S-400 oder Patriot? Konkurrenz der Luftabwehrsysteme

S-400 auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Khmeimim in Syrien. Bild: mil.ru/CC BY-4.0

Der US-Kongress droht der Türkei mit Sanktionen, wenn sie das russische Raketenabwehrsystem kauft

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Was ist die Türkei aus amerikanischer Sicht: noch Nato-Verbündeter oder schon Schurkenstaat? Im US-Kongress stellen sich einige diese Frage tatsächlich, aber nicht nur, weil in der Türkei Journalisten im Gefängnis sitzen und das Land immer mehr in Richtung Präsidialdiktatur steuert. Einige Abgeordnete und Senatoren stört vielmehr, dass die Türkei das S-400-Raketenabwehrsystem in Russland kauft anstatt zum Beispiel das amerikanische Patriot-System zu ordern, das die US-Firma Raytheon herstellt.

In Senat und Repräsentantenhaus liegen inzwischen Gesetzentwürfe vor, die deshalb Sanktionen gegen die Türkei fordern, konkret die Lieferung größerer Waffen verbieten wollen, wenn Ankara an dem Abwehrraketen-Kauf festhält.

"Die türkisch-amerikanischen Beziehungen sind ziemlich angespannt seit einigen Jahren wegen verschiedener Provokationen der türkischen Regierung", heißt es im Entwurf für den "National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2019", der gerade im Repräsentantenhaus beraten wird. Und dann folgt als Beispiel sofort und an erster Stelle der Kauf des S-400-Abwehrsystems. Das könne sich erstens negativ auswirken auf die gemeinsame Entwicklung neuer Waffen, zweitens die Interoperabilität innerhalb der NATO erschweren und drittens bilaterale Abkommen zwischen Washington und Ankara beschädigen, heißt es weiter.

Nach dem Gesetzentwurf sollen nun die gesamten türkisch-amerikanischen Beziehungen auf den Prüfstand. Der Verteidigungsminister solle innerhalb von 60 Tagen einen detaillierten Bericht dazu vorlegen. Dieser solle auch NATO-Alternativen für ein Raketenabwehrsystem enthalten. Bis der Bericht vorliegt, dürften keine größeren Waffen mehr an die Türkei geliefert werden.

Incirlik auf dem Prüfstand

Infrage stehen damit auch: die Nutzung der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik durch die USA und der Verkauf von F-35-Kampflugzeugen an die Türkei. Ankara will mehr als 100 dieser Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeuge erwerben, die ersten sollen am 21. Juni geliefert werden. Doch im Kongress nehmen die Bedenken zu: Leider stimme die strategische Richtung der Türkei immer öfter nicht mehr mit den Interessen der USA überein, sagte etwa der republikanische Senator James Lankford. Deshalb sei die Weitergabe von sensibler Technologie "extrem riskant".

Der Gesetzentwurf fordert außerdem Aufklärung darüber, inwieweit Incirlik genutzt wird, was einem Wink mit dem Zaunpfahl gleichkommt. Denn wie das Wall Street Journal bereits berichtete hat, sind Einschnitte längst geplant (Ziehen die Amerikaner Truppen aus Incirlik ab?). "Der Stützpunkt war mehrere Jahre lang das Herzstück des US-geführten Kampfes gegen den Islamischen Staat, aber unterschiedliche Ziele haben einen Keil zwischen die USA und die Türkei getrieben", so die Zeitung. Die USA hatten im Kampf gegen den IS auch auf kurdische Einheiten gesetzt, in denen die Türkei jedoch eine Bedrohung sieht.

Nun überlege Washington, Incirlik weniger zu nutzen, so das Wall Street Journal. Schon im Januar seien A-10-Erdkampfflugzeuge von Incirlik nach Afghanistan verlegt worden. Damals sei das mit Operationen in Afghanistan begründet worden. Gleichzeitig sei aber auch amerikanisches Personal in Incirlik schrittweise abgezogen worden.

Weitere Differenzen

Das S-400-System ist aber nicht das einzige Problem, das derzeit die türkisch-amerikanischen Beziehungen belastet. So hält Ankara seit 2016 den amerikanischen Pastor Andrew Brunson fest. Ihm werden Kontakte zu verbotenen Kurdengruppen und zum islamischen Prediger Fethullah Gulen vorgeworfen, den der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan für den gescheiterten Putschversuch gegen ihn verantwortlich macht. 66 Senatoren forderten kürzlich in einem Brief an Erdogan seine Freilassung und drohten andernfalls mit Sanktionen.

Außerdem sind Ankara und Washington uneins, was Israel und das blutige Vorgehen der israelischen Armee gegen Demonstranten in Gaza angeht. US-Präsident Donald Trump steht bekanntlich fest zur israelischen Regierung, Erdogan dagegen hat den israelischen Botschafter des Landes verwiesen und auf einem Treffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) eine Blauhelmtruppe gefordert, die zwischen Israelis und Palästinensern positioniert werden soll. Der Nahostkonflikt als weiterer Streitpunkt - das hat für Ankara und Washington erhebliches Eskalationspotenzial.