Nichts ist so, wie es scheint

Hilfe, das Internet geht kaputt.

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Kein Scherz: Die Freiheit des Internets ist in Gefahr. Und zwar nicht wegen der immer weiter um sich greifenden Überwachung. Schuld sind viel mehr immer mehr "Fake News", gefälschte Nachrichten, wie man unter anderem auf dem "Digital Freedom Festival" erfahren konnte.

Dort erklärte der frühere estländischen Staatschef Toomas Hendrik Ilves, wenn man bedenke, dass immer mehr Nutzer ihre Nachrichten über soziale Netzwerke und insbesondere Facebook und Twitter bezögen, seien erfundene oder stark verfälschte Meldungen "die größte Gefahr für die digitalen Freiheiten", melden die Kollegen von heise online. "Er halte nichts davon, mit Zensur oder Blockaden von Netzplattformen auf das Phänomen zu reagieren", heißt es weiter. "Generell sei es aber nötig, die repräsentative Demokratie aufrechtzuerhalten, sonst verlieren wir auch die Internetfreiheit."

Zugegeben, das klingt gut als steile These, auch wenn der Zusammenhang für mich nicht ganz so offensichtlich ist. Aber spannend ist die neue Sorge um das Internet alle mal.

Denn eigentlich gehören Info Ops, Informationsoperationen, schon ganz lange zum Handwerkszeug des Militärs. Und außerdem war das Internet schon immer eine ganz hervorragende Echokammer für Verschwörungsphantasien aller Art. Was soll man auch anders machen, in einem Netz, in dem niemand weiß, ob am anderen Ende der Leitung ein Hund oder ein Mensch sitzt – der Russe, der Chinese, oder vielleicht außerirdische Reptilienmenschen.

Was hat sich also in den letzen Jahren geändert? Richtig: die enorm gestiegene Relevanz der sozialen Medien. Warum ist das wichtig? Das hat der Autor Dietmar Dath in diesem Interview bereits 2008 sehr schön auf den Punkt gebracht. Auf die Frage, welche Rolle digitale Kommunikationsmedien zukünftig spielen werden, sagt Dath: "Pro: Man kann damit Abstimmung, Planung, Kommunikation unter sozial und juristisch gleichgestellten Leuten erleichtern, damit die ihr Handeln besser koordinieren können. Contra: Man kann damit einen Haufen Scheiße verbreiten und suggestiven Dreck in irrer Frequenz und mit vorher unbekannter Reichweite in die Köpfe brüllen, bis alle denselben Unsinn erzählen, aber jeweils glauben, sie wären ganz alleine draufgekommen. Also: Man kann damit die Individuen einerseits ganz neu verbinden, man kann aber auch die Gleichschaltung auf ganz neue Art scheinindividualisieren. Was passiert, hängt davon ab, wie viel Mist die Leute sich erzählen (und gefallen) lassen."

Dem ist eigentlich fast nichts mehr hinzuzufügen.

Außer dies: Wenn Info Ops tatsächlich heute viel stärken wirken als vor zehn Jahren, sich "die Leute" also "viel mehr Mist erzählen lassen", dann dürften auch die von besorgten Experten vorgeschlagenen Maßnahmen wie die Einführung von Faktenchecks und verbindlichen redaktionellen Standards für soziale Medien nicht viel nutzen. Solche Maßnahmen könnten zwar helfen, die schlimmsten Auswüchse zu bekämpfen. Sie werden die Mehrheit der User aber nicht befähigen, Manipulation von Information zu unterscheiden. Nur wenn diese Fähigkeit verbreitet wird, haben wir eine Chance, der Schlammflut des Zeitgeistes zumindest ein bisschen aufklärerisches Licht entgegen zu halten. (wst)