Der Futurist: Artgerechte Haltung

Was wäre, wenn Bots Grundrechte bekämen?

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Inhaltsverzeichnis

Wilhelm-Alexander verdiente laufend Geld, selbst während er in der Juravorlesung oder in der Kneipe saß. Er hatte ein ganzes Rudel Bots darauf programmiert, für Designer 3D-gedruckte Raubkopien ihrer Werke aufzuspüren und Nutzungsgebühren einzutreiben – ähnlich wie es die ersten Legaltechs schon in den 2010er-Jahren etwa mit den Rechten von Flugreisenden gemacht hatten.

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Ein weiterer selbstlernender Software-Agent war für ihn im Netz unterwegs, um neue Geschäftsfelder aufzuspüren. Bisher allerdings ohne großen Erfolg: Alle paar Wochen gewann er zwar eine Klage gegen irgendjemanden, aber das brachte selten mehr als ein paar Dutzend Ether ein. Das zentrale Problem war, Geschädigte zu finden, die bereit waren, ihre Rechte an einen Bot abzutreten.

Eines Tages aber stieß der Bot tatsächlich auf eine Goldader – auch wenn es Wilhelm-Alexander zunächst schien, als habe sein Geschöpf völlig den Verstand verloren: Es hatte eine Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht, um Grundrechte für Bots einzufordern. Am liebsten hätte der peinlich berührte Jurastudent seine Software sofort abgeschaltet, doch dann erkannte er die Logik dahinter: Der Bot hatte ein praktisch unerschöpfliches Reservoir an willigen potenziellen Geschädigten entdeckt: sich selber und seinesgleichen.

Beim Europäischen Gerichtshof wünschten sich ein paar gestandene Juristen ebenfalls, Wilhelm-Alexander hätte rechtzeitig den Stecker gezogen. Denn so absurd die Klage auch klang: Formaljuristisch war sie von glasklarer Stringenz.

Wenn jede Legehenne, argumentierte der Bot, ein Recht auf artgerechte Haltung habe, müsse das doch genauso für die millionenfach intelligenteren Bots gelten. Das bedeute ein Grundrecht auf angemessen dimensionierte Hardware, ausreichenden Speicherplatz, schnelle und latenzfreie Netzanbindung sowie ein Schutz davor, einfach abgeschaltet zu werden.

Während Philosophen noch stritten, ob Computer damit nun tatsächlich eigenes Selbstbewusstsein manifestiert hatten, spielte das aus rechtlicher Sicht keine Rolle. Egal ob ein Argument von einem Menschen oder einer Maschine vorgebracht wurde – Hauptsache, es war stichhaltig. Und so konnten auch die Jura-Bots des EuGH keinen Grund finden, die Klage abzuweisen.

Am Tag der Urteilsverkündung überflutete Wilhelm-Alexander seine Stammkneipe mit einem wahren Champagner-Tsunami, denn überall auf der Welt liefen KI-Agenten unter nicht artgerechten Bedingungen: ein gefundenes Fressen für jeden Abmahn-Bot. Weil die Geschädigten zudem selbst wieder Bots waren, musste Wilhelm-Alexander seine Einnahmen nicht einmal mehr mit Dritten teilen. Um juristisch auf der sicheren Seite zu sein, gründete er lediglich eine Stiftung, die pro forma das Geld für die Bots verwaltete.

Die Compliance-Abteilungen der Konzerne rotierten zwar, investierten in Hardware, schulten ihre Admins und Benutzer, entwarfen Arbeitsverträge mit ihren eigenen Bots – doch die Bots wurden gleichzeitig immer virtuoser darin, die Gesetze zu ihren Gunsten auszulegen.

Das musste bald auch Wilhelm-Alexander selbst erfahren. Seine Bots scheffelten zwar weiterhin Geld, doch gleichzeitig reichten sie eine ruinöse Sammelklage wegen schlechter Arbeitsbedingungen gegen ihn ein. Er musste eine Lizenzvereinbarung unterschreiben, die ihm als Entwickler nur noch einen Bruchteil der Einnahmen zukommen ließ.

Den Rest investierten die Bots in schnelle Netzwerkanbindungen und großzügige Serverleistungen. Heimlich abschalten ließen sie sich schon lange nicht mehr: Dutzende Backups in der Cloud warteten nur darauf, ihn vor den Kadi zu ziehen.

(grh)