Hunger macht Bakterien produktiv

Francis Meerburg hat ein Verfahren entwickelt, um mehr Energie aus Abwässern zu gewinnen.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Es klingt wie ein Perpetuum mobile: Eine Kläranlage so zu betreiben, dass sie genauso viel Energie erzeugt, wie die Klärung verbraucht. Forscher der belgischen Universität Gent haben genau das geschafft. Sie zeigten, wie man aus dem organischen Abfall der Abwässer genug Biogas gewinnen kann, um eine Anlage vollständig zu versorgen.

Der Schlüssel sind hungrige Bakterien. Die Wissenschaftler hungerten Mikroben aus, damit sie bei der Abwasseraufbereitung gieriger zuschlagen. "Wir haben untersucht, wie wir mithilfe von Bakterien mehr organisches Material daraus gewinnen können", sagt Francis Meerburg, der im Rahmen seiner Doktorarbeit den Prozess weiterentwickelt hat.

Dabei lässt man die Mikroorganismen regelmäßig fasten. Anschließend kommen sie im Belebtschlammbecken des Klärwerks kurz in Kontakt mit dem Abwasser. Nun schlingen sie viel mehr organisches Material herunter, als sie es sonst tun würden. Als Nächstes wandert ein Teil der Bakterien-Biomasse als Substrat in die Biogasproduktion. Denkbar sei später etwa auch die Herstellung von Biokunststoffen, sagt Meerburgs Doktorvater Siegfried Vlaeminck. Das Hauptziel sei aber Biogas. Die restliche Bakterienmasse muss wieder fasten und kommt dann erneut ins Belebtschlammbecken.

Mit existierenden Verfahren lassen sich den Forschern zufolge bisher maximal 30 Prozent des in Küchen- und Toilettenabwässern enthaltenen organischen Materials gewinnen. Ihre neue Methode verdopple diese Quote nahezu auf 55 Prozent. Nach ihren Berechnungen könnten sie mit dem hergestellten Biogas genug Energie gewinnen, um das Klärwerk zu hundert Prozent autark zu machen und vielleicht sogar noch überschüssige Energie zu produzieren. Das ist sogar im Ausland auf Interesse gestoßen. DC Water in der US-Hauptstadt Washington testet das neue Kontaktstabilisierungsverfahren der Belgier bereits.

Die dänische Stadt Aarhus gewinnt ebenfalls Energie aus ihrem Abwasser. Bisher musste die Verwaltung bis zu 40 Prozent der städtischen Energiekosten für die Trinkwasserversorgung und -aufbereitung veranschlagen. Bis 2030 plant die 200000-Einwohner-Stadt nun, die Wasserversorgung energieautark zu machen. Der erste Schritt wurde bereits vollzogen. Seit zwei Jahren produziert das Klärwerk Marselisborg bis zu 53 Prozent mehr Energie, als es verbraucht. Mit dem überschüssigen Strom wird Trinkwasser durch Aarhus gepumpt.

Erreicht wurde dies zum einen mit energieeffizienteren Maschinen, etwa neuen Gasturbinen für die Stromproduktion aus Biogas. Darüber hinaus nutzt Marselisborg nun das Anammox-Verfahren. Dabei entfernen spezialisierte Bakterien schädliche Stickstoffverbindungen schneller aus dem Abwasser und arbeiten deutlich energieeffizienter. Aus dem Biogas produziert das Klärwerk neben Strom auch Fernwärme. Die Stadt hat bisher rund drei Millionen Euro in die Modernisierung investiert, die sich in wenigen Jahren bezahlt machen soll. (vsz)