Wie kommen interne Polizeidaten auf Neonazi-Homepage?

Berliner Theater um Rigaer Straße 94: Datenleaks und Vorwürfe der Flüchtlingsfeindlichkeit bei linken Gruppierungen

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Interne Daten über Bewohner des linken Hausprojekts Rigaer Straße 94 landeten auf einer ultrarechten Homepage. Unter Halle Leaks finden sich die teilweise geschwärzten Angaben von 10 Personen, die bei einer Polizeirazzia im Januar 2016 kontrolliert wurden. Die anonymen Betreiber der rechten Webseite erklären, im Besitz von 73 Datensätzen zu sein und schreiben mit klar rassistischer Diktion: "Die Namen lesen sich wie ein Who is Who aus einem polnischen Telefonbuch."

Diese Töne sind bei einer Webseite nicht verwunderlich, deren Betreiber Mitglied des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour war. Seit Monaten waren auf Halle Leaks immer wieder Falschbehauptungen und Verleumdungen über Geflüchtete zu finden. Ende Juni war das Portal von Facebook abgeschaltet worden.

In einer Stellungnahme von Bewohnern der Rigaer Straße 94 werden schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben.

"Die veröffentlichten Screenshots beweisen zum einen, dass die Polizei eine Datenbank angelegt hat, in der alle erfasst werden, die das Haus betreten. Zum anderen zeigt der Leak, dass es personelle Verknüpfungen der Einsatzkräfte mit organisierten Nazis gibt.“

Die Pressestelle der Berliner Polizei bestätigte die Echtheit der veröffentlichten Dokumente:

"Im Ergebnis einer intensiven Prüfung kann bestätigt werden, dass es sich um ein Dokument aus einer Ermittlungsakte handelt, die sich inhaltlich mit einer Auseinandersetzung am 14. Januar 2016 in der Rigaer Straße zwischen mutmaßlich linken und rechten Tatbeteiligten befasst. Am Tattag sollen drei Personen, die augenscheinlich der rechten Szene zuzuordnen waren, von Bewohnern der Rigaer Straße 94 angegriffen worden sein. Vor diesem Hintergrund ist von der Polizei Berlin ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eröffnet worden, in dem sowohl die Personalien der angegriffenen Personen, als auch die einiger Bewohner der Rigaer Straße 94 erfasst worden sind."

Dabei habe es sich um Beschuldigte, aber auch um potentielle Zeugen gehandelt. Mittlerweile hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Weitergabe der Daten eingeleitet. Zurzeit untersuche die Polizei alle Möglichkeiten, wie es zu dem Datenleak gekommen ist. Polizeipressesprecher Winfried Wenzel betonte, dass neben Polizisten auch Staats- und Rechtsanwälte Einsicht in die Unterlagen gehabt haben.

So hätten Anwälte der Neonazis bei der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht genommen. Der innenpolitische Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Hakan Tas, äußerte die Befürchtung, dass sich die Polizei zu schnell darauf festlegen könnte, dass die Daten nur von den Anwälten der Rechten weitergeleitet worden sein können. Er erklärte:

"Es muss eine ergebnisoffene Prüfung geben, bei der auch mögliche Informanten in den Kreisen der Polizei in Erwägung gezogen werden müssen."

Inzwischen sorgt das Datenleak auch für Zwist zwischen den Parteien. Nachdem die grüne Fraktionsvorsitzende Ramona Popp Berlins Innensenator Henkel aufgefordert hat, zur Datenweitergabe Stellung zu nehmen, kam prompt die Retourkutsche vom Innensenat: "Ich kann nur jedem empfehlen, hieraus keinen Polizeiskandal zu konstruieren, sondern das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten“. erklärte Henkel in einer Pressemeldung.

Wie Geflüchtete und alternative Projekte gegeneinander ausgespielt werden

Die Angelegenheit hat neben den datenrechtlichen Fragen aber noch eine kaum diskutierte Komponente. Auf der Neonazi-Homepage werden die Bewohner der Rigaer 94 als linke Flüchtlingsgegner und besorgte Linke tituliert.

Der Protest der Bewohner und von Stadtteilinitiativen gegen die Teilräumung und Besetzung der Rigaer Straße wird als Protest gegen die Errichtung eines Flüchtlingsheims umgedeutet und die Polizeipräsenz wird zum Schutz eines geplanten Flüchtlingsheims. Damit beteiligen sich die Ultrarechten an einem Spiel, das auch die Senatsparteien spielen.

Geflüchtete und alternative Projekte werden gegeneinander ausgespielt. Dagegen haben Flüchtlingsinitiativen wie "Moabit hilft" in einer Erklärung ihre Solidarität mit dem Hausprojekt betont:

"Friedrichshain hilft e.V.i.G. und Moabit hilft e.V. verbindet eine sehr enge Beziehung zur Rigaer Straße 94, da die Bewohner als Erste kostenlosen Wohnraum für Friedrichshain hilft e.V.i.G. als Spendenkammer zur Verfügung gestellt und besonders schutzbedürftigen Flüchtenden mittelfristig Unterkunft gewährt haben. Die Aktion der Berliner Polizei in Zusammenarbeit mit der Hausverwaltung erscheint uns zynisch, da die Rigaer Straße bis dato von Flüchtenden als Begegnungs- und Rückzugsort rege in Anspruch genommen wurde."

Am heutigen Montag werden auch Geflüchtete mit einer Demonstration das Hausprojekt unterstützen. Auch die Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner Mietergemeinschaft hat sich bereits dagegen gewandt, dass Geflüchtete und alternative Projekte gegeneinander ausgespielt werden.

Das geschieht allerdings nicht nur im Fall der Rigaer Straße 94. Bereits im letzten Jahr sollte das seit 25 Jahren bestehende Berliner Wohn- und Kulturprojekt Wagenburg Schwarzer Kanal e.V. einen Vertrag unterschreiben, in dem eine Klausel die Aufnahme von Geflüchteten verbietet. Die Bewohner stellten klar, dass sie eine solche Klausel ablehnen und nicht unterschreiben werden.

Für das Gelände in der Kiefholzstraße in Neukölln, auf dem sich die Wagenburg seit 2010 befindet, verhandeln der Verein Schwarzer Kanal e.V. mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben über neue Verträge. War zunächst die Höhe der Mietforderungen strittig, könnte nun die kritisierte Klausel eine Einigung erschweren. So sei "der Vertrag unverzüglich zu beenden […] wenn der Verein 'Wagenburg Schwarzer Kanal e.V.' auf der Mietfläche Flüchtlingen Obdach gewährt”, der Stein des Anstoßes.

“Diese Klausel ist weder mit unserer Vereinssatzung noch mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vereinbar”, begründete ein Vereinsmitglied die Ablehnung. Der Hintergrund für die Klausel war die Angst, dass sich ähnlich wie am Oranienplatz der Widerstand der Geflüchteten auch in andere Stadtteile ausbereitet.

Nachdem sich die Bewohner geweigert haben, eine solche Klausel zu unterschreiben, sollen nun auf dem Gelände Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Dafür wurden die Bewohner des Projekts von konservativen Medien in die Nähe von Flüchtlingsgegnern gerückt.

Wenn nun von Ultrarechten über eine angebliche Flüchtlingsfeindlichkeit der Projekte lamentieren, springen sie auf die Kampagne der Politik auf. Dabei wird unterstellt, wer sich für die Interessen der Geflüchteten einsetzt, sei verpflichtet, sie persönlich aufzunehmen. Abgesehen davon, dass das vielen Menschen gar nicht möglich ist, handelt es sich um eine "reaktionäre Forderung". Die Aufnahme von Geflüchteten ist kein Gunsterweis, kein Gnadenakt, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe, an der sich alle Einwohner beteiligen müssten.