Wessen Haus ist das?

Besetztes Haus in Stuttgart, 2005. Foto: Moritz Eyer/ CC BY-SA 2.0 DE

Hausbesetzungen in Berlin und anderswo deuten darauf hin, dass der Bogen bei den Mietpreisen endgültig überspannt ist

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Auf eine Sache ist in diesem Land Verlass: Wenn Linken ohne Parteihintergrund ein Mobilisierungspotenzial zuwächst, braucht man auf Verleumdungen durch Politik und Presse nicht lange zu warten. Manchmal sind dazu nur ein paar Hausbesetzungen nötig.

Den Schwaben wird allgemein eher große Staatstreue und ein Hang zum Konservatismus zugeschrieben. Als sie vor Jahren anfingen, sich wegen Stuttgart 21 aufzuregen, wunderte sich die Presse und kreierte den Begriff "Wutbürger".

Als am 28.4. dieses Jahres nach einer Demo zum Thema Wohnraumknappheit zwei Wohnungen in Stuttgart-Heslach besetzt wurden, war das Erstaunen ebenso groß - als seien die Probleme mit bezahlbarem Wohnraum in Stuttgart nicht seit langem bekannt, und als werde ihre stetige Verschlimmerung nicht ständig beklagt.

Angesichts genau dieser Probleme muss man wohl doch von schwäbischer Duldsamkeit sprechen, denn die einen vermerkten die "erste spektakuläre Hausbesetzung seit mehr als zehn Jahren", die anderen behaupteten gar, es handele sich tatsächlich um die erste Besetzung von leerstehendem Wohnraum in Stuttgart seit 28(!) Jahren.

Die erste Überraschung über diese unverschämten Wesen, die sich leerstehenden Wohnraum verfügbar gemacht hatten, war kaum verflogen, da wurden die üblichen Platten aufgelegt: Rechtsbruch, auch Linksradikale dabei, könnte ja jeder kommen. Und dann besaßen diese Leute auch noch die Unverfrorenheit, die in London ansässige Besitzerin um Mietverträge zu bitten! Nach gut zwei Wochen machte das Landgericht den Weg für die Zwangsräumung frei.

In Berlin gab es derweil scheinbar gleich mehrere Besetzungen am Pfingstsonntag, wobei in einigen Fällen nur Transparente aus den Fenstern leerstehender Häuser herausgehängt wurden. Ernstgemeint waren nur zwei Aktionen.

Bei einer davon, die ein Haus betraf, das seit 2012 leer steht, kam es sogar zu Verhandlungen zwischen dem Eigentümer und den Besetzern. Die wurden laut Aussagen der Besetzer-Anwälte allerdings durch die Polizei entschlossen sabotiert. An all dem ist so wenig rätselhaft.

Hausbesetzungen als Reaktionen auf soziale Missstände hat es schon in der Weimarer Republik gegeben. Die ersten Hausbesetzungen im Westdeutschland der Nachkriegszeit fanden 1970 statt. In der DDR gab es eine ganze Kultur von stillen Wohnungsbesetzungen, und das seit den späten 1960er Jahren.

Selbst Angela Merkel war einmal eine Wohnungsbesetzerin. Das Berliner "Bündnis Zwangsräumung verhindern" existiert auch nicht erst seit gestern.

Aber kaum regt sich was mit bundesweitem Aufmerksamkeitspotenzial, kommen die beschränkten bis schrillen Reaktionen von Politik und Presse wie auf Knopfdruck. Bei einer der Scheinbesetzungen wurde Leergut gefunden, was einen BILD-Journalisten von "Molli-Flaschen" faseln ließ.

Völlig vorhersehbar provozierte das Erinnerungen an einen Song von Ton, Steine, Scherben.

Das Lied von 1972 sagte auch das Verhalten von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer im Jahre 2018 korrekt voraus: Sie war schwer empört. Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) merkte an, dass der Zweck nicht die Mittel heilige - gerade so, als verfolge seine Partei in der Wohnungspolitik irgendeinen vernünftigen Zweck.

Also alles so wie immer? Nicht ganz. Denn der publizistische Erfolg der Besetzer und die hektischen Reaktionen zeigen doch immerhin, dass es hier was zu besprechen gibt. Wird das Thema Hausbesetzung wieder so relevant wie im Juni 1981, als allein in Berlin 165 Häuser besetzt waren?

Wer weiß. Aber bei all den folgenlosen Wehklagen über explodierende Mieten, Luxussanierungen und Leerstand gilt, was in Deutschland immer gilt: Es ändert sich nichts, bis sich was ändert.