Lichtkrankheit: Zur Sonne, zur Freiheit

Jasmin Barman-Aksözen hat Schmerzen, sobald helles Licht auf ihre Haut scheint. Erst im Alter von 27 Jahren gelang es der Molekularbiologin, ihre äußerst seltene Krankheit selbst zu diagnostizieren. Inzwischen forscht sie in Zürich an einer Therapie.

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Von
  • Inge Wünnenberg

"Jeder von uns hat eine Horrorkindheit hinter sich", sagt Jasmin Barman-Aksözen. Sie war gerade mal zweieinhalb Jahre alt, als sie nach einem Tag in der Sonne mit einem völlig zugeschwollenen Gesicht aufwachte. Licht- oder Sonnenallergie: Das sind die Diagnosen, die diesen Kindern meist gestellt werden. Jasmin wurde immer wieder aufgefordert, sich mit Sonnencreme zu schützen. Doch das half nicht. Zu viel UV-Strahlung war nicht das eigentliche Problem. Aber was war es dann?

Die heute 38-Jährige wusste schon als Kleinkind, dass Sonnenlicht ihr Feind ist. Und wurde doch oft als Simulantin abgestempelt. Mit 14 gipfelte ihre Odyssee von einem Arzt zum nächsten gar in dem Besuch bei einem Psychiater. Denn es wurde angenommen, die Schmerzen könnten psychosomatisch oder gar eingebildet sein. Trotzdem testete die Jugendliche konsequent selbst aus, wie weit sie gehen konnte, ohne mit tagelangen Schmerzen dafür zu bezahlen. Genoss sie schon in der Kindheit die Ausflüge mit der Familie in den schattigen Wald, nahm sie später immer wieder an den Freizeiten der Pfadfinder teil: "Mal ging es gut, mal landete ich im Krankenhaus."

Gleichzeitig entwickelte sich die gebürtige Mannheimerin zur Forscherin. Ihr Vater, ein Chemiker, leitete sie und den Bruder zu kleinen Experimenten an, ließ sie etwa daheim Kristalle züchten. Als sie dann in der Oberstufe die Welt der Genetik kennenlernte, stand für Barman-Aksözen die Entscheidung fest, Biologie zu studieren. Doch am Ende der Hochschulzeit in Heidelberg ließ ihr die Ungewissheit keine Ruhe: Was sollte sie einem künftigen Arbeitgeber über ihre Krankheit sagen? Wenn sie wieder einmal vor Schmerzen nicht schlafen konnte, suchte sie im Internet nach Erklärungen: Im Frühjahr 2006 stieß sie auf den gerade eingestellten Wikipedia-Artikel eines deutschen Selbsthilfevereins. Dort war von Erythropoetischer Protoporphyrie, oder kurz EPP, die Rede, einer seltenen Erbkrankheit: "Ich wusste: Das ist es. Das habe ich." In dieser Nacht war an Schlaf nicht mehr zu denken. Anschließend bestätigte eine Blutuntersuchung die Vermutung der Biologin: Ihre extreme Lichtunverträglichkeit basiert auf einem Gendefekt, der dazu führt, dass sich im Körper Protoporphyrin anreichert, ein Zwischenprodukt bei der Bildung des roten Blutfarbstoffs. Betroffene reagieren mit Schmerzen bis hin zu Verbrennungen auf blaues und rotes Licht. Barman-Aksözen ist ein Schattenspringer, wie die Träger des Gendefekts auch genannt werden.

EPP ist so ungewöhnlich – nur einer von 100000 Menschen leidet an der Erbkrankheit –, dass die Ärzte in der Regel ratlos auf die Symptome reagieren. Auch die Familiengeschichte liefert selten Hinweise. Damit die Krankheit ausbricht, muss jedes Elternteil ein defektes Gen beisteuern. Daher existieren meist keine Betroffenen in den vorhergehenden Generationen. Obendrein seien die Informationen über die seit 1961 bekannte seltene Erkrankung in den Lehrbüchern bis heute zum Teil fehlerhaft, berichtet Barman-Aksözen. Für die Molekularbiologin war fortan klar: Sie würde ihr berufliches Leben auf EPP konzentrieren. Sie hörte von Elisabeth Minder, die sich als Belegärztin am Züricher Stadtspital Triemli auf Stoffwechselkrankheiten wie EPP spezialisiert hat. "Ich war begeistert von Minders Idee, die Genaktivität über einen Eingriff in die regulatorischen Prozesse zu erhöhen", sagt Barman-Aksözen. 2007 begann sie deshalb in Zürich, wo sich mittlerweile ein Forschungsschwerpunkt zu diesen Erkrankungen etabliert hat, ihre Doktorarbeit über den Einfluss des Eisenstoffwechsels auf EPP. Bis heute gehört die deutsche Wissenschaftlerin zu Minders Team.

Ihr großes Ziel aber ist eine Therapie, die ihr Leiden wirklich heilt. Wenn die Molekularbiologin von ihrer Forschung erzählt, straffen sich ihre Schultern. EPP entsteht, weil durch einen Gendefekt zu wenige jener Enzyme entstehen, die zur Bildung des roten Blutfarbstoffs nötig sind. So wird nur die Vorstufe Protoporphyrin gebildet. Sie sammelt sich im Blut, der Leber und in den Zellwänden der Gefäße an – also auch direkt unter der Haut. Diese Substanz reagiert mit dem Licht und verursacht die Schmerzen. Barman-Aksözen plant, anhand zugeführter DNA die Enzymherstellung zu stabilisieren. Könnte sie den Prozess der Blutbildung etwa im Knochenmark mit einem Medikament beeinflussen und die Konzentration des toxischen Protoporphyrins senken, wäre das ein entscheidender Durchbruch. "Bis wir aber so weit sind und die Ansätze am Menschen testen können, werden noch ein paar Jahre vergehen", räumt Barman-Aksözen ein. Noch weiter entfernt von einem wirksamen Ansatz sind ihre Kollegen, die konkret an einer Gentherapie arbeiten.

Manchmal wird sie ungeduldig ob des langsamen Fortschritts. Zumal sie in den vergangenen Jahren am eigenen Leib erlebt hat, wie schwer es andere Therapieansätze haben. Die australische Pharmafirma Clinuvel etwa hat Scenesse entwickelt. Das reiskorngroße Implantat setzt ein synthetisches Hormon frei, das eine Bräunung der Haut bewirkt und dadurch vor Licht schützt. Das Team um Minder und Barman-Aksözen war an den klinischen Studien beteiligt. Später erhielt auch die Molekularbiologin das Präparat, das die Pharmafirma zunächst preisgünstig zur Verfügung stellte, aufgrund einer Ausnahmeregelung der Schweizer Krankenkassen. Im Zulassungsverfahren für Scenesse lud die EU-Arzneimittelbehörde EMA Barman-Aksözen sowie einen weiteren EPP-Patienten dann ein, sich vor dem Komitee zu äußern – als erste Betroffene in der gesamten Geschichte der EMA. Am Ende stimmten 24 von 31 Ausschussmitgliedern für die Zulassung. Seit 2014 darf das Präparat in den EU-Ländern auf den Markt gebracht werden, aber nur in den Niederlanden ist es bisher erhältlich.

Doch Barman-Aksözen bekommt es nicht mehr. Seit der EU-Zulassung verlangt Hersteller Clinuvel für eine Jahrestherapie zwischen 67000 und 88000 Euro. Aber ihre Krankenkasse verweigert nun die Kostenübernahme. Seitdem hat sich der Alltag der Forscherin wieder komplett geändert: Den Weg zur Arbeit im Züricher Stadtspital bewältigt sie per U-Bahn unterirdisch. Im Labor schützt sie eine Jalousie vor dem Licht. Für die kurzen Wege an der frischen Luft trägt sie ständig einen stark reflektierenden, lichtundurchlässigen Schirm bei sich. "Meine Lebensversicherung" nennt sie ihn. Sie wechselt die Straßenseite, um im Schatten zu gehen, meidet LED-Lampen und benutzt keine Wege mit hellem Split, der das Sonnenlicht besonders stark reflektiert. Mehrstündige Aktivitäten im Freien wie Spaziergänge am Zürichsee sind tagsüber nicht mehr möglich, auch keine Reisen mehr wie zu den kalifornischen Mammutbäumen – ihrem Traumziel, das sie dank des Medikaments besuchen konnte. Und dabei ist ihre Lage noch vergleichsweise gut. Weil ihr Vater aus Indien stammt, ist ihre Haut von Natur aus etwas dunkler pigmentiert. Das schützt wenigstens ein bisschen.

"Solange ich Scenesse bekam, habe ich manchmal sogar vergessen, dass ich krank bin." In der Zeit konnte sie auch an den Talkshows von Kurt Aeschbacher im SRF 1 oder bei Bettina Böttinger in Köln teilnehmen. Heute kann sie die extreme Strahlung der Scheinwerfer nicht mehr ertragen. Sie weiß von Betroffenen, denen die Umstellung noch schwerer fiel. Sie konnten das Medikament teilweise viele Jahre lang nehmen und leiden nun darunter, ihr Leben wieder umkrempeln zu müssen. Manche fürchten sogar um ihre Arbeit: "Offen geäußerte Suizidgedanken sind keine Seltenheit", sagt Barman-Aksözen. Bei ihr hat es dazu geführt, dass sie sich gegen ein eigenes Kind entschieden hat. Denn sie sieht, wie groß die Belastung bei anderen Patienten ist, die Eltern sind: "Ich möchte kein Kind im Dunkeln mit mir einsperren." Gäbe es eine dauerhaft verfügbare Therapie, könnte sie sich jedoch vorstellen, Mutter zu werden. (inwu)