Mit Sicherheit ohne "Migrationshintergrund"

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Warum nicht alle Westen weiß sein können ...

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In den USA etabliert sich ein neuer Trend: Immer öfter rufen weiße Amerikaner/innen die Polizei, weil sie schwarze Amerikaner/innen krimineller Machenschaften verdächtigen. Die Vorwürfe betreffen unter anderem:

Allem Anschein nach fühlen sich weiße Amerikaner/innen durch schwarze Amerikaner/innen überdurchschnittlich häufig bedroht. So werden laut der American Psychological Association schwarze Männer - bei gleicher (!) Körpergröße und -statur - als größer und kräftiger wahrgenommen als weiße Männer.

Zudem müssen Schwarze überdurchschnittlich häufig in vorauseilendem Gehorsam ihre Unschuld demonstrieren. So erklärte eine weiße Anwohnerin, sie habe die Polizei nur deshalb verständigt, weil die drei fremden schwarzen Frauen sie nicht gegrüßt und ihr nicht zurück gewunken hätten und ihr dieses Verhalten verdächtig vorgekommen sei. In diesem Fall hätte die Polizei einen Streifenwagen schicken können, der die Angaben der aufmerksamen Nachbarin überprüft und die Situation aufklärt. Stattdessen rückte die Polizei in Mannschaftsstärke an, verriegelte die gesamte Nachbarschaft, ließ einen Helikopter über das Sperrgebiet kreisen und forderte die drei schwarzen Filmemacherinnen auf, sich in der Mitte der Straße mit erhobenen Händen aufzustellen.

Es bedarf wahrhaftig wenig Phantasie, dass in einer solchen angespannten Situation ein falsches Wort, eine falsch gedeutete Bewegung zu einer Katastrophe führen und Todesopfer fordern könnte. Todesopfer schwarzer Hautfarbe. Mal wieder.

Der "Migrationshintergrund" als Demarkationslinie

Doch was hat all dies mit Deutschland zu tun?

Jene, die sich über die Zustände in den USA erregen und in einer vermeintlich moralischen Überlegenheit auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland verweisen, mögen sich wundern, aber auch wir in Deutschland unterscheiden zwischen weißen und nicht-weißen Individuen und sprechen ersteren wie letzteren unterschiedliche Charaktereigenschaften zu. Dazu vielleicht ein Selbsttest:

  • Wenn Sie das Wort "Migrationshintergrund" hören, haben Sie eher positive oder negative Gefühle?
  • Wenn Sie das Wort "bilingual" hören, haben Sie eher positive oder negative Gefühle?
  • Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Zuschreibung "bilingual" fast ausschließlich für Menschen ohne "Migrationshintergrund" verwendet wird, obwohl die überwiegende Mehrheit der bilingualen Menschen einen "Migrationshintergrund" hat?
  • Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass wir privilegierte Sprachen (Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch) und nicht-privilegierte Sprachen (Türkisch, Arabisch) voneinander unterscheiden?
  • Wann haben Sie das letzte Mal einen Anwalt oder einen Arzt mit "Migrationshintergrund" im Tatort gesehen? Wann das letzte Mal einen Drogendealer?
  • Als sie von einer Männergruppe hörten, die sich einem Polizeieinsatz widersetzte, ein Polizeifahrzeug beschädigte und den Bundesinnenminister zu entschlossenem Handeln bewegte, hatten die Männer einen "Migrationshintergrund" oder hatten die Männer keinen?

Nachdem wir jahrzehntelang mit Sprüchen wie "kriminelle Ausländer raus" sozialisiert und politisiert wurden (von Seiten der NPD, von Seiten der CDU und nicht zuletzt in Form einer BILD-Petition), ist es kaum verwunderlich, dass wir im Laufe unseres Lebens gelernt haben, die Konzepte "kriminell", "Ausländer" und "raus" miteinander in Verbindung zu bringen. Als Ergebnis werden Menschen mit "Migrationshintergrund" auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, in Schulen und in nahezu allen weiteren Bereichen des Lebens benachteiligt.

Freund und Helfer zwischen "bedauerlichen Einzelfällen" und "strukturellem Versagen"

Hilfreich ist es dabei auch nicht, wenn Polizeibehörden bei der Fahndung nach Straftätern von "Südländern" und "Nafris" sprechen und somit den Eindruck erwecken, als würde sich eine ethnisch homogene Gruppe von "Nordafrikanern" oder gar "Südländern" nichts anderem als der Räuberei und dem Schurkentum an deutschen Staatsbürgern verschreiben.

Leider ist ausgerechnet die deutsche Polizei in der Vergangenheit durch "bedauerliche Einzelfälle" und auch "strukturellem Versagen" in ihrer Haltung gegenüber Ausländern und Migranten aufgefallen. Zu den zahlreichen Vorfällen gehören unter anderem:

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch die katastrophale Arbeit der Sicherheitsbehörden im Falle des NSU, als rechtsextremistische Terroristen neun Menschen mit "Migrationshintergrund" und eine Polizistin ermordeten und die Polizei die gesamte Zeit über ausschließlich die Angehörigen und Hinterbliebenen verdächtigte, anstatt in mögliche Neonazi-Strukturen zu ermitteln.

All diese Einzelfälle sind mit Sicherheit kein Beleg für ein flächendeckendes Versagen des Rechtsstaates in diesem Land. Sehr wohl aber sind sie ein Symptom dafür, dass die polizeiliche Arbeit, besonders im Hinblick auf den Umgang mit Ausländern und Migranten, besser werden muss.

Doch nicht nur diese Einzelfälle stellen ein Problem dar, sondern, und vor allem, der institutionalisierte und strukturelle Rassismus, der sich in Formen wie dem "Racial Profiling" offenbart. Diese Art der "verdachtsunabhängigen Personenkontrolle" trifft überdurchschnittlich häufig, ja fast ausschließlich, Menschen mit einem "Migrationshintergrund", die in den allermeisten Fällen nichts anderes tun, als ihren Alltagsgeschäften nachzugehen. Menschen, die sich auf dem Weg zu ihrem Starbucks, ihrem Fitnessstudio oder ihrer Universität befinden. Menschen, die nur deshalb mit der Polizei in Kontakt und Konflikt geraten, weil sie den Vorstellungen nach einem "deutschen" Aussehen nicht genügen.

Statt sich nun mit all diesen gesellschaftlichen Problemen und disziplinarischen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen, hat die Politik in den vergangenen Jahren viel dafür getan die Polizei mit Material und Befugnissen auszustatten. Mal wurden Wasserwerfer angeschafft (mit denen Demonstranten bis zur Erblindung abgeschossen wurden), mal wurden Panzer (!) besorgt, die natürlich just mit Symbolen bestickt wurden, die man aus der Zeit des Nationalsozialismus kennt und nun steht auch noch das bayerische Polizeiaufgabengesetz vor der Tür, das schmeichelhaft als das "härteste Polizeigesetz seit 1945" bezeichnet wird.

Dass diese gesamte Gemengelage die deutsche Gesellschaft spaltet, Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufwiegelt und das Vertrauen in den Rechtsstaat vergiftet, berichten Institutionen wie Amnesty International seit Jahren. Im Jahr 2010 forderte Amnesty International in einer bundesweiten Kampagne mehr Transparenz, Aufklärung und Prävention im Umgang mit Polizeigewalt. Leider ist in dieser Hinsicht noch immer nichts passiert. Auch der UN-Menschenrechtsrat ist "tief besorgt" über die Tatenlosigkeit der Bundesregierung in Sachen Diskriminierung und Racial Profiling und forderte die Bundesregierung bereits mehrfach auf, Maßnahmen zu ergreifen und diese Zustände zu beseitigen.. Auch hier bisher: vergeblich.

Eine Alternative für Polizisten?

Peter Hahne verkündete vor einem Jahr mit breiter Brust, es gebe in Berlin keinen Polizisten, der nicht die AfD gewählt habe. Peter Hahne wird über das Wahlverhalten der Berliner Polizisten sicherlich genauso wenig Bescheid wissen, wie über alles andere, über das er üblicherweise redet. Aber die Möglichkeit, dass Polizisten diese Partei, die sich mit ihren Worten, Taten und Programmen bereits lange von einem demokratischen Diskurs verabschiedet hat, tatsächlich wählen könnten, ist, gelinde gesagt, beunruhigend.

An dieser Stelle möchte ich in aller Entschiedenheit eines klar und richtig stellen. Die Polizistinnen und Polizisten in diesem Land verrichten gute, teilweise sehr gute Arbeit. Es ist auch ihrem Einsatz zu verdanken, dass sich die Kriminalität in diesem Land auf einem niedrigen Niveau befindet und zudem noch weiter sinkt. Und als 2015 die Menschen aus den Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland kamen, waren es deutsche Polizisten, die selbstlos an alle anderen dachten, nur nicht an sich selbst, Überstunden anhäuften und mit übermenschlichem Engagement für Ruhe, für Recht, für Sicherheit und für Ordnung sorgten. Doch gerade deshalb schmerzt es, wenn diese gute Arbeit durch rassistische Vorfälle überschattet wird, wenn Polizisten und Polizeistrukturen unsere Demokratie nicht verteidigen, sondern gefährden und wenn Strafverfolgungsbehörden geschlossen eine rechtsextreme Partei wählen und ihre eigene Glaubwürdigkeit dadurch untergraben.

Was müssen wir tun, damit die AfD für Polizisten unwählbar wird? Was brauchen Polizistinnen und Polizisten, damit wir keine amerikanischen Verhältnisse auf deutschen Straßen erleben müssen? Eine bessere Ausstattung der Dienststellen? Eine bessere Ausbildung des Nachwuchses? Eine höhere Sensibilisierung für das Zusammenleben von Deutschen mit und ohne "Migrationshintergrund"?

Egal, was es ist, wir werden nicht umhinkommen uns damit auseinanderzusetzen und Antworten auf diese Fragen zu beschaffen. Dazu gehören aber bei weitem mehr als nur die bisherigen Sonntagsreden von Politikern und Polizeigewerkschaftern. Bisher fehlt es mindestens an Mut und Herzensbildung und Ehrfurcht vor unserer Demokratie. Und was auch immer darüber hinaus noch fehlt: Wir brauchen es. Die Sicherheit aller Menschen in diesem Land, ob mit oder ohne "Migrationshintergrund", sollte uns das wert sein.

Stephan Anpalagan ist Diplom-Theologe, Kolumnist, Unternehmensberater und Mitglied der Band microClocks. Seit vielen Jahren setzt er sich bereits in unterschiedlichen Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein.