Die oder wir?

Wenn wir den Hass im Internet unter Kontrolle bekommen wollen, greifen die alten Rezepte nicht mehr.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.

Es gibt nicht wenige journalistische Kollegen, die nach der Twitter-Sperrung von Milo Yiannopoulos – ein "konservativer britischer Kolumnist", den ich allerdings eher als rechtspopulistischen Krawallbruder bezeichnen würde – ihre Liebe zur unbedingten freien Rede entdeckt haben. Sie argumentieren, dass alles, was nicht verboten ist – also nicht strafrechtlich relevant – auch erlaubt sein müsse. Wenn also jemand wie "HJ-Höcke" im Internet vom unterschiedlichen Reproduktionsverhalten des Afrikaners schwadroniert, um Bilder von einem bevorstehenden Rassenkrieg heraufzubeschwören, muss man das dulden. Alles andere wäre Zensur, und Zensur ist falsch und böse.

Ich halte diese Auffassung für falsch, und eine jüngst erschienene Untersuchung der Soziologinnen Katja Rost und Lea Stahl von der Universität Zürich und des Ökonomen Bruno S. Frey von der Universität Basel unterfüttert diese Einschätzung.

Die Forscher haben mehr als 500.000 Kommentare zu rund 1600 Online-Petitionen der Plattform www.openpetition.de auf Hasskommentare untersucht. Ein recht überraschendes Ergebnis war, dass die Verfasser von Hasskommentaren, häufiger unter ihrem vollen Namen posten, als anonyme Hasskommentare zu schreiben.

Das widerspricht dem gängigen Bild vom boshaften Internet-Troll, der seiner Bosheit im Schutz des Internets unter dem Deckmantel der Anonymität freien Lauf lässt, weil er dort nichts zu befürchten hat. Wie lässt sich dieser Widerspruch verstehen? Die Antwort ist nicht beruhigend: Die Funktion von Hasskommentaren sei es keineswegs nur, persönlichen Frust abzulassen, schreiben die Autoren. Vielmehr ginge es den "Hatern" darum, aus ihrer Perspektive unerwünschtes soziales Verhalten abzustrafen – und abzustellen.

"Hasskommentatoren (können) die Mitmenschen in ihren sozialen Netzwerken leichter überzeugen und mobilisieren, wenn sie mit ihrem richtigen Namen auftreten", schreiben sie. "Dadurch signalisieren sie Risikobereitschaft, um ihre Meinungen öffentlich kundzutun, und erarbeiten sich so einen Vertrauensbonus. Im Idealfall kann dies ihren sozialen Status erhöhen, da sie sich in digitalen Netzwerken wie Facebook in 'Freundeskreisen' bewegen, in denen ihre Äußerungen dank 'Shares' und 'Likes' widerhallen." Kurz: es bilden sich mehr und mehr digitale Bürgerwehren, denen Meinungsfreiheit und aufgeklärter demokratischer Diskurs herzlich egal sind. Ein gefährliche Gemengelage, die umso bedenklicher wird, als wir mehr in eine Post Fact-Gesellschaft reinrutschen – eine Gesellschaft, in der Tatsachen und Fakten als überholt gelten.

Der Ruf nach Klarnahmenpflicht für Foren greift hier also ebenso ins Leere, wie die alte Internet-Weisheit "Don't feed the Troll". Ignorieren von Trollen ist keine Lösung mehr. Ich fürchte zudem, dieser Schlammflut des Zeitgeistes kommen wir mit sachlichen Diskussionen nicht bei. Es geht längst nicht mehr darum, wer die besseren Argumente hat. Es geht darum, wer den öffentlichen Raum des Internet in Zukunft beherrscht: ein homophober, frauenfeindlicher, rassistischer Mob, oder die Leute, die mal aufgebrochen sind, um mit dem Netz die Welt zu einem besseren Ort zu machen. (wst)