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Was war. Was wird. Ohne Ziel ist auch der Weg egal.

The world is my oyster, das Willkommen im Lusttempel lud einst zum mitsingen ein. Trist aber erscheint sie heute, diese Welt. Und das Kino kann uns auch nicht retten, ist sich Hal Faber sicher, auch wenn man es nicht gleich zum Anachronismus erklären muss

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Was war. Was wird. Ohne Ziel ist auch der Weg egal.
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nun ist er da, der Snowden-Film und sorgt, wie es sich für einen echten Stone-Film gehört, für Diskussionen, nicht nur in der Redaktion beim Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene. Dazu gibt es tief schürfende Filmbesprechungen in den Blättern mit eingebautem Kulturteil und K-Vermittlungsanspruch, auch solche Faktenchecks, wie sie von den hirnlosen Tatorten bekannt sind. Mein Lieblingssatz steht in der tageszeitung und gibt sich wohlausgewogen: "Andererseits ist natürlich schon die Vorstellung, dass das Kino heute noch eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, ein rührender Anachronismus." Überholt, aus und vorbei soll also das Kino sein, obwohl es im selben Argumentationsstrang genau dieser Stone-Film sein soll, der in den USA die öffentliche Meinung über Edward Snowden beeinflussen könnte. Eigens deshalb hat Edel-Regisseur Stone der Filmemacherin Poitras vorgeschlagen, dass ihr Oscar-prämierter Film Citizenfour besser im Fahrwasser seines Blockbusters das Publikum erreichen könnte. Noch so ein Anachronismus, in dem Mann sagt, was für Frau gut ist. Mit der Behauptung, dass die USA einem Nazi-Deutschland entspreche und "Nürnberger Prozesse" gegen die Geheimdienstler James Clapper und Michael Hayden fordert, übergeigt der Weltbürger Stone sein hochgelobtes Feingefühl.

*** Welches "Gefühl" die Journalisten des "Editorial Board" der Washington Post getrieben hat, ein Pardon für Edward Snowden abzulehnen, ist derzeit noch unbekannt. Der Verstand kann jedenfalls nicht beteiligt gewesen sein bei diesen Journalisten, die basierend auf den Snowden-Leaks einen weiteren Pulitzer-Preis gewinnen konnten. Hier muss man Glenn Greenwald zustimmen, der von einem Skandal spricht, wie eine Zeitung da mit ihrer eigenen Quelle umspringt. Selbst der Eigentümer des Blattes ist wohl reflektierter. So lernen wir Journalisten nicht kennen, die die bewusste Entscheidung von Edward Snowden, seinen Datenberg nur Journalisten und nicht etwa Wikileaks anzuvertrauen, als "Leaking" denunzieren.

*** So ging Skandal-Journalismus in Deutschland und geht und gedeiht auch weiterhin prächtig, wie ein BND-kontaktbehafteter Journalist ausdauernd zeigt, der beste Verbindungen zu den Diensten hat. Die neueste These, dass Wikileaks umfrisierte Informationen von den "Funkaufklärern des Kremls" den USA unterschiebt, gehört zum Spiel von "Spion gegen Spion" oder auch "Russen gegen den Bundestag". Seitdem Daniel Schmitt (German Correspondent) und Julian Assange (Investigative Editor) anno 2008 die journalistische Zusammenarbeit mit dem BND veröffentlichten, wird Wikileaks mit Dreck beworfen. Das klappt auch deswegen, weil Wikileaks in Person von Julian Assange selbst nicht zimperlich ist und Veröffentlichungen über Hillary Clinton angekündigt hat, die diese stürzen sollen. Einschlägigen V-Theoretikern zufolge soll der Nachweis möglich sein, dass Clinton eine Rolle beim gescheiterten Putsch gegen Erdogan gespielt hat. So dreht das Kopfkarussell die Tatsachen schnell und schneller bis zum Schwindel, wie einem Tauschangebot jenseits aller Gesetze. Die Realität ist trist und trister und wer die Nachrichten über die Realität von Chelsea Manning liest, dürfte für das Bild vom "guten Obama" verloren sein. Ja, nichts ist mit "Welcome to the pleasuredom".

*** Wie schön ist es dann, wenn nach den |Wahlen in Berlin, dort in der einzigen deutschen Großstadt mit echter Parteiverteilung, wo alles am Ende sein soll, wieder Glanz zu Guttenberg verbreitet werden kann. Dann schreibselt man von einem "gefallenen Star", der Glanz verbreitet. Einmal Star ist immer Star, besonders bei einer glanzarmen CDU, die sich an der Eingemeindung der AfD versucht. So kommt zur Umvolkung die Umguttenbergung in Gang, der von einem "transatlantischen Kraftfeld" schwärmen kann und ein gutes Wort für CETA einlegt. Passend dazu schwärmt die Hofberichterstattung über den "so kooperativen Verhandlungspartner" Kanada, dem man dankbar sein kann, so viel Geduld zu haben mit uns Europäern und eine Zusatzerklärung zuzulassen. Glanz, Geduld und Guttenberg, das ist eine echte Zauberformel, denn wer will schon lange Texte lesen und verstehen?

*** Es gab eine Zeit, da war die EU-Komissarin und Talentsucherin Neelie Kroes so etwas wie eine verehrte Mutter Theresa der Digitalisten, als das ACTA-Abkommen scheiterte, mit strahlenden Auftritten auf der re:publica. Heute ist sie im Verwaltungsrat von Salesforce und kümmert sich hauptamtlich um die Förderung niederländischer StartUps im Startupdelta. Mit den Bahamas-Leaks ist ihr "nie aktivierter" Posten bei der Briefkastenfirma Mint Holdings entdeckt worden, extra geschaffen, um den Kauf des stinkenden Energiekonzerns Enron durch nahöstliche Investoren abzuwickeln. Dieser fand nicht statt, doch die Sache hat ein Geschmäckle: Nachdem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Pofallatempo zur Investmentbank Goldman Sachs wechselte, sind die Fehler im System offenkundig geworden, brav gedeckelt durch einen Parlamentschef, einem Freund "flexibler Solidarität".

*** Manchmal schleppen sich die unterdrückten Nachrichten dahin, bis sie altersmüde doch durchsickern, wenn die Verteidigungsministerin in Bagdad ist, um vom :geschlagenen Daesh zu schwadronieren. Weil eine GIZ-Mitarbeiterin im vergangenen Jahr von Erpressern in Afghanistan verschleppt wurde, hat die Bundeswehr damals parallel zu den Verhandlungen mit den Entführern ihren ersten Cyberangriff durchgeführt. Der Angriff galt einer zivilen Infrastruktur, einem afghanischen Mobilfunknetz, und hatte offenbar das Ziel, die Bewegungsdaten der Entführer zu ermitteln, denen man dann ein Lösegeld angeboten hat. Mehr ist nicht bekannt, da "Erkenntnisse über die Vorgehensweise" zum Staatsgeheimnis erklärt wurden. Schließlich könnten böse Hacker die Taten der guten Soldaten bei der "offensiven Penetration" kopieren und wirklichen Schaden anrichten. Selbst die Frage, wer den Einsatz befohlen hat oder wie die Zielvorgabe war, ist für unzulässig erklärt worden. Wie Augen Geradeaus! kommentiert, lässt dies "für die Übernahme der Verantwortung bei solchen Geiselbefreiungsoperationen, die möglicherweise schiefgehen, schon Übles erwarten."

Was wird.

Übles hat die Zukunft für uns bereit: Morgen geht es wieder in die große Politik, mit einer Expertenanhörung zum geplanten BND-Gesetz, welches selbst der ehemalige BND-Chef Schindler für eine nasse Nudel hält. Passend dazu gibt es eine Kundgebung der unverwüstlichen Katharina Nocun, Dem Deutschen Volke gewidmet. Ja, es braust ein Ruf wie Donnerhall wie Schwertgeklirr und Wogenprall|_blank)$: nichts mehr Geheim, Geheim! Wer will der Verfassung Hüter sein? (Darf in Deutschland nur Mario Götze pathetisch sein?) (jk)