Der Futurist: Jurassic Valley

Was wäre, wenn wir ausgestorbene Tiere zum Leben erwecken könnten?

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Dafür, dass Professor Zhou Jia Ying nur eine spärliche Liste von Veröffentlichungen vorweisen konnte, verfügte er über erstaunliche Forschungsmittel. Das meiste stammte aus privater Hand, unter anderem von den üblichen Verdächtigen aus dem Silicon Valley.

Zhou wusste geschickt auf der Klaviatur ihrer Wünsche und Visionen zu spielen, dieser Mischung aus Weltverbesserungsdrang und Eitelkeit. Er lockte seine Investoren mit der Aussicht, an der Wiedererweckung ausgestorbener Spezies beteiligt zu sein, und versprach ihnen, ihre Namen codiert im Erbgut unterzubringen.

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Das verschaffte Zhou genug finanziellen Spielraum, um still und leise an einem weiteren Projekt zu arbeiten. Es war mindestens ebenso spektakulär und seine Klientel ähnlich eitel – allerdings deutlich weniger weltverbesserungswillig. In der mexikanischen Drogenmafia hatte Anfang der 2020er-Jahre ein Wettstreit um die größten, gefährlichsten, bissigsten, lautesten Wachhunde begonnen, was zu gentechnisch veränderten Terriern absurder Ausmaße führte. Doch mittlerweile schien eine natürliche Grenze erreicht: Ab etwa Ponygröße wurden die Viecher einfach zu unbeweglich.

Zhou versprach eine Lösung. Er war, wie auch die herrschende Generation der Drogenbarone, als Kind von den "Jurassic Parc"-Filmen geprägt worden. Und so ein biestiger Velociraptor als Wachhund wäre doch auf der Coolness-Skala kaum zu schlagen, warb er in einschlägigen Darknet-Foren.

Während Zhou also für die Zoos – unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit – brav Mammuts, Wollnashörner, Dodos, Kakapos und Kiwis produzierte, lag sein eigentlicher Forschungsschwerpunkt auf den deutlich lukrativeren Velociraptoren und ihren Verwandten. 2029 war es endlich so weit: Er konnte den ersten Raptor in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Mexiko liefern. Der Preis entsprach dem zehnfachen Körper-gewicht in Kokain.

Doch das Tier war zumindest nach Mafia-Maßstäben ein Totalausfall: Es lag am liebsten faul in der Sonne, sah aus wie ein zu groß geratener Truthahn in der Mauser und zeichnete sich vor allem durch seine bemerkenswerte Unfähigkeit aus, irgendjemanden zu beeindrucken. Nach zwei Wochen fiel es einem genmanipulierten Pitbull zum Opfer, der es irgendwie in das Gehege geschafft hatte.

Zhou wurde es mulmig zumute. Er hoffte, dass seine Geschöpfe wenigstens in der Gruppe etwas rauflustiger sind. Er überzeugte einen Drogenbaron, gleich einen ganzen Schwarm zu ordern. Zur Anlieferung organisierte dieser eine große Party für den gesamten Clan. Es wurde ein Desaster: Die Dinos verzogen sich augenblicklich in die entgegengesetzten Ecken ihres eigens angelegten Freigeheges. Von Schwarmverhalten keine Spur.

Die Wissenschaft hätte dieses Verhalten brennend interessiert, denn die Frage, ob Raptoren wirklich im Schwarm jagten, war nach wie vor ungeklärt. Doch sie erfuhr nie etwas davon: Zhous Institut brannte aus ungeklärter Ursache ab, und die Dinosaurier wurden den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Ihre Überreste haben die Gangster gemeinsam mit den Opfern des jüngsten Bandenkriegs so gründlich verscharrt, dass sie allenfalls künftige Generationen von Paläontologen in Verwirrung stürzen dürften.

(grh)