Keine Entwarnung bei Masern

Amerika hatte die Krankheit schon im Griff. Doch jetzt häufen sich die Masernerkrankungen nicht nur in Europa, sondern auch in den USA.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Deutschland ist im vorigen Jahr glimpflich davon gekommen. Nur 325 Masernerkrankungen vermeldete das Robert Koch-Institut für 2016. In diesem Jahr belief sich die Zahl der Masernfälle allerdings bis Anfang Mai bereits auf 504 Patienten. Auch andere europäische Länder haben zu kämpfen: Eine Epidemie suchte in den vergangenen Monaten Italien heim und führte zu 2395 Erkrankungen.

Die italienische Regierung hat auf Initiative von Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin deshalb jetzt per Gesetz Pflichtimpfungen für insgesamt zwölf Krankheiten – darunter Hirnhautentzündung, Tetanus, Kinderlähmung, Mumps, Keuchhusten, Windpocken und eben auch Masern – angeordnet: Das berichtet das Ärzteblatt auf seiner Webseite. Eine Maßnahme, die auch hierzulande die Diskussion erneut angefacht hat. Interessanterweise hatte sich die FDP schon zuvor für eine allgemeine Impfpflicht für alle Kinder bis 14 Jahre ausgesprochen, wie Zeit Online Ende April vom Parteitag der Liberalen berichtete.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe setzt dagegen klugerweise auf schärfere Maßnahmen, ohne die Fronten mit einem Gesetz zu verhärten: Er sieht in Deutschland das Problem nicht so sehr in den erklärten Impfgegnern, sondern offensichtlich vielmehr in einer gewissen Nachlässigkeit: "Es geht darum, dass wir diejenigen, die zu einer ersten Impfung ja gesagt haben, durch beharrliches Erinnern dazu führen, auch die zweite Impfung vorzunehmen", zitiert RP Online den Minister. Laut Gröhe müssen Eltern hierzulande inzwischen bei der Aufnahme in den Kindergarten eine absolvierte Impfberatung nachweisen. Wenn diese fehle, werde das Gesundheitsamt informiert.

Außerdem könnten nicht geimpfte Kinder bei einem Masernausbruch vom Schulbesuch ausgeschlossen werden, so Gröhe. Eine Maßnahme, die bereits praktiziert wird, aber keine billige Strafaktion darstellt, denn sie dient zum Schutz der Verbannten. Zum Beispiel mussten jetzt im Mai ungeimpfte Schüler und Lehrer der Waldorfschule und eines Gymnasiums in Chemnitz zu Hause bleiben, berichtet die Freie Presse auf ihrer Webseite.

Vielleicht greift Gröhes Initiative ja langfristig. Das wäre jedenfalls äußerst wünschenswert. An sich sind die Impfraten für eine dauerhafte Ausrottung der Masern in Deutschland nämlich zu gering. Von den angestrebten mehr als 95 Prozent bei den beiden Impfungen, die als Indikator für eine ausreichende Bevölkerungsimmunität angesehen werden, war etwa der Geburtsjahrgang 2013 am Ende des zweiten Lebens­jah­res noch weit entfernt, legt das Robert Koch-Institut dar: Nur 73,7 Prozent waren zu dem Zeitpunkt entsprechend zweimal gegen Masern ge­impft. Von den Schulanfängern hatten im Jahr 2015 im Bundesdurchschnitt ebenfalls nur 92,8 Pro­zent die maßgeb­li­che zweite Masern-Impfung er­halten, die anvisierten 95 Prozent werden unter Schulanfängern bislang nur in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erreicht.

Margaret Chan, die scheidende Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), nahm jetzt den deutschen Bemühungen ungeachtet laut einem Bericht des Ärzteblatts Impf­verweigerer in Europa und den USA ins Visier. Bislang sonnten sich die Vereinigten Staaten ja in dem Status, die Masern aus ihrem Herrschaftsgebiet verbannt zu haben. "Die jüngsten Masernausbrüche hätten nie passieren dürfen", wird Chan zitiert. Wir wollen deshalb hoffen, dass Gröhes Analyse der bundesdeutschen Ursachen zutrifft. Denn in den USA wird gezielt Propaganda gegen das Impfen gemacht, wie STAT, das Medizinportal von Boston Globe Media, ausführt: In Minneapolis sei die Bevölkerungsgruppe mit somalischer Abstammung systematisch vor Impfstoffen gewarnt worden. Auch Besuche des umstrittenen Impfgegners Andrew Wakefield hätten dazu geführt, dass unter den 24 bis 35 Monate alten Kindern der Community nur 41 Prozent geimpft seien, berichtet STAT. So erlebe Minnesota den schlimmsten Masernausbruch seit 30 Jahren.

Es bleibt nur zu hoffen, dass uns hierzulande ein Aufflammen von Vorurteilen den Impfungen gegenüber – die obendrein in den USA wohl auch noch von der Trump-Regierung gefördert werden –, erspart bleibt. Denn derzeit wird Wakefields Film "Vaxxed – Eine schockierende Wahrheit?!" in Deutschland im Kino gezeigt. Er schürt gezielt die Angst vor Impfungen, insbesondere vor der Dreifachimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR), berichtet das Ärzteblatt. Wakefield hatte 1998 im Fachmagazin "The Lancet" eine Studie publiziert, die Autismus mit der Impfung in Verbindung brachte. Offensichtlich eine unhaltbare Behauptung: Die Studie wurde zurückgezogen und am Ende verlor Wakefield seine Zulassung. Aber wie es so ist: Selbst bewiesene Lügen hinterlassen leider trotzdem bei vielen immer noch Zweifel. (inwu)