"Will niemand diesen Verrückten festnehmen?"

Der portugiesische König Sebastian I., "O Desejado". Bild: Cristóvão de Morais, Museu Nacional de Arte Antiga, gemeinfrei

Wie der in einer Traumwelt lebende portugiesische König Sebastian I. ("der Ersehnte") mit einem Kreuzzug Portugal in den Ruin stürzte

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Größenwahnsinnige Eliten stören regelmäßig das friedliche Miteinander auf dem Planeten. Der Ablauf ist dabei immer ähnlich: abgekoppelt von der Wirklichkeit, taub für Warnungen aus berufenem Munde und bestärkt von bezahlten Beifallklatschern zwingen sie den Völkern ihre geisteskranken, oftmals religiös verbrämten Visionen auf. Doch manchmal können solche Unternehmen geradewegs nach hinten losgehen, wie ein etwas länger zurückliegendes Beispiel aus der Geschichte illustriert. Das Jahr 1578 versprach kein gutes für Portugal zu werden. Zu Neujahr stand immer noch der Große Komet am Himmel und der portugiesische König Sebastian I., auch "der Ersehnte" genannt, hatte Großes vor. 1557 im zarten Alter von drei Jahren König geworden, hatte er mit 14 die Regierung übernommen.

Doch irgendetwas war während seiner Ausbildung zum Monarchen schiefgelaufen - zu diesem Zeitpunkt lebte er bereits in einer Traumwelt, in der sich alles um Kreuzzüge und ritterliche Heldentaten drehte. Er selber sah sich als Hauptmann Gottes, der die Mauren aus Nordafrika vertreiben würde, als Vollender der Reconquista. Der Mathematiker und Hofastrologe Pedro Nunes hatte noch gewarnt - das Datum für die Amtseinführung sei nicht optimal gewählt, die Sterne würden für diesen Termin eine nur kurze Regentschaft prophezeien. Vergebens - die Weichen für den Niedergang Portugals waren gestellt.

Die Jahre zuvor waren in weiten Teilen Europas tumultös verlaufen. Auf der Iberischen Halbinsel wütete die Inquisition, und Sebastians Großmutter, Katharina von Kastilien, hatte ihren ganz persönlichen Beitrag geleistet, um das Leben für Ketzer auch in Portugal zur Hölle werden zu lassen. Die Heilige Liga, ein Zusammenschluss mehrerer Mittelmeeranrainer, stand im Kampf gegen das Osmanische Reich, konnte jedoch trotz der überraschend gewonnenen Seeschlacht von Lepanto 1571 mit 38.000 zu beklagenden Toten keine strategisch bedeutsame Entscheidung herbeiführen.

1572 traf am portugiesischen Hof die Nachricht von den Geschehnissen zur Bartholomäusnacht ein. In Frankreich waren tausende Hugenotten umgebracht worden. Sebastian lag krank darnieder und konnte an keinen von der Katholischen Kirche eigens zu Ehren des Anlasses organisierten Freudenfesten teilnehmen. Er sandte zumindest eine Grußbotschaft an den französischen König Karl IX. Doch seine innersten Gedanken kreisten bereits um ein weit großartigeres Thema: die Verwirklichung seines Traums vom marokkanischen Reich.

Der König, der vom Himmel fiel

Eine tragende Rolle in der fortschreitenden Entrückung des jungen Königs und im Bereiten des geistigen Nährbodens des Kommenden fiel den Dichtern jener Epoche zu. Deren wichtigster, Luís Vaz de Camões, hatte Sebastian 1572 gleich mehrfach in seinen "Lusiaden" verewigt. Im gleichen Jahr hatte Sebastian dem Vizekönig von Indien, Luís de Ataíde, nach dessen militärischen Erfolgen in Goa einen triumphalen Empfang bereiten lassen, obwohl Sebastian für gewöhnlich kein Interesse am Rest des portugiesischen Kolonialreichs zeigte. Hofdichter wie André de Resende lieferten die mediale Begleitmusik, die Ataídes Sieg "gegen die verrückte Sekte des frevelhaften Mohammed" feierte.

Der Kult um den jungen König hatte schon mit dessen Geburt eingesetzt, die von den Hofschreiberlingen kurzerhand zur göttlichen Fügung umetikettiert worden war. Die Schar der Unterstützer von Sebastians Plänen hatte jedoch auch Vertreter mit handfesten Interessen in ihren Reihen: Adlige und Handelshäuser, die sich von einem Feldzug in Marokko vor allem Privilegien beim Geschäft mit Zucker, Gold, Weizen und Vieh versprachen.

Die Osmanen hatten 1574 Tunis eingenommen, doch zur vollständigen Eroberung Nordafrikas fehlte ihnen noch Marokko. Im gleichen Jahr unternahm Sebastian eine dreimonatige Erkundungsexpedition in das nordwestafrikanische Land. Zuhause in Portugal ließ man unterdessen nichts unversucht, um die unversehrte Heimkehr des jungen Monarchen herbeizubeten. Nicht enden wollende Predigten und Prozessionen führten schließlich zum Erfolg. Sebastian musste sich zu Hause anhören, dass er sich bei seinen Ausflügen außerhalb der schützenden Gemäuer unnötigen Gefahren ausgesetzt hätte. Für ihn waren das lediglich Manöverkritiken von "lebenden Toten", die nichts mit seinen glorreichen Vorbildern gemein hatten - den "toten Lebendigen".

Ewiger heiliger Krieg

Zur Thronbesteigung Sebastians bekriegten die Portugiesen den Norden Afrikas bereits seit mehr als 150 Jahren. 1415 eroberten sie unter ihrem König Johann I. Ceuta. Doch in der weiteren Folge konnten sie keine zusammenhängende Gebiete unter ihre Kontrolle bringen, ihre Anwesenheit blieb auf Stützpunkte beschränkt, hinter deren Mauern sie gefangen blieben, ständig von den Einheimischen bedrängt.

Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts gab es zeitweilige Rückzugsbewegungen, die von Johann III. befohlen worden waren. 1562 war Mazagão (das heutigen El Jadida) mehr als zwei Monate lang von den Mauren belagert worden und schließlich verloren gegangen. Der Krieg in Marokko wurde letztlich zum längsten der portugiesischen Geschichte. Er sollte noch bis 1769 mit der endgültigen Aufgabe von Mazagão andauern und tausenden Portugiesen das Leben kosten - kaum eine Familie, die kein Opfer zu beklagen hatte.

Das eigentliche Ziel des Monarchen: das Gelobte Land. Aus einem marokkanischen Imperium heraus sollten die Osmanen aus Afrika vertrieben werden, und Sebastian würde über Ägypten nach Jerusalem marschieren. Bild: Abraham Ortelius - Muzeul Național al Hărților și Cărții Vechi, Romania, gemeinfrei

Mit dem Wissen um die Situation vor Ort beknieten alte Afrikakämpfer nun den König, er möge doch von seinem Vorhaben Abstand nehmen - ein Krieg sei einfach nicht zu gewinnen. Erfahrene Politiker stimmten in den Chor der Warner ein. Doch Sebastian war bekannt für seine extreme Intoleranz - Meinungen, die mit seinem Weltbild kollidierten, mochte er nicht hören. Er umgab sich lieber mit gleichaltrigen Günstlingen, die mit ihm der Treibjagd frönten und deren hervorragendste Eigenschaft zeitgenössische Chronisten vorsichtig mit "leichtfertig" umschrieben.

Marokko befand sich zu dieser Zeit in einem Strudel komplizierter Stammesfehden. Im Sultanat von Fes gab es verschiedene Anwärter auf den Thron. Einer von ihnen, zunächst noch mit den Osmanen verbündet, riss schließlich die Macht an sich: Abu Marwan Abd al-Malik, auch Mulei Abd-el Malik genannt. Eine willkommene Gelegenheit für Sebastian, der sich nun in den Zwist der Berber untereinander einzumischen gedachte, in dem er den entthronten und nach Portugal geflohenen Abu Abdallah (Mulei Mohammad) unterstützte. Die portugiesische PR-Maschinerie arbeitete derweil am Feindbild: Der aktuelle Throninhaber wurde kurzerhand von "Malik" in "Maluco" umgetauft - den "Verrückten".

Bedenkenträger hatten unterdessen darauf hingewiesen, dass die portugiesische Thronfolge im Falle eines Missgeschicks nicht gesichert sei, und deshalb der alte Haudegen Ataíde das Kommando des geplanten Feldzuges übernehmen sollte. Das ging jedoch nicht mit den Plänen des jungen Königs konform, der nun den Moment gekommen sah, auf den er sich sein Leben lang vorbereitet hatte. Ataíde segelte zurück nach Indien, und Sebastian und seine Mannen ins Verderben.

Alcácer-Quibir: Die Schlacht der drei Könige

Die Aufstellung des Invasionsheeres dauerte länger als geplant. Bereits aus Europa angereiste Söldner vertrieben sich die Zeit - entweder mit Duellen in den Gassen Lissabons, oder im Umland, beim Requirieren von Essbarem. Die Militärexpedition ging mit hohen Kosten einher, die durch neue Steuern beglichen werden mussten, zum Beispiel mit einem Zehnten auf Salz. Sebastian war dermaßen klamm, dass er gegen eine stattliche Zahlung die Ausreise von zwar zum Katholizismus konvertierten, doch nunmehr trotzdem verfolgten Juden erlaubte. Außerdem wurde die Beschlagnahme deren Eigentums durch die Inquisition für die Dauer von zehn Jahren ausgesetzt.

Im Juni 1578 hatte sich auf dem Tejo in Lissabon eine mächtige Armada versammelt, je nach Ausschmückung 500, 800 oder gar 940 Schiffe stark, die 19.000 Mann Fußvolk, 3.000 Reiter und 2.000 Söldner nach Nordafrika bringen sollte, darunter auch Söldner aus Flandern und deutschen Landen, ebenso ein Kontingent an Schriftstellern und Poeten, heute würde man sagen: Kriegsberichterstatter und Feuilleton, embedded.

Mit an Bord: der Großteil der blaublütigen Elite des Landes. Die war mit großem Pomp und den standesgemäßen Annehmlichkeiten angereist. In feinste Gewänder gehüllt und von Hoflakaien umgeben, benebelte sich der Adel an der Vorstellung von Ruhm und Reichtum und Schlachtenglück. In einer derartigen Atmosphäre stellte sich die Frage nach der Vernunft des Unterfangens gar nicht erst. Stellvertretend für dieses Klima der unbekümmerten Siegessicherheit mag hier der Geist stehen, der durch das Haus von Bragança wehte, in Adelsangelegenheiten eine der ersten Adressen des Landes. Dessen Chef fehlte wegen Krankheit zwar entschuldigt, doch er sandte seinen Stammhalter, den erst zehnjährigen Teodósio. Der kastilische Botschafter schrieb beeindruckt nach Hause: "Heutzutage gibt es keine andere Nation, die sich dermaßen heiter auf die Suche nach Gefahr begibt."

Die Kreuzfahrt wurde komplettiert durch eine Delegation der Kirche, zu der auch Bischöfe und ein Gesandter des Papstes zählten. Am 25. Juni 1578 stach die Armada in See, und das, obwohl noch ein Viertel der Kräfte und ein Großteil des Gepäcks fehlten - darauf wollte man dann an der afrikanischen Küste warten.

Der Plan des Königs sah vor, die marokkanischen Verbündeten in Tanger aufzunehmen und nach Arzila zu segeln, um von dort in einer Flankenbewegung weiter auf Larache zu marschieren - auf dem Landweg. Während die Flotte vor der Küste bei Larache ankern sollte, wollte Sebastians Heer die Zitadelle von Alcácer-Quibir einnehmen und so den Weg zur Küste freikämpfen.

Offiziere aus dem Stab wollen ihn davon abbringen, zu beschwerlich sei der Marsch, zu ungeeignet das Terrain, zu unwirtlich das hochsommerliche Klima. Vielmehr erschien es ratsam, die Reise zunächst auf dem Meer fortzusetzen, einen Stützpunkt an Land zu sichern und erst dann den Vormarsch ins Landesinnere zu wagen. Doch derart kleinkarierte Erwägungen waren mit den grandiosen Vorstellungen des Königs nicht in Übereinstimmung zu bringen. In Arzila warteten die Portugiesen knappe zwei Wochen auf das Eintreffen der Nachzügler - die Moral der Truppe hatte zu diesem Zeitpunkt bereits stark gelitten. Die Kreuzzügler brachen am 29. Juli schließlich in Richtung Alcácer-Quibir auf.

Die mitgeführte Marschverpflegung war für eine Dauer von sechs Marschtagen berechnet und noch vor dem Abmarsch ausgeteilt worden. Der größte Teil der Vorräte blieb an Bord der Landungsflotte zurück. Die Rationen stellten sich schnell als viel zu klein bemessen heraus - viele der Soldaten hatten bereits am ersten Tag die Hälfte des ihnen Zugedachten verzehrt. Überraschend stimmte Sebastian dem Rückmarsch nach Arzila zu, doch eine Vorausabteilung musste dort angekommen feststellen, dass die Schiffe bereits wie geplant Richtung Larache abgereist waren - stattdessen wartete dort ein gerade angekommener Trupp von 500 Nachzüglern, allerdings ohne Waffen und Verpflegung: sie hatten angenommen, sie würden bei ihrem Eintreffen ausgerüstet.

Die Mauren übten sich unterdessen in einer Taktik der verbrannten Erde, die schnell Erfolge zeitigte. Am 3. August hatte das Invasionsheer seine physischen Grenzen erreicht. Dabei hatten die Truppen seit ihrem Abmarsch aus Arzila keine 60 Kilometer zurückgelegt, einen Weg, der nun übersät war mit einem Arsenal an zurückgelassenen Ausrüstungsgegenständen, von unnützen Gepäckstücken bis hin zu Kanonen.

Am Morgen des 4. August 1578 schließlich kam der heroische Moment, auf den Sebastian so lange gewartet hatte: das direkte Aufeinandertreffen mit dem feindlichen Heer, das sich mit 60.000 Mann dann allerdings als deutlich größer herausstellte als ursprünglich angenommen.

Zuvor eingegangene Meldungen von Beobachtern, die von Zahlen in ähnlichen Größenordnungen sprachen, hatte Sebastian ignoriert. Stattdessen wollte er die Meldegänger festsetzen lassen, wegen Zersetzung der Wehrkraft. Schnell kam nun Unruhe auf, die in der Frage eines besorgten Edelmanns gipfelte: "Ja, will denn niemand diesen Verrückten festnehmen?" Ein hinzukommender Militärkaplan bescheinigte, dass es dafür jetzt zu spät sei. "Nun denn, wenn dem so ist, dann ein Vaterunser für das Reich, für den König und für seine Untertanen."

Und Sebastian? In der Stunde größter Gefahr beschworen ihn seine Offiziere, die Truppen wenigstens bis hinter den nahen Oued Loukos zurückzunehmen. Sebastian gab stattdessen den Angriffsbefehl. Doch das für die Schlacht gewählte Gelände entpuppte sich als Falle. Das portugiesische Heer erlitt eine vernichtende Niederlage.

Historiker sind sich einig, dass sich der versammelte Adel mit unerhörter Kühnheit in das Sarazenen-Getümmel warf. Ebenso Sebastian: dreimal das Pferd gewechselt, stets von Myriaden von Feinden umringt, bis zum Ende kämpfend. Im Vorfeld des Unternehmens hatte er sich noch das Schwert von Alfons dem Eroberer aus dessen Gruft kommen lassen, nach dem Eintreffen an der marokkanischen Küste dann allerdings an Bord zurückgelassen, vermutlich, weil ihm die Klinge des sagenumwobenen Schwerts lächerlich kurz vorkam.

Auf dem Schlachtfeld benahm er sich wie ein Ritter und nicht wie ein General, heißt es, eine fein ziselierte Umschreibung dafür, dass er seine Truppen dem Chaos der Führungslosigkeit überließ. Trotzdem hatte er noch Gelegenheit, einige Bonmots in die Schreibblöcke der mitgereisten Propagandakompanie zu diktieren: "Die Freiheit eines Königs wird man nur mit dem Leben verlustig." Oder: "Sterben ja, aber langsam."

Wo die Meinungen der Historiker auseinandergehen, ist in der Frage, was aus Sebastian wurde, denn niemand sah den König sterben - hierzu kursieren die verschiedensten Versionen.

Eine zumindest plausible Variante berichtet von Mauren, die Sebastian gegen Ende der Schlacht aufgriffen und über seine prunkvolle Rüstung in Streit gerieten, bei dem der König eher zufällig erschlagen und so gewissermaßen zum Kollateralschaden seiner irrwitzigen Fantasien wurde. Um diesen Fauxpas vor ihren Vorgesetzten zu verschleiern, beseitigten die maurischen Soldaten die sterblichen Überreste des Königs.

Andere Überlieferungen berichteten von Sebastians erfolgreicher Flucht. Dieser alternative Ausgang der Geschichte begründete den Sebastianismus, einen Erlösermythos. Das nostalgische Warten auf die Rückkehr des jungen Königs wurde zur neuen Freizeitbeschäftigung der Portugiesen.

Das Abenteuer von Alcácer-Quibir hatte für Portugal verheerende Folgen. 8.000 tote Kreuzfahrer waren auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben, darunter die Crème de la Crème des portugiesischen Adels. Die Überlebenden gingen in Gefangenschaft und wurden später freigekauft, ein Geschäft, für das Portugal einen großen Teil seines Staatsschatzes berappen musste. Da es keinen Thronfolger gab, versank die Dynastie in der Krise, und die Portugiesen verloren auf Jahrzehnte ihre Unabhängigkeit. 1580 übernahm Philipp II. von Spanien den portugiesischen Thron und die Kolonien, er wurde so zum weltweit ersten Herrscher, in dessen Reich "die Sonne niemals unterging".