Matroschka-Wahrheit

Whistleblower haben zum Thema Stuxnet ausgepackt. Kennen wir damit die ganze Wahrheit? Wohl kaum!

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Das muss der richtige Film sein: Im Kino sitzen lauter junge Männer mit Hornbrille und Vollbart.
Im heimischen Programmkino läuft "Zero Days" - ein Dokumentarfilm über Stuxnet, und wie es in die Welt kam. Der Titel ist eine Insiderkürzel: Zero Days sind Sicherheitslücken, die seit "Null Tagen bekannt" sind. Sicherheitslücken für Betreibsysteme und Software werden auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Dabei funktioniert die Preisgestaltung so ähnlich, wie bei Brot: Je älter, desto billiger. Je länger eine Lücke bekannt ist, desto mehr Zeit hat ein Hersteller, die Lücke zu schließen. Das passiert immer mal wieder nicht, aber das ist eine andere Geschichte. Stuxnet enthielt jedenfalls gleich vier "Zero Days", die zu kaufen nach Einschätzung von IT-Sicherheitsleuten allein schon eine halbe Million Dollar gekostet haben dürfte.

Stuxnet war, glaubt man den Filmemachern, der Anfang eines neuen, globalen Rüstungswettlaufs: Eine Cyberwaffe, die von den USA gemeinsam mit Israel entwickelt wurde, um das iranische Atomprogramm zu sabotieren – als Alternative zu einem israelischen Angriff mit konventionellen Waffen. Das ist zwar alles nicht so schrecklich neu, die Kollegin Monika Ermert, die das Treiben von Geheimdiensten im Netz seit Jahren beobachtet, hat den Film aber trotzdem recht wohlwollend besprochen. Denn es gibt zwar bis heute keinerlei offizielle Stellungnahme der USA oder der israelischen Regierung dazu. Im Film kommen aber erstmals anonyme Quellen zu Wort, die viele der umlaufenden Gerüchte bestätigen.

Und er bietet unerwartete Einblicke. So berichtete beispielsweise der Journalist David Sanger, dass die Geheimdienst-Entwickler ihren Code an Ultra-Zentrifugen gleicher Bauart getestet haben, die beim US-Einmarsch in den Irak erbeutet wurden. Die Schadsoftware konnte tatsächlich die Steuerung der Zentrifugen so manipulieren, dass die Zentrifugen kaputt gingen. Die Trümmerteile hätten die Entwickler dann zur Besprechung ins Weiße Haus gekarrt und auf dem Konferenztisch ausgebreitet, erzählt Sanger. Damit der Präsident sie tatsächlich mit eigenen Händen anfassen kann. Das ist wirklich Politik, wie Klein Fritzchen sie sich vorstellt.

Dennoch hinterlässt der Film bei den Besucher ein merkwürdiges irreales Gefühl: Wenn das alles so schrecklich geheim ist, wie alle in diesem Film immer behaupten, wieso sprechen dann so viele Leute vor der Kamera über das Projekt? Deuten an, dass sie was wissen, um im richtigen Moment wieder mit wichtiger Miene zu betonen, dass alles geheim sei. Und warum taucht jetzt ein Whistleblower auf, der aber anonym bleiben will. Nutzt die Geschichte von den überragenden Cyberwar-Fähigkeiten der USA nicht letztendlich auch dem Pentagon? Auch der Stuxnet-Film hat uns der Wahrheit nicht näher gebracht. Mir kommt das ein bisschen vor, wie bei russischen Matroschka-Püppchen: Es gibt eine Wahrheit, in der eine Wahrheit steckt, die ein Wahrheit verbirgt. Den Prozess der politischen Kontrolle kann auch der beste, investigative Film nicht ersetzen. (jle)