Meinung: Weitere Ökorabatte für Konzerne

Die Koalition tut gern so, als würde sie für niedrige Verbraucher-Strompreise kämpfen. Doch sie hat still und leise – wieder einmal – das Gegenteil getan.

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Der Stromverbraucher hat keine Wahl: Er zahlt nicht nur den reinen Strom, sondern unter anderem auch noch Stromsteuer, Umsatzsteuer, EEG-Umlage, Netzentgelt, Offshore-Haftungsumlage und eine sogenannte Konzessionsabgabe. Insgesamt machen die Beschaffung und der Vertrieb des Stroms – inklusive Marge – nur rund ein Viertel des Strompreises aus.

Für Industriebetriebe sieht die Sache hingegen ganz anders aus: Es gibt ein weit gespanntes Geflecht an Ausnahmen für die diversen Abgaben und Umlagen, kaum zu durchschauen und daher alles andere als transparent.

Den größten Brocken macht die sogenannte "Besondere Ausgleichsregelung" (BesAR) aus. Sie gilt für insgesamt 221 Branchen, aufgeteilt auf zwei Listen: Liste 1 umfasst 58 Branchen, die in einem "besonderen internationalen Wettbewerbsverhältnis" stehen. Machen die Stromkosten mehr als 17 Prozent ihrer Bruttowertschöpfung aus, brauchen Unternehmen dieser Branchen nur noch für die erste Gigawattstunde Strom die volle EEG-Umlage zu zahlen. Darüber hinaus sind nur noch 15 Prozent fällig.

Auf Liste 2 stehen 163 "besonders strom- und handels-intensive" Branchen. Unternehmen aus diesem Bereich brauchen einen Stromkostenanteil von 20 Prozent, um in den Genuss der Entlastung zu kommen.

2016 bekamen insgesamt 2137 Unternehmen diese Rabatte. Das sind zwar nur vier Prozent aller Industriebetriebe in Deutschland, entspricht aber immerhin knapp 40 Prozent des industriellen Stromverbrauchs sowie einer finanziellen Entlastung von rund 4,7 Milliarden Euro – also fast 60 Euro pro Bundesbürger, vom Säugling bis zum Rentner. Von der EEG-Umlage von insgesamt 6,35 Cent pro Kilowattstunde gehen 1,33 Cent allein auf das Konto der BesAR. Mit diesem Betrag subventioniert jeder Stromkunde die Privilegien der Industrie.

Die begünstigte Strommenge sei seit zwei Jahren leicht rückläufig, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). Doch das dürfte sich künftig wieder ändern. Heimlich, still und leise haben die Parlamentarier Anfang Juli noch eine Änderung ins neue EEG gedrückt: Statt einer festen Schwelle von 17 Prozent für Unternehmen der Liste 1 gibt es jetzt einen Übergangsbereich: Bei einem Stromkostenanteil zwischen 14 und 17 Prozent zahlen die Betriebe 20 Prozent der EEG-Umlage, darüber wie gehabt nur 15 Prozent. So haben es Bundestag und Bundesrat am 8. Juli beschlossen.

Die Begründung des BMWi: Die bisherige 17-Prozent-Schwelle habe ein "Alles-oder-nichts-Prinzip" zur Folge gehabt. Darüber gab es eine weitgehende Befreiung, darunter gar nichts. Damit reagierte die Politik offenbar auf Berichte, dass Unternehmen extra viel Strom verbraucht haben, um über die Schwelle zu kommen. Dieses Argument ändert allerdings nichts daran, dass der Kreis der Begünstigten wächst.

Für das Ministerium sichert die Maßnahme die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und damit Arbeitsplätze. Tatsächlich zählen die Industriestrompreise in Deutschland zu den höchsten in Europa. (Das liegt allerdings weniger an den erneuerbaren Energien – sie senken im Gegenteil den Börsenstrompreis –, sondern eher an den vielen Abgaben und Steuern.)

Gestützt wird die Argumentation durch eine Analyse, die das BMWi beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung und dem Beratungsunternehmen Ecofys in Auftrag gegeben hat. Ihr Ergebnis: "Bestehende Ausnahmeregelungen für stromintensive Unternehmen sind gesamtwirtschaftlich positiv."

Man kann also durchaus so argumentieren. Dann aber sollte man es offen tun. In den Verlautbarungen des BMWi zur EEG-Reform findet sich nichts zur gesenkten Schwelle, sie ist versteckt in der Drucksache 355/16 des Bundesrats. Dass die Koalition diese Änderung nicht an die große Glocke hängt, ist wenig überraschend. Schließlich gibt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gern den Kämpfer gegen hohe Stromkosten. Doch mit der Ausweitung der BesAR dürften nun noch einmal hundert oder gar mehrere Hundert Unternehmen Rabatte bekommen, zitiert Spiegel Online ein internes Papier. Das werde die EEG-Umlage eines Drei-Personen-Haushalts um etwa sieben Euro im Jahr erhöhen.

Ähnliches gilt auch für die Liste 2. Auf ihr stehen Firmen, die zwar viel Strom verbrauchen, aber per Definition nicht besonders stark im internationalen Wettbewerb stehen. In Einzelfällen mag ihre Bevorzugung sinnvoll sein, etwa für Schienenbahnen. Sie sollen konkurrenzfähig zum Straßenverkehr bleiben. Aber muss der Rest wirklich privilegiert werden? Schließlich vereinbarten die Regierungspartner in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 klipp und klar eine "Konzentration der Besonderen Ausgleichsregelung auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb". Ein Kampf gegen hohe Strompreise für Bürger sieht anders aus.

Der billige Unternehmensstrom hat zudem noch eine zweite Folge: Er senkt den Anreiz zu sparen. Laut Spiegel Online wollte Gabriel die Rabatte immerhin mit bestimmten Auflagen verknüpfen, doch die Union habe den Vorschlag gekippt. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bestätigt dies auf Anfrage: "Es stand zur Diskussion, dass eine Absenkung des Grenzwertes nur erfolgen sollte, wenn Investitionen in Energieeffizienz die Stromkostenintensität unter die bisher geltenden 17 Prozent (aber über 14 Prozent) gedrückt hätten."

Davon ist in der EEG-Novelle keine Rede mehr. Zwar müssen alle Firmen, die in den Genuss der BesAR kommen wollen, ein Energie- und Umweltmanagementsystem haben. Aber darüber hinaus brauchen sie weiterhin keinerlei Gegenleistung zu erbringen. Auch dies ist ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Dort steht: "Zugleich ist vorgesehen, dass die begünstigten Unternehmen nicht nur ein Energie-managementsystem einführen, sondern auch wirtschaftlich sinnvolle und technologisch machbare Fortschritte bei der Energieeffizienz erzielt werden." (grh)