Die Eltern sollen entscheiden

Immer zahlreichere pränatale Tests setzen werdende Eltern unter Zugzwang: Wollen sie die Diagnose? Und sollen sie den Fötus abtreiben lassen, wenn er das Down-Syndrom hat? Die neuen Bluttests machen die Entscheidung nicht leichter.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Neun von zehn ungeborenen Kindern, bei denen Trisomie 21 diagnostiziert wurde, werden den Statistiken zufolge abgetrieben. Bislang erfolgte die Diagnose des Down-Syndroms in Deutschland meist im Anschluss an eine Nackentransparenzmessung und die für den Fötus nicht risikofreie Fruchtwasseruntersuchung. Seit 2012 kommen nun aber immer mehr Bluttests zum Einsatz, mit denen von der 12. Schwangerschaftswoche an das Down-Sydrom festgestellt werden kann. Auch die noch selteneren Trisomien 13 und 18 lassen sich damit nachweisen. Bisher muss der Test allerdings, der etwa rund vierhundert Euro aufwärts kostet, von den künftigen Eltern selbst bezahlt werden.

Das könnte sich in Zukunft ändern. Dann könnten die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Um das zu prüfen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin Mitte August, "ein Bewertungsverfahren zur nicht-invasiven Pränataldiagnostik (NIPD)" eingeleitet, wie die Online-Ausgabe der Deutschen Apotheker Zeitung berichtete. Das Bewertungsverfahren für die Bluttests wird bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen.

Kritiker allerdings befürchten, dass sich die Untersuchung in der Praxis zu einem Routinetest entwickelt, wenn er erst einmal von den Krankenkassen bezahlt wird. Der Bluttest könnte dann quasi allen älteren Schwangeren ab 35 Jahren automatisch angeboten werden, bei denen ein höheres Risiko besteht, ein Kind mit Down-Sydrom zur Welt zu bringen.

Aber gerade an diesem Punkt scheiden sich die Geister: Der Test basiert nicht auf einer Heilungsabsicht. Vielmehr werden die potenziellen Eltern vor die Wahl gestellt, ob sie dieses Kind mit dieser Behinderung haben wollen. Das führt im Umkehrschluss dazu, dass sich die Eltern von behinderten Kindern fast schon dafür rechtfertigen müssen, etwa ein Kind mit Down-Syndrom groß zu ziehen. Sehr eindrücklich, warmherzig und zeitkritisch schildert die Hamburger Kinderbuchautorin Birte Müller in ihrer monatlichen Kolumne für das Magazin a tempo das Leben ihrer Familie mit Willi, der von Trisomie betroffen ist. Und Müller zitiert in ihrem Beitrag über "Premiumkinder" aus einem Leserbrief, der die Autorin aufforderte, endlich miit dem Gejammer aufzuhören, und ihr vorwarf: "Sie hatten ja die Wahl, das Down-Syndrom-Kind zu bekommen oder nicht."

Sicherlich ist medizinischer Fortschritt in der Regel zu begrüßen. Trotzdem sollte man sich immer klar machen, wohin ein Weg führt. Die bekannte US-Genetikerin Diana Bianchi entwickelte die nicht-invasiven pränatalen Tests für Trisomie 21 zum Beispiel mit. Aber ihre Hoffnung ist, wie Technology Review in seiner Märzausgabe berichtete, dass frühzeitige Tests zu einer vorgeburtlichen Behandlung führen. Eine Diagnose schon nach zehn Wochen Schwangerschaft, sei eine Chance, Medikamente gegen die geistigen Defizite zu entwickeln.

Die Realität aber ist, dass werdende Eltern unter Druck gesetzt werden. Der Test soll ihnen versichern, dass ihr Kind gesund und fidel ist. Etwas anderes kommt ihnen gar nicht in den Sinn, wenn sie zustimmen. Umso böser das Erwachen, wenn die Diagnose anders ausfällt: Wie schwer sie an der Down-Syndrom-Diagnose für ihr ungeborenes Kind und an der anschließenden Abtreibung zu tragen hat, beschreibt Monika Hey in ihrem Buch "Mein gläserner Bauch". Auch im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet sie, wie sie sich durch großen Druck von außen fast gezwungen sah, abzutreiben: "Anfangs habe ich noch versucht, mich zu wehren. Der Druck war sehr hoch. Meine Frauenärztin malte mir die Zukunft mit einem behinderten Kind in den schwärzesten Farben: ein Kind mit schwersten geistigen und körperlichen Behinderungen, das ich bis ins Erwachsenenalter wickeln müsste."

Immerhin tragen die Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) diesen auch ethisch-moralischen Bedenken Rechnung. G-BA-Chef Josef Hecken sicherte zu, das Gremium werde die Befürchtungen einer möglichen Indikationsausweitung der Pränataldiagnostik und einer damit einhergehenden Gefahr der selektiven Verhinderung von Schwangerschaften, insbesondere mit Trisomie 21, berücksichtigen. Deshalb sollen wissenschaftliche Fachgesellschaften sowie Organisationen wie der Deutsche Ethikrat mit in die Beratungen einbezogen werden.

Die werdenden Eltern dagegen sollten sich schon im Vorfeld der Schwangerschaft mit dem Thema auseinandersetzen, lautet die Quintessenz aus Monika Heys Erfahrungen. Man sollte sich bewusst machen, wie man entscheiden will, wenn das Kind Trisomie 21 hat. Und man sollte ganz dezidiert überlegen, ob man es wissen will – und sich dann auch den Medizinern gegenüber durchsetzen. Nur – eins scheint sich am Ende ebenso deutlich abzuzeichnen: Keiner der beiden Wege ist einfach, ob ich mich für oder gegen eine Abtreibung entscheide. Wichtig dabei ist aber wohl letztendlich, dass es meine eigene Entscheidung ist. (inwu)