Die Faszination des Scheiterns

Auch die krassesten Fehlleistungen zeitgenössischer Architekten und Stadtplaner haben noch eine interessante Seite, wie der Bildband "ArchiFlop" zeigt.

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Jeder mag Ruinen – solange sie alt genug sind. Bei baufälligen Bauten der jüngeren Vergangenheit hingegen "erleben wir eine deprimierende Szenerie, die uns schaudern lässt, einen regelrechten ästhetischen Schlag in die Magengrube", schreibt Architekt und Design-Dozent Alessandro Biamonti in seinem Vorwort – auch weil wir solche Youngtimer-Ruinen als "Anzeichen unseres Misslingens" betrachteten.

Genau diesem Misslingen spürt Biamonti in seinem Bildband nach. Er versammelt nicht einfach nur wohlig-schaurige Bilder von verfallenen Orten, sondern gliedert sein Buch nach den Fehlannahmen, die zu deren Scheitern führten: "Es werden viele Tausende kommen" (Geisterstädte), "Es wird riesige Gewinne bringen" (Spekulationsobjekte), "Sie werden es nicht bemerken" (unbeholfene Machtdemonstrationen), "Sie werden sich bestens amüsieren" (Vergnügungsparks).

Zum Teil überschneidet sich die Auswahl mit hinlänglich bekannten "Lost Places" – etwa beim Spreepark in Ost-Berlin, dem Diamantendorf Kolmannskuppe in Namibia oder der japanischen Bergbauinsel Hashima. Aber darüber hinaus hat der Autor ebenso exotische wie bizarre Fund-stücke ausgegraben.

Tianducheng in China etwa ist Paris nachempfunden, einschließlich Gründerzeitbauten und Eiffelturm (im Maßstab eins zu drei). Doch die Wohnungen sind so teuer, dass bisher nur 2000 statt der geplanten 10000 Einwohner eingezogen sind. Oder Gibellina Nuova in Süditalien, das als Ersatz für das von einem Erdbeben zerstörte Dorf Gibellina Vecchia erbaut wurde. Es ist voller Kunstwerke, aber ohne Menschen.

Einige Objekte sind mittlerweile abgerissen worden, darunter auch die Kowloon Walled City auf einer Halbinsel in Hongkong. Dort fühlten sich weder Briten noch Chinesen zuständig, so entwickelte sich eine "Stadt in der Stadt". Sie war so verschachtelt, dass kaum ein Sonnenstrahl ins Innere drang. Bis zu ihrem Abriss 1993 wohnten hier 33000 Menschen, was die "Stadt der Dunkelheit" zu dem Ort mit der größten Bevölkerungsdichte der Welt machte.

Bei allem Schaudern über die Wohnbedingungen gesteht Biamonti sich – wie bei allen anderen Architektur-Flops – auch eine gewisse Faszination ein. Diese Ambivalenz macht den Reiz des Bildbands aus.

Alessandro Biamonti: ArchiFlop. Gescheiterte Visionen. Die spektakulärsten Ruinen der modernen Architektur, DVA Bildband, 192 Seiten, 29,95 Euro (bsc)