"Balkan-Merkel" Borissov: "Wir schaffen das"

Abschluss des Gipfels. Man beklatscht sich. Bild: F. Stier

Auch ohne konkrete Zusagen markiert der EU-Westbalkan-Gipfel in Sofia eine wichtige Etappe auf dem Weg der EU-Integration der Balkanhalbinsel

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In freudiger Erregung trat Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov am Donnerstagmorgen des 17. Mai 2018 im Foyer des Nationalen Kulturpalastes (NDK) in Sofia von einem Fuß auf den anderen. Er wartete darauf, die Teilnehmer des EU-Westbalkan-Gipfels zu begrüßen. Außer den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder und der Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegovina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien gehörten dazu auch Repräsentanten wichtiger internationaler Finanzinstitutionen wie der Weltbank. Die größte und höchstrangig besetzte Konferenz in der neueren Geschichte Bulgariens war der Höhepunkt der ersten bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft und für Borissov persönlich der Gipfel seiner politischen Karriere.

In seinen beiden ersten Amtszeiten als Regierungschef zwischen 2009 und 2016 spielte Borissov die Rolle des strengen, aber gerechten Landesvater, ohne den kaum eine Kläranlage, ein Autobahnteilstück oder ein Sportplatz im Land eingeweiht werden konnte. Mit dem Beginn seiner dritten Amtszeit im Mai 2018 wechselte Borissov sein Profil. Statt durch die bulgarische Provinz reiste er nun in die südosteuropäischen Hauptstädte und beschwor seine Amtskollegen, historischen Ballast über Bord werfen und Kurs zu nehmen auf eine zügige Integration in die Europäische Union. Albaniens Ministerpräsident Edi Rama verlieh Borissov für seine unermüdliche Konsens-Suche den Ehrentitel des "Balkan-Merkel".

Angela Merkel dämpft die Hoffnungen

Es war indes die originale Merkel, Borissovs "liebe Freundin Angela", die auf ihrer abschließenden Pressekonferenz nach dem Sofioter Gipfel einer baldigen EU-Erweiterung eine unverhohlene Absage erteilte. Sie halte nichts von dem Zieldatum 2025 für eine weitere Balkanerweiterung der EU, das EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits im Frühjahr 2018 in Aussicht gestellte hatte, sagte die Kanzlerin.

Sie dämpfte damit vor allem die Erwartungen von Serbien und Montenegro, die als mögliche Kandidaten für die nächste Erweiterungsrunde gelten. EU-Beitritte müssten immer "auf Fortschritten in der Sache" basieren, so Merkel, es gehe bei ihnen um Erreichtes bspw. bei Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Grenzstreitigkeiten. "Die EU-Mitglieder Slowenien und Kroatien sprechen heute noch über ihre Grenzen. Wir wollen nicht, dass sich so etwas wiederholt.

Mit Griechenlandkrise, Ukraine-Krieg, Migrationswelle und Brexit hat die EU in den vergangenen Jahren existenzgefährdende Probleme durchlebt. Die Kapazitäten, sich um ihre Balkanerweiterung zu kümmern, waren offenbar begrenzt. Ihre mangelnde Präsenz in der Region nutzten Großmächte wie Russland, die USA und China, aber auch die Türkei zur Erweiterung und Vertiefung ihrer geopolitischen Einfluss-Sphären.

In ihrer der Gipfeldeklaration angehängten Sofia Priority Agenda verspricht die EU nun, dem Balkan künftig wieder größere Beachtung zu schenken. Durch Förderung von Investitionen in Transport, Energie und Digitalität in Milliardenhöhe will sie die Verbindungen der Westbalkanländer untereinander und zur EU stärken.

Auch selbstverschuldete Schwierigkeiten mit der europäischen Perspektive

Die Westbalkanländer tragen ihre jeweils ganz eigene Verantwortung dafür, dass ihre Beitrittsbemühungen seit dem EU-Westbalkangipfel von Thessaloniki im Jahre 2003 ohne wesentliche Fortschritte geblieben sind. Bereits damals räumte ihnen die EU eine "europäische Perspektive" ein, so wie sie es nun fünfzehn Jahre später in Sofia mit ähnlicher Sprachregelung wieder getan hat.

In Mazedonien verhärteten sich durch die über zehn Jahre herrschende ultranationalistische Politik die Fronten im Streit mit Griechenland um einen auch für den südlichen Nachbarn akzeptablen Staatsnamen. Jegliche Bewegung Skopjes in Richtung EU und NATO war dadurch blockiert. Nun berichteten mazedonische Medien vom Rande des Sofioter Gipfels, Griechenlands Premier Alexis Zypras und Mazedoniens Regierungschef Zoran Zaev hätten sich auf "Republika Ilindenska Makedonija" als möglichen Namen verständigt.

Das kosovarische Parlament räumte mit seiner kürzlichen Ratifizierung einer Grenzregelung eine Hürde Montenegros zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen aus dem Weg. Bevor es solche aber auch für das Kosovo geben kann, muss dessen Unabhängigkeit von den fünf EU-Mitglieder Spanien, Griechenland, Zypern, Slowakei und Rumänien anerkannt werden. Darüber steht weiterhin völlig in den Sternen, wie eine Einigung zwischen Serbien und dem Kosovo aussehen könnte. Immerhin kann die Tatsache, dass die Präsidenten beider Länder Aleksandar Vucic und Hashim Thaci zum Gipfel in Sofia anreisten, als positives Zeichen gelten.

Nicht anders als der amtierende EU-Ratspräsident Bulgarien sind die Westbalkanländer belastet von Problemen wie Armut, mangelnde Rechtsstaatlichkeit, oligarchische Machtstrukturen und Diskriminierung von Minderheiten. Viele EU-Bürger und Politiker betrachten deshalb die Möglichkeit einer erneuten Balkan-Erweiterung der EU mit Sorge. Die Schuld daran gibt Boiko Borissov den "Märchen verzapfenden Westmedien". Die Westbalkanländer hätten zusammen ungefähr das Bruttoinlandsprodukt der Slowakei und eine kleinere Bevölkerung als Rumänien, erklärte er auf der abschließenden Pressekonferenz zum Gipfel und fragte rhetorisch: "Wie kann dies eine Bedrohung für die EU sein?"

Erhielten Mazedonien und Albanien auf dem Sofioter Gipfel auch keine Termine zur Aufnahme von EU-Beitrittsbedingungen genannt und Serbien und Montenegro keinen möglichen Beitrittstermin, so hält Boiko Borissov es dennoch mit gewissem Recht für einen Erfolg und sein Verdienst, dass das politische und wirtschaftliche Schicksal des Balkans nach langer Abstinenz für die EU wieder zum Thema geworden ist. Bereits im Juli 2018 werden die Staats- und Parteichefs der Westbalkanländer in London im Format des Berliner Prozesses wieder mit der EU konferieren.

Hier fand der EU-Westbalkan-Gipfel in Sofia. statt. Bild: F. Stier

Bulgarien fürchtet Mobilitätspaket der Europäischen Kommission

Befinden sich die Westbalkanländer hinsichtlich ihres EU-Beitrittsfahrplans in einer Warteschleife, so geht es Bulgarien mit seinen Aufnahmebegehren für den Schengener Raum und den Euro-Wartesaal ERM2 ähnlich. Borissovs Regierung beteuert seit Jahren, alle Kriterien dazu seien erfüllt. Die die EU reagiert darauf mit guten Worten, aber ohne konkrete Zusagen. Nun befürchtet Bulgarien zusätzlich die faktische Eliminierung aus dem wichtigen EU-Markt der Transportwirtschaft.

Am Tag des Gipfeltreffens protestierten bulgarische Fernfahrer mit Blockadeaktionen in Sofia und anderen Orten im Land gegen das geplante Mobilitätspaket der Europäischen Kommission. Während der deutsche Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) die in ihm enthaltenen Maßnahmen zur Reform des Transportwesens in der EU begrüßt, warnen Vertreter der bulgarischen Transportbranche, ihre Umsetzung werde viele bulgarische und osteuropäische Transportfirmen in den Ruin treiben.

Das Mobilitätspaket sieht vor, dass Fernfahrer alle drei Wochen aus dem Ausland in ihre Heimat zurückzukehren müssen, dass sie nicht mehr in ihrer Fahrerkabine übernachten dürfen, sondern nur im Hotel oder in privaten Unterkünften. Außerdem müssten sie eine wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden am Stück einhalten. Und schließlich sollte ihr Lohn ab dem vierten Tag ihres Auslandsaufenthalts auf das Niveau des jeweiligen Aufenthaltsort aufgestockt werden.

Diese Regularien seien nicht nur unmöglich einzuhalten, sondern würden den bulgarischen Fuhrunternehmen ihre Tätigkeit so verteuern, dass sie auf dem internationalen Markt nicht mehr konkurrenzfähig seien, behaupten auch die Volksvertreter in der Bulgarische Volksversammlung. Das Parlament trug in seltener Einmütigkeit Regierungschef Borissov auf, sich gegenüber der Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten für die für die Streichung der inkriminierten Regularien des EU-Mobilitätspakets einzusetzen und die Interessen der bulgarischen Fuhrunternehmer zu vertreten.

"Heute Nacht habe ich mit Kanzlerin Merkel und Präsident Macron bis um halb drei Uhr einzelne Texte zum Mobilitätspaket detailliert erörtert", beteuerte Borissov am Morgen des Gipfeltags. Angela Merkel erwähnte das kontroverse Thema dagegen nur flüchtig. So wurde am Rande des Gipfels lediglich bekannt, dass es im September 2018, also nach Bulgariens EU-Ratspräsidentschaft, eine Entscheidung zu ihm geben solle.

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