Alphabet: Ein lukratives KI-Geschenk

Beim Cloud Computing hat sich Google von Amazon und Microsoft abhängen lassen – jetzt aber setzt es neue Standards mit einem Werkzeug für künstliche Intelligenz.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Tom Simonite

Zum vierten Mal kürt Technology Review die 50 innovativsten Unternehmen des Jahres. Das entscheidende Kriterium für die Auswahl: bahnbrechende Ideen und wegweisende Fortschritte. Hier schreiben wir, warum es diese Firma unter die Top-50 geschafft hat.

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Die gesamte Liste mit den "50 innovativsten Unternehmen":

Anfang 2015 programmierten KI-Forscher bei Google ein internes Hilfsmittel für Maschinenlernsoftware. Es hieß TensorFlow und machte es deutlich einfacher, neue Ideen in konkreten Programmcode umzusetzen. Schon wenig später wurde es kostenlos an den Rest der Welt abgegeben. Diese Entscheidung konnte man damals für altruistisch halten oder schlicht für dumm. Doch mittlerweile erweist sie sich als genialer Schachzug, denn TensorFlow ist dabei, zum wichtigsten Werkzeug für Maschinenlerndienste zu werden.

TR 9/2017

Was mithilfe von TensorFlow programmiert wird, kann anschließend überall laufen – besonders gut aber in Googles eigener Cloud. Die Alphabet-Tochter hat spezielle Prozessoren entwickelt, um TensorFlow schneller und stromsparender zu machen. Viele Google-Dienste profitieren davon. So steht TensorFlow unter anderem hinter besseren Übersetzungen, genauerer Spracherkennung und dem Sieg gegen den besten Go-Spieler der Welt. Für Cloud-Kunden ist es attraktiv, genau dieselbe Infrastruktur wie Google selbst nutzen zu können. Der Versicherer Axa sagt mit TensorFlow beispielsweise teure Verkehrsunfälle voraus.

Es gibt zwar zahlreiche andere Tools, über deren Vor- und Nachteile sich Experten stundenlang streiten können. Doch TensorFlow rage heraus, meint Stanford-Professor Reza Zadeh. Mit seinem Start-up Matroid nutzte er zunächst ein Tool namens Caffe, um Software zur Bilderkennung zu entwickeln. Dann probierte er das Google-Tool und stellte fest, "dass TensorFlow bei allen technischen Aspekten klar überlegen ist".

Die Popularität von TensorFlow hilft Google dabei, einen größeren Anteil am wachsenden Markt für Cloud-Dienste zu gewinnen. Derzeit hat er ein Volumen von rund 40 Milliarden Dollar pro Jahr, und Google liegt weit abgeschlagen hinter Amazon und Microsoft auf dem dritten Platz. Das soll sich ändern: In fünf Jahren werde man den Spitzenplatz erreichen, sagte Diane Green, Leiterin des Cloud-Geschäfts von Google.

Eine entscheidende Rolle soll dabei die plötzliche KI-Begeisterung vieler Branchen spielen – vom Gesundheitswesen bis zur Autoindustrie. Sie werden voraussichtlich viel Geld für Cloud-Dienste ausgeben, um die Kosten und Komplexität eigener KI-Systeme zu umgehen. "Die Strategie ist fantastisch", meint S. Somasegar, Geschäftsführer des amerikanischen Wagniskapitalfonds Madrona und früherer Chefentwickler bei Microsoft. "Google liegt mit seiner Cloud sehr weit hinten, aber sie haben einen Bereich gefunden, mit dem sie einen Brückenkopf schaffen können."

Gleichzeitig verankert sich das Google-Werkzeug fest in den Köpfen der nächsten Generation von KI-Forschern und -Unternehmern. An der University of Toronto, an der viele wichtige KI-Forscher ausgebildet wurden, lehrt Dozent Michael Guerzhoy TensorFlow.

Seine Einführungsvorlesung über Maschinenlernen ist völlig überlaufen. "Vor zehn Jahren habe ich Monate gebraucht, um etwas zu schaffen, das meine Studenten heute mit TensorFlow in ein paar Tagen erledigen", sagt er. Nachdem Google TensorFlow freigegeben hat, haben auch Microsoft und Amazon mit kostenlosen Tools nachgezogen. Bislang aber, sagt Guerzhoy, habe kein anderes Werkzeug für Maschinenlernen unter Forschern, Studenten und Programmierern eine so breite und begeisterte Nutzerbasis. (bsc)