Spielen mit Geruch und Geschmack

Heutige Computerspiele sind höchst aufwendig, sprechen aber trotzdem meist nur Augen und Ohren an. Entwickler sind dabei, noch weitere Sinne zu berücksichtigen – nicht nur zur Unterhaltung.

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Von
  • Christina Couch
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Bei Planet Licker, einem innerhalb von 48 Stunden beim Entwickler-Event Ludum Dare geschriebenen Spiel, geht es darum, ein Pixelmonster zu bewegen, indem man ganz real Wassereis leckt. Die 3,5 Zentimeter hohen Eiskugeln befinden sich in winzigen Metalltassen, die mit einer Makey-Makey-Schaltplatte im Controller für das Spiel verbunden sind. Indem man den Controller festhält und mit der Zunge eine der drei Kugeln berührt, steuert man das Monster auf dem Bildschirm. Das Lecken eines bestimmten Geschmacks – wie Grapefruit, Honig, Limonade oder Zuckkerübe – lenkt es zum nächstgelegenen Digitalplaneten mit der entsprechenden Farbe.

Das Spiel ist zugegebenermaßen sinnlos und kommerziell unrealistisch, doch Geld verdienen soll Planet Licker auch gar nicht, sagt Andy An, der Industriedesigner, der den zungenbetriebenen Controller gebaut hat. "Wir wollten nur andere Sinne bei der Spielentwicklung nutzen und mit unterschiedlichen Lebensmitteln herumprobieren", sagt er.

Entwickler wie Forscher suchen seit langem nach sicheren und praktischen Methoden, um Geschmack und Geruch in Spiele zu integrieren und auf diese Weise immersive Erlebnisse zu ermöglichen, die alle Sinne ansprechen. Planet Licker ist das einzige Spiel (das wir kennen) mit essbaren Knöpfen aus Eis. Doch es gibt weitere Projekte, die Spiele mit Geschmack und Geruch anreichern wollen. Eines ist der "elektronische Lutscher" der National University of Singapore; er sendet elektrische Signale an die Zunge, um Nutzern das Gefühl zu geben, sie würden Bitteres, Süßes, Salziges oder Saures schmecken. Oder Feel Real VR, eine Maske für Nase und Mund, die an ein Virtual-Reality-Headset wie Oculus Rift oder Sony Morpheus angeschlossen wird. Feel Real kann bis zu sieben unterschiedliche Gerüche erzeugen, darunter Blumen, Fleisch und verbranntes Gummi; für 300 Dollar können Nutzer eigene Gerüche zusammenstellen.

Diese Technologien haben enormes Potenzial, die Art und Weise zu verändern, wie wir Spiele spielen. Wir könnten an Essen aus Pixeln riechen oder stinkende Monster, bevor sie angreifen. Allerdings geht es dabei nicht nur darum, bessere Unterhaltungsangebote zu entwickeln, sagt Heather Kelley, Dozentin an der Carnegie Mellon University, die sich mit sensorischem Interaktionsdesign beschäftigt. Anwendungen gebe es auch bei Gesundheit und Rehabilitation.

Virtual Afghanistan etwa ist ein VR-Programm, das derzeit zur Behandlung von Veteranen eingesetzt wird, die nach Kämpfen unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Es nutzt bereits Gerüche sowie visuelle, Audio- und taktile Reize, um den Patienten dabei zu helfen, ihre Reaktionen auf das Trauma zu kontrollieren. Und Forscher an der Universität Malmö in Schweden arbeiten mit einem geruchsbasierten Spiel namens NoseWise, um herauszufinden, ob die Stimulierung der olfaktorischen Sinne (und die Erinnerungen, die mit bestimmten Gerüchen zusammenhängen) die kognitive Degeneration verlangsamen kann, die bei Krankheiten wie Alzheimer und Demenz auftritt.

"Wenn man 'Spiele' nur als Software versteht, die man zuhause auf einem Bildschirm spielt, ignoriert man riesige Bereiche mit kreativem und kommerziellem Potenzial", sagt Kelley.

Geschmack und Geruch zu erzeugen, ist schwierig. Es gibt mehrere Gründe, warum die beiden Sinne bei Spielen bislang vernachlässigt wurden – für den Anfang etwa Hygiene- und Allergie-Bedenken. Um diese Hürden zu überwinden, ragen die Eiskugeln bei Planet Licker deutlich aus dem Controllers heraus, so dass Spieler daran lecken können, ohne den Controller selbst zu berühren. Geschmolzenes sammelt sich in den Metalltassen, so dass ein Auslaufen und das Verbreiten von Keimen verhindert wird.

Planet Licker sei ein guter "erster Schritt" zur Integration von Geschmack in Spiele, sagt Kelley. Doch bis Spieleeentwickler Geschmack und Geruch so intensiv zum Geschichtenerzählen einsetzen können wie heute Video- und Audio-Informationen, werde es noch eine Weile dauern.

(sma)