Neuland

Was passiert, wenn ein Zeit-Autor versucht, Programmierer zu verstehen? Die Wahrheit wird dich enttäuschen.

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Weil alle wieder mal darüber reden, dass Deutschland nicht den Anschluss verlieren darf bei der Digitalisierung, dass Bildung wichtig ist und Kinder unbedingt lernen müssen zu "coden", hat die Wochenzeitung "Die Zeit" einen Selbstversuch initiiert: Der Kollege Manuel J. Hartung probiert aus, wie es für einen Hardcore-Humanisten ist, programmieren zu lernen. "Das Teil, mit dem ich noch mal lesen und schreiben lernen will, ist acht Zentimeter groß und sieht ein bisschen aus wie eine Sternfrucht, das Obst, das an zu sahnigen Cocktails hängt", schreibt er. "Auf meiner Sternfrucht befinden sich 25 winzige Leuchtdioden, ein blauer, ein roter und ein weißer Knopf; ein Lagesensor, ein USB-Anschluss, ein Prozessor, der Schriftzug "Calliope mini"."

Das Szenario ist nicht schlecht gewählt, denn Calliope ist ja tatsächlich eine Plattform, mit der Kinder die Grundbegriffe des Programmierens lernen sollen. Und tatsächlich kommt der Kollege gut voran. Aber etwas gefällt ihm nicht, an dem neuen Spielzeug: der unbedingte Kommandoton, den er anschlagen muss, um das Rechnerlein zum Spielen zu bringen.

"Code kennt keine Fragezeichen, kein Nichtwissen, nur logische Eindeutigkeit, die man aus sich selbst heraus produziert", schreibt Hartung und sinniert weiter: "Wie wir sprechen, prägt, wie wir denken. Studien zeigen, dass man Männer vor Augen hat, wenn man "Professoren" sagt, obwohl Frauen in dem Plural, grammatikalisch zumindest, mitgemeint sind. Dass Menschen über Jahrhunderte die herrschenden Zustände ändern wollten, hat auch damit zu tun, dass Menschen im Konjunktiv denken und sprechen können. Was wäre wenn? Könnten wir nicht anders leben? Natürlich muss es etwas mit einem machen, wenn man nur im Imperativ denkt, nur im Befehlsmodus. Vielleicht kommt die habituelle Sicherheit, mit der viele Coder auftreten, die Selbstüberzeugtheit, mit der das Silicon Valley die Welt revolutioniert, auch aus der Lingua franca der digitalen Welt."

Ein tiefer Seufzer entrang sich meiner Brust als ich diese Zeilen las. Was haben wir uns damals lustig gemacht, als Bundeskanzlerin Merkel meinte, das Internet sei ja für viele von uns noch "Neuland". Und hier ist es nun, das Neuland, in seiner ganzen Schönheit und Weite.

Der Kollege spekuliert über das "Leben im Befehlston", das der Programmierer angeblich führt, als hätte es die vergangenen 30 Jahre nicht gegeben. Als wäre all dies völlig neu. Als hätte Sherry Turkle nie "Die Wunschmaschine" produziert, Ellen Ulman nie "Close to the Machine" verfasst, Gabriella Coleman nie zur Anthropologie der Hacker-Kultur geforscht und der Kollege Glaser nie seinen wunderbaren Text "Das Basic-Gefühl" geschrieben.

Schade. Zurück auf Anfang. (bsc)