Chauvinist, Autist, beides - oder schnell mal jemanden anprangern

Außer Kontrolle

Per Facebook, Twitter etc. lässt sich schnell eine Empörungswelle lostreten - dass dabei alte Prangermethoden wieder genutzt werden, zeigt sich an einem aktuellen Beispiel aus Australien

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In früheren Zeiten hatte der Pranger gleich mehrere Funktionen: Nicht nur sanktionierte er das Fehlverhalten, er diente auch der Abschreckung, indem er den Delinquenten sowie auch ggf. dessen Familie und Bekannte gleichermaßen der Häme aussetzte. Eine Methode, die sich spätestens seit Facebook und ähnlichen schnellen 1:x-Kommunikationsmitteln wieder einer großen Beliebtheit erfreut. Wird etwas als Missverhalten empfunden, so wird nicht nur dieses schnell an viele Menschen berichtet, sondern auch derjenige, der sich (vermeintlich) falsch verhalten hat, wird per Bild, Namensnennung etc. der virtuellen Meute zum Fraß vorgeworfen.

Ein typisches Beispiel für eine solche Verfahrensweise zeigte sich in Australien, wo eine Frau beobachtete, wie sich ein Mann einer Asiatin aufdrängte. Wie die Frau auf Facebook schrieb, habe sich der Mann der Asiatin genähert, mit der Hand vor deren Gesicht herumgewedelt und verlangt, sie solle ihm ein „High Five“ geben, also mit ihrer Hand in seine klatschen.

Die asiatische Frau, so las man auf Facebook, hätte geschockt reagiert, weshalb die Autorin des Facebookkommentares ihr zur Hilfe eilte. Sie setzte sich neben die asiatische Frau und starrte den Mann an, der für sie den Anschein machte, als wolle er als nächstes in ihr Gesicht schlagen.

Der Mann habe dann etwas gemurmelt, woraufhin sie aufstand, „You right, mate?“ fragte und nun beobachtete, wie er eine andere Asiatin anstarrte, sich dieser näherte und sie verängstigte. Dies geschah durch Anstarren, sich zu nahe vorwärtslehnen, „Manspreading“ (breitbeiniges Hinsetzen um möglichst viel Platz einzunehmen) und eine Bewegung, die die Hand des Mannes nahe an die Brust der Asiatin brachte. So jedenfalls beschreibt es Autorin des Facebookkommentares, deren komplette Schilderung der Ereignisse sich hier nachlesen lässt .

Ein Foto und Lynchforderungen

Damit nicht genug, ließ sie es sich nicht nehmen, ein Foto des Mannes auf Facebook zu veröffentlichen, was erwartungsgemäß zu wütenden Reaktionen führte. Es wurde dazu aufgefordert, den Mann aufzuspüren, ihm Gewalt anzutun oder sogar gleich zu lynchen. Eine Reaktion, die sich gerade bei emotional aufgeladenen Themen immer wieder bei Twitter, Facebook etc. findet.

Gegenüber der Daily Mail in Australien wurden nun Stimmen laut, die bezeugten, dass der Mann autistisch sei. Er liebe es, „High Fives“ von Fremden zu erhalten, sei aber harmlos. Viele würden ihn kennen, manche ignorieren, manchmal erhielte er zu seiner Freude jedoch die erwünschten „High Fives“.

Ansprechen statt Anprangern?

Es ist derzeit nicht bestätigt, ob der Mann autistisch ist, ob er eine andere Beinträchtigung besitzt oder nicht. Es stellt sich jedoch die Frage, wieso die so wütende und verschreckte Frau, die ihr Erlebnis auf Facebook teilte, nicht einfach versuchte, mit ihm zu reden oder z.B. jemanden direkt ansprach, um das von ihr als falsch angesehene Verhalten zu stoppen.

Statt „You right, mate“ wäre auch ein „Dein Verhalten ist falsch, bitte lass das sein, die Frau möchte das nicht.“ möglich gewesen. Allerdings wird in diesem Zusammenhang gerne argumentiert, dass in einem solchen Moment die Frau zu verschreckt sei und es ja nicht ihre Aufgabe sei, sich auch noch in Gefahr zu begeben.

Doch ist es ihre Aufgabe, ohne weitere Kenntnis des Sacherhaltes, sich als Anklägerin einer Prangermethode zu bedienen um einen Mann, dessen Verhalten sie als falsch ansieht, dem öffentlichen Spott preiszugeben? Es wäre naiv zu behaupten, dass in der heutzutage stark aufgeheizten Stimmung ein solcher Kommentar nicht erfahrungsgemäß zu Wut und Hass führt und Menschen allzu schnell bereit sind, dem Angeprangerten gegenüber nicht nur virtuell gewalttätig zu werden. Dennoch fällt es Menschen wie der Autorin bei Facebook offenbar leicht, schnell ein Photo samt einer einseitigen Schilderung online zu stellen, wenn es nur dazu dient, die eigene Ansicht zu untermauern.

Abgesehen von der Verletzung der Privatsphäre, die hier schlichtweg billigend in Kauf genommen wird, ist eine solche Verfahrensweise auch sehr risikobehaftet – Dementis oder Richtigstellungen werden erfahrungsgemäß weniger konsumiert und weitergeleitet als ein Originalkommentar, weshalb nur ein Bruchteil derer, die in dem Mann jetzt den widerlichen Frauenjäger und -belästiger sehen, sich mit seinem ggf. vorhandenen Autismus oder den Erfahrungen anderer befassen werden.

Der Pranger hat seit langem ausgedient und es bleibt zu hoffen, dass Menschen, egal was sie erleben und wie sie dies empfinden, die Prangermethoden wieder ad acta legen, nachdenken bevor sie etwas veröffentlichen und ihre Empörung nicht über die Vernunft siegen lassen. Auch hier sei erneut die Lektüre des Falles „Gunnar“ empfohlen. Es reichte den Tätern beiderlei Geschlechtes aus, dass sie irgendwo gehört hatten, Gunnar sei ein „Kinderficker“ um eine Gewaltorgie zu begehen. Keine Frage, die Täter sind die, die diese Gewalt begangen haben, doch wer das Gerücht in die Welt setzte, es handele sich bei „Gunnar“ um einen Kindesvergewaltiger, der hat zumindest nicht über die Konsequenzen seines Handelns nachgedacht. Im besten Fall sind solche Menschen gefährlich naiv, im schlimmsten Fall nur gefährlich.