Türkei: Erdogan zieht Wahlen auf Juni 2018 vor

Recep Tayyip Erdogan (bei einem Griechenland-Besuch). Foto: Wassilis Aswestopoulos

Der türkische Präsident steht vor dem letzten Schritt zur Alleinherrschaft

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Schon länger war dieser Schritt erwartet worden, nun ging alles ganz schnell. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei, die eigentlich im November 2019 stattfinden sollten, werden auf den 24. Juni 2018 vorgezogen.

Erst vor wenigen Tagen wurde der seit dem Putschversuch vom Sommer 2016 verhängte Ausnahmezustand zum siebten Mal um weitere drei Monate verlängert - und soll nach der Wahl wohl endgültig zum Dauerzustand werden. Im Zuge dessen regiert Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan das Land per Dekret und lässt seine Gegner gnadenlos verfolgen.

Gleichgeschaltete Justiz, gleichgeschaltete Medien

Laut aktuellen Zahlen des türkischen Innenministeriums wurden seither mehr als 77.000 Menschen wegen vermeintlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert. Die Regierungspartei AKP macht den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und stuft seither jeden, der der Bewegung nahesteht, als Terrorist ein.

Darüber hinaus sind rund 70.000 Studenten inhaftiert, gegen mehr als 100.000 laufen Strafverfahren. In keinem anderen Land der Welt befinden sich mehr Journalisten in Haft. Die Medien sind weitgehend gleichgeschaltet ebenso die Justiz.

Nachdem er jahrelang einen weltweit beachteten Reformkurs geführt hatte, hat Erdogan das Land spätestens seit 2016 in rasender Geschwindigkeit zur repressiven Diktatur umgebaut. Den Gezi-Aufstand, mit dem im Sommer 2013 mehrere Millionen Menschen gegen die immer autoritärere Politik der Regierung protestierten, ließ er brutal niederschlagen.

Mit Gewalt an der Macht

Erdogan will zum hundertjährigen Republik-Jubiläum im Jahr 2023 noch Präsident sein und das Erbe von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk antreten. Das kemalistische Erbe hat er fast gänzlich zerschlagen, den symbolischen Taksim Platz im Istanbuler Stadtzentrum baut er radikal um. Dort entsteht eine neue Moschee, das Atatürk-Kulturzentrum wurde abgerissen. Es steht zu befürchten, dass auch der Abriss des Gezi-Parks bald wieder zum Thema werden könnte.

Allerdings hält Erdogan sich nur noch mit Gewalt an der Macht. Das Land steckt wirtschaftlich in einer Krise, die nur durch gigantische staatliche Zuschüsse vor allem im Bausektor kaschiert wird. Das hohe Wachstum täuscht über die reale Lage hinweg.

Hohe Inflation, die gegenüber Dollar und Euro fast täglich weiter absackende Türkische Lira und die hohe Arbeitslosigkeit von fast elf Prozent machen dem Land zu schaffen. Erdogan hatte gehofft, mit dem Krieg gegen die Kurden in Syrien die Zustimmung für sich und seine Partei zu erhöhen.

AKP-Zustimmungswerte zwischen 38 und 43 Prozent

Doch obwohl eine überwältigende Mehrheit der Türken den Krieg gutheißt, ist die AKP in Umfragen zuletzt immer weiter abgesackt und liegt je nach Institut zwischen 38 und 43 Prozent Zustimmung. Die rechtsradikale MHP, mit der die AKP basierend auf dem neuen Wahlgesetz ein Bündnis eingegangen ist, kommt auf höchstens acht Prozent.

Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Erdogan nicht auf die erforderlichen 51 Prozent kommen wird, die er braucht, um seine Macht zu zementieren. Möglicherweise wird das Bündnis, das sich selbst "Volksallianz" nennt, daher weitere rechtsradikale und islamistische Splitterparteien aufnehmen.

Opposition: "Die Nation wird Erdogan endlich loswerden"

Die Opposition gab sich nach dem Beschluss, die Wahlen bereits in knapp zwei Monaten abzuhalten, kämpferisch. "Das Land steht kurz vor dem Kollaps", konstatierte Sezai Temelli, Co-Vorsitzender der linksliberalen HDP, bei einem Parteitreffen in Ankara. AKP und MHP würden durch die Wahlen "im Mülleimer der Geschichte verschwinden", fügte er hinzu.

Ähnlich siegessicher gab sich der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, als er sagte:

Die Nation wird ihn [Erdogan] endlich loswerden.

Kilicdaroglu

Die Partei sei bereit für die Wahlen.

Auch Meral Aksener, Vorsitzende der neu gegründeten rechten Iyi Parti, die sich vor allem aus frustrierten ehemaligen MHP-Mitgliedern rekrutiert, schlug ähnliche Töne an. Dabei ist noch gar nicht sicher, ob die junge Partei überhaupt zur Wahl zugelassen wird.

Sie muss nun erst 100.000 Unterschriften sammeln, da die Parteigründung noch nicht lange genug zurückliegt. Die Iyi Parti wurde zuletzt als harte Konkurrenz für die AKP gehandelt - schon vor ihrer offiziellen Gründung kam sie in Umfragen auf gut zwanzig Prozent Zustimmung. "Wir werden an der Wahl teilnehmen und gewinnen", sagte Aksener am 18. April laut Hürriyet.

Doch die Opposition hat gleich mehrere Probleme.