Napster muss nicht (vollständig) vom Netz

Die Musiktauschbörse Napster muss zwar nicht komplett vom Netz, sie hat aber das illegale Kopieren urheberrechtlich geschützter Musik zu unterbinden.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die Musiktauschbörse Napster muss zwar nicht komplett vom Netz, sie hat aber das illegale Kopieren urheberrechtlich geschützter Musik zu unterbinden. Das Gericht, das über die einstweilige Verfügung im Rahmen der Klage der Musikindustrie gegen Napster zu entscheiden hatte, bestätigte die Verfügung, nach der die Musik-Tauschbörse Urheberrechtsverletzungen begangen hat, will sie aber verändert sehen. Denn die Entscheidung, Napster vollständig vom Netz zu nehmen, sei über das Ziel hinausgeschossen. Napster muss nach der jetzigen Entscheidung das Tauschen von Songs unterbinden, durch die das Urheberrecht verletzt wird. Bis die einstweilige Verfügung entsprechend geändert sei, bleibe sie ausgesetzt. Damit wird allerdings der Tauschbörse faktisch der Boden entzogen – außer, sie einigt sich vor Inkrafttreten der geänderten einstweiligen Verfügung mit den Rechteinhabern.

Napster wurde wegen Verletzung der Urheberrechte von der Muskindustrie verklagt, darunter den fünf großen Labels und der Recording Industry Association of America (RIAA). Sie machten Napster dafür verantwortlich, dass über seine Server illegal urheberrechtlich geschützte Musik ausgetauscht werde. Das Berufungsgericht hatte Anfang Oktober letzten Jahres entschieden, dass Napster vorerst am Netz bleiben dürfe. Die Richter zogen eine einstweilige Verfügung der Bezirksrichterin Marilyn Hall Patel in Zweifel, nach der die Musiktauschbörse hätte schließen müssen. Sie wollten prüfen, ob Patel damit nicht über das Ziel hinausgeschossen sei, von ihr in der Entscheidung festgestellte Urheberrechtsverletzungen durch Napster zu unterbinden.

Genau dies bejahte das Gericht nun. Napster könne nur für Urheberrechtsverletzungen in dem Maße verantwortlich gemacht werden, wie der Dienst von den illegalen Kopien Kenntnis erhalte. Daher könne er, da über die Server von Napster auch legale Kopien ausgetauscht werden könnten, nicht einfach komplett geschlossen werden.

Die Richter bestätigten die einstweilige Verfügung insofern, dass Napster die Verletzung des Urheberrechts durch illegale Kopien unterbinden müsse. Die Verfügung müsse nun so abgeändert werden, dass Napster unter Einhaltung des Urheberrechts weiterarbeiten könne. Damit kann Napster theoretisch erst einmal am Netz bleiben – allerdings muss der Dienst alle Tauschvorgänge unterbinden, die illegale Kopien beinhalten. Dies dürften aber nach Ansicht der Musikindustrie nahezu alle der über Napster angebotenen Songs sein. Sobald ein Label Napster von einer illegalen Kopie informiert, muss der Dienst nach der veränderten einstweiligen Verfügung, wie das Berufungsgericht sie vorsieht, dies unterbinden.

Die jetzige Entscheidung beinhaltet aber noch kein endgültiges Urteil über Napster – diese fällt erst im Hauptverfahren, in dem entschieden wird, ob denn Napster selbst tatsächlich Urheberrechtsverletzungen begangen hat. Das Gericht entschied vorerst nur darüber, ob die einstweilige Verfügung von Richterin Patel gegen Napster, die mögliche fortlaufende Urheberrechtsverletzungen und damit Schäden für die Kläger vermeiden sollte, Bestand hat oder nicht. Diese möglichen Schäden möchte das Berufungsgericht nun dadurch vermieden sehen, dass Napster das Tauschen urheberrechtlich geschützter Musik, für das keine Lizenz besteht, unterbindet.

Ob sich Napster selbst tatsächlich illegaler Angebote, die Urheberrechtsverletzungen erst ermöglichten, schuldig gemacht hat, wird erst in einem Hauptsacheverfahren entschieden, in dem es grundsätzlich um Copyright und Urheberrechtsschutz im Internet gehen wird. Außerdem kann die Richterin der ersten Instanz weiterhin eine Verfügung gegen Napster erlassen, wonach die Tauschbörse nur dann online gehen darf, wenn sie ausschließen kann, dass über den Dienst Urheberrechtsverletzungen begangen werden.

Dem Hauptsache-Verfahren wird entscheidende Bedeutung für zukünftige Entwicklungen zum Urheberrecht im Internet zugemessen. Denn nach dem Digital Millenium Copyright Act (DMCA) in seiner letzten Fassung von 1998 ist das private Kopieren urheberrechtlich geschützter Werke erlaubt – dafür entrichten Gerätehersteller wie die Video- und Audiorecorder-Produzenten pauschale Abgaben an die Rechteinhaber. Nach dem DMCA ist damit ein so genannter "fair use" für private Zwecke erlaubt – also auch das private Kopieren. Das Berufungsgericht entschied aber nun, dass die Napster-User über den Dienst eben nicht "fair use" betrieben und dass Napster seine Nutzer geradezu dazu verleite, illegale Kopien zu tauschen.

Das US-amerikanische Copyright Office beispielsweise will bis Ende Februar dem US-Parlament Empfehlungen vorlegen, ob der DMCA den neuen Bedingungen, die durch digitale Medien und das Internet entstehen, angepasst werden muss. Bei einer ersten Anhörung waren Vertreter von Musikindustrie und Mediendienstleister anwesend, die sich zumindest in der Frage der Vergütungspflicht für digital verbreitete Werke einig waren. Allerdings hielten die Musikkonzerne daran fest, dass eine Gesetzesänderung nicht notwendig sei und sogar der Piraterie in die Hände spielen könnte. Die Gegenseite betont derweil die Notwendigkeit der Sicherheit für die Kunden, dass sie mit einmal heruntergeladenen Werken genau so verfahren dürfen wie mit physischen Medien. Der Kunde müsse weiterhin das Recht haben, diese Werke weiterzuverkaufen, zu verleihen oder zu verschenken.

Aber selbst nach der jetzigen Fassung des DMCA ist das öffentliche Anbieten von Kopien urheberrechtlich geschützter Werke nicht zulässig. Napster hatte sich immer damit verteidigt, dass man nur einen Dienst anbiete und nicht dafür verantwortlich sei, was die User anstellen. Außerdem argumentierte die Musktauschbörse, demselben Recht zu unterliegen wie etwa die Hersteller von Videorecordern: Diese sind nach allgemeinem Recht (unter anderem dem DMCA) und verschiedenen Gerichtsurteilen nicht haftbar, wenn ihre Geräte auch dafür benutzt werden, illegale Kopien von Filmen herzustellen, auch wenn die Videorecorder dies ermöglichen und keine Schutzmechanismen gegen solche Kopien enthalten. Eine pauschale Geräteabgabe ersetzt hierbei zumindest für private Kopien die Einzellizenzierung.

Die Ansicht von Napster, dass es sich hier um vergleichbare Angebote handle, war allerdings umstritten. So erklärten selbst Vertreter des US-Justizministeriums, des Copyright Office, in den USA für alle Fragen des Urheberrechts zuständig, und des Patent and Trademark Office in einem Schreiben an das Gericht, die Musiktauschbörse könne sich weder auf geltendes Recht noch auf Gerichtsurteile beziehen, die die Hersteller von Videorecordern beträfen. Auch die Labels hatten diesen Vergleich immer zurückgewiesen: Zum einen sei Napster explizit für das Tauschen von Kopien in Betrieb genommen worden; zum anderen habe die Firma immer bewusst in Kauf genommen, dass illegale Kopien getauscht würden. Sie habe dies sogar absichtlich provoziert, um der Musikindustrie den Markt abzujagen. Außerdem könnten die Regeln der analogen Welt nicht auf die neuen, digitalen Medien angewandt werden, für die ein einfacher Kopierschutz und eine Kontrolle der Verteilung machbar sei. Zudem böten die digitalen Medien im Unterschied zu analogen Geräten die Möglichkeit für nicht unterscheidbare 1:1-Kopien. Vertreter der Medien- und Elektronik-Branche hatten dagegen in Schreiben an das Gericht die juristische Position von Napster unterstützt.

Bertelsmann muss sich nun das weitere Vorgehen genau überlegen. Der deutsche Medienkonzern war eine finanzielle Partnerschaft mit der Musiktauschbörse eingegangen – unter der Voraussetzung, dass ein Geschäftsmodell gefunden wird, das Urheberrechtsverletzungen ausschließt. Bereits vor kurzem hatten Bertelsmann und Napster angekündigt, noch im Sommer ein kostenpflichtiges Abo-Modell einführen zu wollen. Dies hatte die anderen Labels bislang aber nicht sehr überzeugt – und ohne Lizenzen durch die Majors bliebe ein kostenpflichtiger Napster-Service ein Angebot fast ohne Inhalt und damit letztlich auch ohne zahlende Kunden für die Berstelsmann/Napster-Allianz. Bislang hatte Napster immer betont, der Dienst könne nicht an einzelnen Dateien feststellen, ob es sich um eine illegale Kopie handle – genau dies muss er aber nun nach der Entscheidung des Gerichts. Ob Bertelsmann und Napster es gemeinsam hinbekommen, die anderen Labels davon zu überzeugen, mit einer Pauschallizenz sei die Sache erledigt, ist sehr fraglich.

Selbst wenn die Bertelsmann/Napster-Allianz irgendwann einen kostenpflichtigen Service auf die Beine stellt, dem sich die anderen Labels anschließen und der Lizenzgebühren an die Rechteinhaber abführt, können auf die beiden Partner noch Zahlungen in Millionenhöhe zukommen: Auch der Online-Musikdienst MP3.com verpflichtete sich zu Ausgleichszahlungen gegenüber den Labels für vergangene Lizenzverletzungen, bevor die Firmen ihre Klagen fallen ließen und einen – recht brüchigen – Frieden mit dem Dienstleister schlossen.

Siehe dazu auch den Artikel Gelb-rote Karte für Napster in Telepolis sowie Bertelsmann begrüßt Napster-Entscheidung und Napster will gegen Verfügung in Berufung gehen auf [ heise online]. (jk)