Filmkritik: Snowden – der sicherste Ort ist das Kino

Der in Deutschland gedrehte Film "Snowden" startet diese Woche am 22. September in den Kinos. Wir haben das top-besetzte Drama von Oliver Stone vorab sehen können.

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Joseph Gordon-Levitt als Edward Snowden
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

"Snowden" beginnt genau wie der mit einem Oscar prämierte Dokumentarfilm Citizenfour von Laura Poitras im nachgebauten Hotel Mira in Hongkong. Bis in allerletzte Detail wird nachgestellt, wie Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt, der sein Honorar Bürgerrechtsorganisationen spendete) das Trio um die Filmemacherin Laura Poitras (Melissa Leo), den freien Journalisten Glenn Greenwald (Zachary Quinto) und den Guardian-Reporter EwenMacAskill (Tom Wilkinson) trifft und ihnen von der Arbeit der NSA erzählt. Sie fallen aus allen Wolken.

Dieser Erzählstrang der Veröffentlichung der NSA-Papiere durch den Guardian ist mit dokumentarischen Aufnahmen durchsetzt, etwa der ersten Erwähnung des NSA-Skandals in der deutschen Tagesschau, den TV-Auftritten der Whistleblower William Binney und Thomas Drake, die Snowden verteidigen, und einem Interview von Sarah Harrison, die Snowden nach Moskau begleitete. Auf dieser Ebene leistete der Whistleblower Thomas Drake als technischer Berater von Oliver Stone gute Arbeit. "Snowden – der sicherste Ort ist die Flucht" macht verständlich, warum Edward Snowden die USA verließ.

Auf der zweiten Ebene gibt es jede Menge Rückblenden, die die dramatischen Ereignisse in Hongkong unterbrechen, wo vor allem Glenn Greenwald mit den zögernden Herausgebern des Guardian darum ringt, die Snowden-Files zu veröffentlichen. Erzählt wird zum einen Snowdens Aufstieg zum Super-Hacker der NSA, nachdem er als Soldat nach doppeltem Beinbruch seinem Staat nach 9/11 am Computer dient. Zum anderen gibt es die Liebesgeschichte zwischen dem konservativen Edward Snowden und der linksliberalen Pole-Tänzerin Lindsay Mills (Shailene Woodley), die er über die Dating-Plattform "Geek-Mate" kennenlernt.

Ihre Liebesgeschichte dient dazu, das ganze Ausmaß der NSA/CIA-Überwachung zu dokumentieren, denn schließlich wissen seine Vorgesetzten immer, was Mills trägt und ob sie Snowden betrügt. Mills folgt Snowden zu seinen Auslandseinsätzen in der Schweiz, in Japan und schließlich nach Hawaii und leidet tapfer mit ihm zusammen. Beim Sex mit ihr klebt der immer nachdenklicher werdende Snowden die Laptop-Kamera ab – keine Zeit, das Ding im BIOS zu deaktivieren. Die im echten Leben in Bernie Sanders Our Revolution engagierte Shailene Woodley meistert die undankbare klassische Rolle des den Helden stützenden Mädchens mit Bravour.

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Vor aller Agentenarbeit steht indes die Einstellung bei der "härtesten Hackertruppe der Welt", kommandiert vom zynischen Corbin O’Brian (RhysIfans), den Oliver Stone nach dem Vorbild des Folterers Orian aus Orwells Überwachungsklassiker "1984" angelegt hat. Den auf fünf Stunden ausgelegten Einstellungstest, einen Server absolut einbruchsicher zu gestalten, absolviert Snowden in 38 Minuten, weil er verschiedene Arbeitsschritte per Bash parallelisiert. So hat der Neuling Zeit, durch "The Hill", der NSA/CIA/DIA-Schule zu schlendern und trifft dort auf den Ex-Agenten Hank Forrester (Nicolas Cage), Leiter eines Krypto-Museums (das Gegenstück der CIA ist nicht öffentlich) und zuständig für die Rolle des väterlichen Freundes. Er streichelt seine Enigmas und Cray-Computer, damit der Zuschauer lernt, dass alle Computer eigentlich Agenten sind und für das Verschlüsseln und Entschlüsseln von Nachrichten dienen.

Später erzählt ihm Forrester, dass er an einem Programm namens ThinThread gearbeitet hatte und kaltgestellt wurde, weil mit Trailblazer ein Programm eingesetzt wurde, das sich keinen Deut um die Privatsphäre der US-Bürger scherte. Beim Schulunterricht mit Corbin O'Brian lernt Snowden die Bedeutung des FISA Acts für die Arbeit, aber auch, dass man Fünfe Gerade lassen sollte, wenn es die Situation erfordert: "Ihr alle seid schuld, wenn es noch einmal ein 9/11 gibt." Wenn es um Sicherheit geht, kennt O`Brian keine Grenzen. "Vergiss das mit der Freiheit", rät er Snowden auf einem gemeinsamen Jagdausflug, "die Leute wollen Sicherheit".

Beim ersten Auslandseinsatz als CIA-Programmierer in Genf lernt Snowden den Super-Hacker Gabriel Sol (Ben Schnetzer) kennen, der sich über Snowdens Naivität lustig macht, ihn nur Snow White nennt und ihm und den Zuschauern ausführlich (verbotenerweise) das auch vom deutschen Verfassungsschutz verwendete Programm XKeyscore zeigt. "Unser Super-Google, mit dem wir jeden verfolgen können." Nach einer ersten illegalen Aktion quittiert Snowden zunächst den Dienst, steigt aber dank seinem Mentor O'Brian in der Hacker-Hierarchie auf, geht für Dell nach Japan und schreibt mit "Epic Shelter" das Backup-Programm für alle US-Geheimdienste.

Der Höhepunkt ist erreicht, als Snowden, wieder unter Protektion von O'Brian und seiner Kumpel, zum "zentralen Kommandozentrum" für alle Operationen gegen China und den Fernen Osten nach Hawaii versetzt wird (Drehort: die Katakomben des Münchener Olympiastadiums). Dort wird er ausgezeichnet, weil er in einer Woche 350.000 chinesische IP-Adressen enttarnen konnte, lernt aber auch, dass aus seinem "Epic Shelter" ein Programm namens "Heart Beat" entwickelt wurde, mit dem Drohnen in Afghanistan auf SIM-Signaturen abgeschossen werden. Er wird Zeuge, wie ein Drohnenpilot eine Familie vernichtet und blasiert über den Kollateralschaden lächelt. Nun steht der Entschluss fest, Whistleblower zu werden, auch weil eine Video-Konferenz mit O'Brian ihm klarmacht, dass er vom Inneren des Dienstes heraus nichts verändern kann. Als Snowden fünf Minuten lang unbeobachtet ist, zieht er 58.000 Dateien auf eine SD-Card, die er in einem Rubik-Cube versteckt und an der Wache und allen Scannern vorbei schmuggeln kann, weil er ihnen den Würfeln zum Spielen zuwirft.

Zum anrührend komponierten Schluss werden alle Ebenen zusammengeführt: Mit der Veröffentlichung im Guardian platzt die Weltpresse ins Hotel Mira und Snowden muss sich bei einer Flüchtlingsfamilie verstecken, ehe er nach Moskau fliegen kann. Er betrachtet als Flüchtling unter Flüchtlingen ein Foto seiner Freundin. Hank Forrester holt indes freudestrahlend den Whisky hervor und freut sich: "Er hat es getan. Der Junge hat es getan". Als dann noch der Guardian-Chef Alan Rusbridger (Alan Rusbridger) mit dem Snow-Bot ein Gespräch führt, verwandelt sich der von Joseph Gordon-Levitt überzeugend gespielte Snowden in den echten Snowden, der seinen Kampf für das Recht auf Privatsphäre gegen den übergriffigen Staat und seine mörderischen Dienste erklärt.

Den wichtigsten Satz kennen Heise-Leser bereits: "Wenn Sie argumentieren, dass Sie keine Privatsphäre brauchen, weil Sie nichts zu verbergen haben, ist das so, als würden Sie sagen, dass Sie keine Freiheit der Meinungsäußerung brauchen, weil Sie nichts zu sagen haben." Am Ende ist es jedoch Stone, der ein ganz eigenes politisches Zeichen setzt. Der Film endet mit einer Einblendung des ehemaligen Präsidentschaftskandifdaten Bernie Sanders, der Snowdens Verdienste würdigt: "Er hat uns gezeigt, wie sehr unsere bürgerlichen Freiheiten bedroht sind."

Kritikern des stellenweise arg kitschigen Dokudramas muss man entgegenhalten, dass höchstens CCC-Nerds mit Luftpolsterfolien zum Mit-Quetschen bei den Hacker-Highlights einen Spielfilm anschauen können, in dem nacheinander NSA-Überwachungsprogramme wie Trailblazer, ThinThread und XKeyscore am Bildschirm erklärt werden. Ähnliches gilt für diejenigen, die Snowdens Aufstieg zum Super-Hacker unrealistisch finden, war er doch im echten Leben First-Level Helpdeskler bei Dell in Japan und nur ein "Analyst in Training" bei Booz Allen Hamilton in Hawaii. Hier hat Stone auf den Roman von Snowdens russischem Anwalt Anatoli Kutscherena zurückgegriffen, der Snowden als Superstar beschreibt. Stone kaufte seine Filmrechte für 1 Million Dollar.

Am vergangenen Freitag startete der Film in den USA und landete auf einem respektablen 4. Platz. Von Filmkritikern sehr unterschiedlich beurteilt, wird der Film in der politischen Presse wie der New York Times oder der Washington Post dafür gelobt, dass er ein komplexes Thema wie die Überwachung der US-Bürger anschaulich macht. Pünktlich zum Start des Filmes erschien ein Parlamentsbericht, der Snowden den Status als Whistleblower abspricht und sich gegen seine Begnadigung ausspricht.

Von der NSA gibt es bislang keine Reaktionen. Einzig der ehemalige stellvertretende NSA-Direktor Chris Inglis äußerte sich zum Film: "Wir haben Edward Snowden zugehört. Wir haben gehört, was er zu sagen hatte. Wir haben das zum Anlass genommen, unsere Praxis zu überprüfen, was Snowden gemeint haben könnte und was wir verbessern müssen. Und nachdem all dies geschehen ist, machen wir weiter, wie wir es müssen. Die NSA schaut in die Zukunft".

Der als romantisches "Dokudrama" einzuordnende Film kostete 40 Millionen Euro und wurde überwiegend in den Bavaria-Filmstudios in München gedreht, weil US-Studios das brisante Thema nicht angehen wollten. Entsprechend groß dürfte das Interesse in Deutschland sein, wo der Film am 22. September in die Kinos kommt und von einigen Veranstaltungen begleitet wird. So laden die Aktivisten von Digitalcourage für den 20. September zu einer Preview um 19.30 Uhr in die Berliner Kulturbrauerei mit anschließender Diskussionsrunde ein. Mit dabei: Wolfgang Kaleck, Snowdens deutscher Anwalt, und Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages. (hag)