab?

Die molekularbiologische Forschung auf dem Gebiet der Gene Drives ist mittlerweile weiter als die sie begleitende Ökologie. Doch nur diese Wissenschaft kann uns sagen, wie sich Gene durch Populationen und zwischen Spezies bewegen, so die NAS. Es sei daher unmöglich, die oben gestellten Fragen zu beantworten – und viele andere, womöglich noch problematischere. "Substanziell mehr Laborarbeit" samt abgeschirmter Feldtests seien notwendig, um die Risiken besser zu verstehen.

Die Autoren des Berichts fordern die Gene-Drive-Forscher auf, extrem vorsichtig mit modifizierten Organismen umzugehen, damit diese nicht unbeabsichtigt in die Natur gelangen können. Sie warnen davor, dass die Technik die Politik überfordern könnte, die bislang noch keinerlei adäquate Gesetze geschaffen hat.

Kevin Esvelt, Biologe und Professor am MIT Media Lab, meint, dass der NAS-Report "viel richtig" mache, in seinen Empfehlungen aber nicht weit genug gehe. Da es möglich sei, dass Gene Drives durch einen einzelnen Organismus durch eine gesamte Spezies verbreitet werden, entspreche "eine Freisetzung an einem Ort einer Freisetzung überall". Esvelts Forderung: Jeder Forscher, der Gene Drives nutzen wolle, müsse seine Pläne öffentlich machen, bevor er mit seinen Experimenten beginnt. ()