Ein selbstfahrender Bus, der Gebärden beherrscht

Local Motors und IBM statten ein autonomes Shuttlefahrzeug mit Technik aus, die Menschen mit verschiedenen Behinderungen hilft.

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Von
  • Elizabeth Woyke
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Vor 15 Jahren musste Erich Manser das Autofahren aufgeben. Eine degenerative Augenerkrankung hatte es unmöglich gemacht. Heute pendelt er zu seinem Job als Berater für Barrierefreiheit mit Zug und Stadtbus. Ganz problemlos ist das nicht: Er muss beispielsweise manchmal andere Menschen um Hilfe bitten, um einen freien Platz zu finden.

Mansers Problem könnte sich schon in wenigen Jahren erledigt haben. Sein Arbeitgeber IBM arbeitet mit dem unabhängigen Fahrzeughersteller Local Motors an einem selbstfahrenden elektrischen Shuttlebus, der Künstliche Intelligenz (KI), erweiterte Realität (Augmented Reality, AR) und Smartphone-Apps miteinander kombiniert, um Menschen zu helfen, die an Seh- und Hörproblemen leiden oder anderweitig körperlich oder geistig behindert sind.

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Die Busse, genannt Olli, sind dafür gemacht, Menschen mit einer Geschwindigkeit von unter 55 Kilometern in der Stunde durch die Nachbarschaft zu kutschieren. Potenzielle Käufer sind Städte, Gemeinden, Firmen und Universitäten. Geht alles gut, startet die Massenproduktion bereits im Sommer 2018. Dann wären die knuffig aussehenden Gefährte einige der ersten selbstfahrenden Fahrzeuge auf den Straßen.

Olli arbeitet vollkommen autonom, einen menschlichen Fahrer gibt es nicht. Daher wird das IBM-KI-System Watson verwendet, um mit den Passagieren zu kommunizieren – per Sprachausgabe und auf iPads angezeigten Texten. Olli navigiert mittels Radar, Lidar und optischen Kameras, die von einer Firma namens Meridian Autonomous stammen. Vor dem Einsatz in einer Region erstellt Meridian Autonomous zunächst eine 3D-Karte, die laut Angaben von Local Motors auf rund 1,25 Zentimeter genau ist. Ein menschlicher Flottenmanager bestimmt dann die Busfahrroute.

Sobald Olli über seine Sensortechnik ein Problem erkennt, hält er an und benachrichtigt die Leitstelle. Das System geht zudem unabhängig davon eine Checkliste verschiedener möglicher Ursachen durch. "Wenn ein Passagier ein medizinisches Problem hat oder es ein Sicherheitsproblem gibt, kann Olli die Behörden alarmieren oder sich selbst zu einem Krankenhaus oder einer Polizeistation fahren", sagt Gina O'Connell, General Manager bei Local Motors, die das Projekt leitet.

Local Motors und IBM arbeiten bei Olli seit Anfang 2016 zusammen und produzierten die erste Version des Busses im Juni 2016. Dieses Gefährt ist derzeit in Deutschland und in der Schweiz auf Versuchsfahrten unterwegs. Die nächste, zweite, Generation des Olli wird nun auch verbesserte Verfahren zur Barrierefreiheit mitbringen. "Accessible Olli" soll ab 2018 produziert werden und erstmals Watson als Werkzeug zur Kommunikation mit den Passagieren nutzen. Weitere Funktionen des IBM-KI-Systems sollen folgen.

Noch sind Local Motors und IBM im Teststadium, haben aber schon einige der angestrebten Fähigkeiten festgelegt. Spätere Olli-Versionen könnten Menschen mit Sehbehinderung beispielsweise mittels Audiohinweisen und einer Smartphone-App zu freien Sitzplätzen lotsen, die eine Bilderkennung zuvor identifiziert hat. Olli könnte Passagiere außerdem über eine spezielle Form haptischen Feedbacks lotsen, bei denen Ultraschallsignale zum Einsatz kommen, die durch die Luft gesendet werden.

Haptikeinheiten könnten außerdem in jeden Sitzplatz eingebaut sein. Geht ein Passagier dann durch das Fahrzeug, könnte eine Vibration Hand oder Arm "anstupsen", dass es in der Nähe einen freien Sitzplatz gibt, erklärt Drew LaHart, Programmmanager in der Abteilung für Barrierefreiheit bei IBM.

Für Menschen mit Hörbehinderungen könnten die Busse auch Bilderkennung und AR-Verfahren einsetzen, um über integrierte Bildschirme oder Smartphones zu kommunizieren – und zwar im Dialog. LaHart zufolge könnte Olli trainiert werden, mittels maschinellem Lernen und der Watson-Bilderkennung Gebärdensprache zu nutzen. Hätte der Bus AR-Fähigkeiten, könnte er gar das Hologramm einer Person anzeigen.

Bilderkennung soll Olli außerdem ermöglichen, Passagiere an Haltestellen zu erkennen, die im Rollstuhl sitzen oder eine Gehhilfe verwenden. Der Bus würde dann seine automatische Rampe ausfahren, um das Betreten zu erleichtern. Zudem könnten Befestigungssysteme im Innern automatisch ausfahren.

Eine weitere Olli-Idee kombiniert Bilderkennung mit Sensoren, um zu ermitteln, dass ein Passagier einen Gegenstand unter dem Sitz verloren hat. Dann gibt es eine automatische Warnung an den Besitzer – das könnte auch Menschen mit Demenz und geistigen Behinderungen helfen.

Würden die Pläne umgesetzt, wäre dies eine deutliche Verbesserung gegenüber heute typischen Bussen, die normalerweise nicht mehr als Rollstuhlrampen und hörbare sowie visuelle Ansagen zur Route mitbringen. Local Motors und IBM arbeiten auch mit der CTA Foundation zusammen, der Stiftung der amerikanischen Vereinigung der Consumer-Electronics-Anbieter. Die Partner haben in den vergangenen drei Monaten Ideen von Behindertenorganisationen und Altenverbänden erbeten, die bei dem autonomen Bus umgesetzt werden könnten. Manser, der in der Abteilung für Barrierefreiheit bei IBM arbeitet, hat einen Workshop mit Blindenverbänden und ÖPNV-Organisationen durchgeführt und nahm außerdem an einem Hackathon des MIT zum Thema teil.

Local Motors plant, Ideen aus der Öffentlichkeit noch mehrere Monate zu sammeln. Im Juli wird dann ein endgültiger Plan für die neue Version des Olli entwickelt, der Grundlage des Budgets ist. Das Fahrzeug soll pro Stück ungefähr 250.000 US-Dollar kosten, ein Leasing ist für 10.000 bis 12.000 Dollar im Monat angedacht – inklusive Hardware-Aktualisierungen. Da Olli vor allem "on demand" mit 3D-Druck-Verfahren hergestellt wird, lässt sich sein Design schnell an das Nutzerfeedback anpassen, sagt Projektchefin O'Connell.

Die Firma glaubt, dass ÖPNV-Anbieter die Hauptkunden sein werden und hofft, dass Städte den Bus kaufen, um Lücken in ihrem regulären Transportsystem zu stopfen. Reine Transportmittel für Behinderte sollen die Ollis aber nicht sein.

Für diese Gruppe könnte der Bus aber eine deutliche Verbesserung gegenüber bisherigen Systemen sein. Behindertentransporte von Tür zu Tür sind derzeit vergleichsweise langsam, müssen vorab gebucht werden und sind nicht für alle Betroffene verfügbar, wie Henry Claypool, Policy Director des Community Living Policy Center an der University of California in San Francisco sagt, der selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist. "Es ist deutlich verlässlicher, einen Bus an denselben Stationen zu betreten und wieder zu verlassen, der einem vorhersehbaren Fahrplan folgt, besonders wenn er über barrierefreie Technik verfügt."

Susan Henderson, Exekutivdirektorin des amerikanischen Disability Rights Education and Defense Fund, meint, Olli umgehe wichtige Einschränkungen aktueller Zug- und Bussysteme. Das US-Behindertengesetz verlangt, dass "zentrale" Zug- und Metrostationen barrierefrei sein müssen – was bedeutet, dass eben nicht alle Stationen von Menschen im Rollstuhl oder mit Gehbehinderung verwendet werden können. "Wenn man heute noch 10 Blocks laufen muss, nachdem man seinen Stopp verlassen hat, wäre ein Olli, der durch die Nachbarschaft rollt, eine große Verbesserung." (bsc)