Erleichterter Zugang für Blinde: EU im Hintertreffen

Ein internationales Abkommen erleichtert die Umwandlung urheberrechtlich geschützter Werke für Sehbehinderte. Bürokratische Hürden verzögern möglicherweise ihre Umsetzung in Europa.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 61 Kommentare lesen
Erleichterter Zugang für Blinde: EU im Hintertreffen

Startseite der WIPO

(Bild: WIPO)

Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Am 30. September 2016 tritt der Vertrag von Marrakesch in Kraft, eine Urheberrechtsschrankenregelung zugunsten blinder und sehbehinderter Menschen. Durch seine Ratifizierung am 30. Juni 2016 hat Kanada dafür den Weg geebnet. Europa sucht man in der Ratifizierungsliste vergeblich.

Ziel der Schrankenregelung ist es, die sogenannte „Büchernot“ für Blinde und Sehbehinderte zu bekämpfen. Über 90 Prozent der weltweiten Buchproduktionen bleiben den Behinderten bislang unzugänglich. Weder in Entwicklungs- noch in den Industrienationen gibt es einen funktionierenden Markt.

Die ersten 20 Länder, für die die Blindenschranke am 30. September in Kraft tritt, sind: Argentinien, Australien, Brasilien, Kanada, Chile, Ecuador, Südkorea, El Salvador, Guatemala, Indien, Israel, Mali, Mexiko, die Mongolei, Paraguay, Peru, Nordkorea, Singapur, die Arabischen Emirate und Uruguay.

Grund für die Verzögerung in Europa ist dem Anschein nach ein Kompetenzgerangel zwischen sieben Mitgliedsstaaten, einschließlich Deutschlands, und der Kommission. Die Kommission habe "die ausschließliche Kompetenz für die Ratifizierung des Vertrags" beansprucht, rechtfertigte die Bundesregierung ihre Blockadehaltung Anfang des Jahres in der Antwort auf eine kleine Anfrage.

Beim Deutschen Blinden- und Sehbehinderten-Verband (DBSV) begrüßte man das Inkrafttreten der neuen Schrankenregelung und bedauerte gleichzeitig das Hinterherhinken Europas. Prof. Dr. Thomas Kahlisch, stellvertretender Vorsitzender der Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen e.V. (Medibus) und DBSV-Präsidiumsmitglied nannte es in einer Pressemitteilung schade, dass Deutschland nicht zu den ersten 20 Ländern gehöre und appellierte an die Bundesregierung, endlich ihre „Bummel-Strategie“ aufzugeben.

Jessica Schröder, beim DBSV verantwortlich für den Bereich Internationales, hofft nach wie vor, dass es vorwärts geht, wenn im September das Gutachten aus Luxemburg vorliegt und ein derzeit von der Kommission vorbereiteter zweiter Entwurf für die Ratifizierung. Für sie zugänglich ist das überarbeitete Dokument allerdings noch nicht.

Die Blindenverbände wundern sich, was für seltsame Blüten der Ratifikationsprozess hervorbringt. So argumentierte der Rechtsdienst der Kommission zwischendurch, dass Blindenschranken eine Diskriminerung darstellen können – gegenüber anderen Behindertengruppen. (imj)