Post aus Japan: Pokémon-Hype mit Nebenwirkung

Der Aktienpreis Nintendos schoss in einer Woche um 80 Prozent in die Höhe – und fiel dann auch gleich wieder.

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Von
  • Martin Kölling
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Auch der japanische Videospielhersteller Nintendo ist nicht vor unbeabsichtigten Nebenwirkungen seiner Games gefeit. Kaum hob die jüngste App Pokémon Go in den USA ab, warnte auch schon die Polizei die Spieler. Einige Ganoven nutzten ein Feature des Games, um andere App-User zum Mitspielen anzulocken und dann auszurauben.

Es lohnt sich anscheinend. Denn die Anziehungskraft der Jagd auf kleine virtuelle "Pocket Monster", die in Smartphones in Echtzeit in die Bilder eingeblendet werden, die die Kamera gerade aufnimmt, ist enorm. In jeder Region, in der die App startete, hat sie einen riesigen Hype ausgelöst.

Auch die Anleger spielen seither verrückt. Nachdem Nintendos Aktie monatelang zwischen 14000 Yen und 18000 herumdümpelte, schoss sie seit dem Start des Spiels in der vorigen Woche bis Donnerstag um 80 Prozent auf 25300 Yen empor. Doch ist das Ganze nur ein Strohfeuer?

Der Wert der Firma ist zwar nicht vollständig abwegig. Doch wenn man Han Joon Kim von der Deutschen Bank in Hongkong traut, hat Nintendos Aktie nun ihr mittelfristiges Potenzial ausgeschöpft. Er hatte schon vor dem Boom ein Kursziel von 23600 Yen ausgeben. Denn er glaubt an die Macht mobiler Spiele. Allerdings sollte der Wert erst in zwölf Monaten erreicht werden.

Der Grund für den Überschwang: Nach langer Leidenszeit beginnen urplötzlich selbst skeptische Investoren an das Potenzial von Nintendos neuer Strategie zu glauben. Bisher nahmen Smartphones den Nachfahren von Nintendos innovativen, durch Touchscreens oder Bewegungen gesteuerten Spielekonsolen DS oder Wii die Hauptkundschaft weg: die Gelegenheitspieler.

Der Absatz stürzte daher seit Jahren ab. Dennoch sperrte sich das Management gegen den Rat von Experten, die starke Marke der Firma und seiner Spielfiguren wie Super Mario zu nutzen, um auch im mobilen Internet abzusahnen. Spiele gehören auf die Konsole, so Nintendos fixe Idee. Denn viele Entwickler sorgten sich, mit kurzlebigen und simplen Apps das Spielerlebnis zu verwässern.

Erst nachdem Nintendo dauerhaft in der Verlustzone steckte, konnte der legendäre Firmenchef Satoru Iwata kurz vor seinem Tod den Widerstand brechen. Zwar soll 2017 mit der NX auch eine neue Konsole kommen. Aber Nintendo entschloss sich nicht nur, seine digitalen Helden auch unter dem Namen Amiibo als reale Sammlerfiguren zu versilbern, sondern auch eine Allianz mit dem japanischen Online-Spielanbieter DeNA einzugehen, um die Nintendo-Familie aufs Handy zu bringen. "Es wäre eine Verschwendung, die mobilen Geräte nicht zu nutzen", erklärte Iwata 2015.

Das Echo auf die ersten Spiele war zwar mau, aber die Zuversicht der Nintendo-Bullen blieb groß: "Nintendo wird jedes Jahr Milliarden US-Dollar auf mobilen Geräten machen", sagt der Game-Berater und -Analyst Serkan Toto voraus.

Es gilt zwar als schwierig, mit Apps dauerhaft das große Geld zu machen. Aber Nintendo habe einen Wettbewerbsvorteil, meint Toto, die extrem hohe Bekanntheit der Figuren. Der Beleg: Pokémon Go schaffte es ohne Werbung in wenigen Tagen zum Bestseller in den USA. Der Rest ist Geschichte.

Die Ironie: Die virtuellen Monster werden nicht einmal der wirkliche Durchbruch von Nintendos App-Geschäft sein. Mehr noch: Sie werden sich kaum auf die Bilanz auswirken.

Denn erstens entspringt die App nicht den Programmierstuben Nintendos, sondern denen der Pokémon Company und des Entwicklers Niantic. An beiden ist Nintendo zwar beteiligt. Aber nur bei der Pokémon Company sei der Aktienanteil mit 32 Prozent hoch genug, den Reingewinn der Gesellschaft anteilig in Nintendos Bilanz zu verbuchen, meint Mia Nagasaka von Morgan Stanley MUFG Securities.

Zweitens wird sich erst ab Herbst zeigen, ob die Hoffnungen auf das neue Geschäftsfeld berechtigt sind. Dann beginnen Nintendo und DeNA Smartphone-Versionen wichtiger Titel wie "Animal Crossing", "Fire Emblem" und "The Legend of Zelda" zu lancieren.

Vorsicht daher mit zu großen Vorschusslorbeeren. Selbst Nintendo erwartet noch keine Wende. Für dieses bis März 2017 laufende Bilanzjahr erwartet der Konzern, dass der Absatz erneut leicht auf 500 Milliarden Yen fällt. Auch der erwartete Reingewinn beträgt mit 35 Milliarden Yen nur ein Bruchteil aus den Rekordjahren.

Zudem drückt der Höhenflug des Yen die Gewinne. Wenn die kommenden Spiele oder die neue Konsole floppen, dürfte daher auch die Euphorie verpuffen. Für Nintendo hat das neue Spiel gerade erst begonnen. ()