Kein Schnee von gestern

Es gibt Hinweise, dass die amerikanische Zuckerindustrie Forschungsergebnisse über die Schädlichkeit von Zucker verheimlicht hat. Angesichts der aktuellen Diskussionen hat man den Eindruck: Es hat sich nicht viel geändert.

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Von
  • Inge Wünnenberg

"Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen", wird der amerikanische Schriftsteller William Faulkner gern zitiert. Diese Weisheit kommt einem unweigerlich in den Sinn, wenn man liest, wie die Zuckerindustrie Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts unliebsame Forschungsergebnisse unterdrückt hat. Wie jetzt von einem Wissenschaftlerteam der University of California in San Francisco im Journal "PLOS Biology" berichtet, ließ die Sugar Association, die damals in den USA unter dem Titel "Sugar Research Foundation" firmierte, gesundheitliche Auswirkungen des Zuckerkonsums in Studien untersuchen.

Allerdings wurden, das führte auch die "New York Times" jüngst in einem Artikel aus, die Ergebnisse nie publiziert. Mit Laboruntersuchungen beauftragt, wurde damals der Brite W.F.R. Pover von der University of Birmingham. Er sollte herausfinden, ob Nagetiere mit und ohne funktionierende Darmflora unterschiedlich auf Zucker und Stärkeprodukte reagieren – und ob sich stark zuckerhaltige Lebensmittel schädlich auswirken könnten. Tatsächlich deutete sich ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzerkrankungen und sogar Blasenkrebs bei den Zuckerkonsumenten unter den Ratten an.

Der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden diese Forschungsergebnisse jedoch bisher nicht. Als offensichtlich wurde, welche Erkenntnisse Povers Studien hervorbringen würden, erhielt der Brite keine weitere Finanzierung mehr. Unter den Teppich gekehrt wurden also laut "New York Times" die Hinweise darauf, "dass vom Zuckerkonsum stammende Kalorien schädlicher für die Herzgesundheit sein könnten als Kalorien von Stärkelieferanten wie Korn, Bohnen und Kartoffeln".

Dass die Wahrheit über die damalige Forschung nun trotzdem bekannt wurde, ist indes kein Verdienst der heutigen Sugar Association. Vielmehr stöberte Christin E. Kearns, Erstautorin der "PLOS Biology"-Studie, die Originaldokumente in den Archiven verschiedener Universitäten auf. Seitens der Zuckerlobby wurden ihre zusammen mit Stanton Glantz vorgelegten Analysen dennoch als "eine Sammlug von Spekulationen und Mutmaßungen über Geschehnisse, die sich beinahe fünf Jahrzehnte zuvor zugetragen haben", bezeichnet. Doch so einfach kann man Povers Forschung nicht abtun: Um die Behauptung, dass es beim Konsum allein um die Zahl der Kalorien gehe und nicht um eine besondere Auswirkung auf den Stoffwechsel, dreht sich die Argumentation der Zuckerindustrie heute immer noch, wie auch das "Ärzteblatt" auf seiner Webseite kritisiert.

Eigentlich ist laut "Ärzteblatt" gemeinhin bekannt, dass ein hoher Zuckerkonsum mit Gesundheitsrisiken wie Karies, Adipositas, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreis­lauf-Krankheiten einhergeht. Deshalb ist auch kaum nachvollziehbar, wie unlängst in einem TR-Blog angeprangert, dass die europäischen Gremien die Quotenregelung für Zucker und Isoglucose im Herbst dieses Jahres auslaufen ließen. Künftig könnte also billiger importierter Zuckersirup den Konsum und die Verarbeitung von gesüßten Lebensmitteln hierzulande noch preiswerter machen. Vielleicht sollte die Politik davor nicht länger die Augen verschließen – und sich doch einmal ihrer Verantwortung stellen. Es gilt, die lange diskreditierten Wahrheiten mit Vehemenz ans Tageslicht zu bringen. Und vielleicht auch in Deutschland eine Zuckersteuer auf süße Getränke einzuführen. Das zum Beispiel fordert die Weltgesundheitsorganisation WHO laut der Tageszeitung "Augsburger Allgemeine" längst von den Regierungen weltweit. (inwu)