Hitzewelle wird Selbstmordwelle

Wissenschaftler in Stanford und Berkeley fanden heraus, dass mit den Temperaturen auch die Selbstmordrate steigt.

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Hitzewelle wird Selbstmordwelle

(Bild: "Desert" / Francesco / cc-by-2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • James Temple
  • David Rotman
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Der Klimawandel könnte die Selbstmordrate in die Höhe treiben und bis Mitte des Jahrhunderts allein in den Vereinigten Staaten und Mexiko zu Zehntausenden von zusätzlichen Selbstmorden führen.

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Das ergibt sich aus einer Studie in Nature Climate Change, die Forscher aus Stanford, der University of California, Berkeley, und anderen Institutionen unternommen haben. Sie untersuchten den Einfluss von hohen Temperaturen auf den seit langem beobachteten Anstieg von Selbstmorden während der wärmeren Monate. Durch die Analyse historischer Daten aus Tausenden von Städten und Countys bei gleichzeitiger Eliminierung anderer Faktoren kamen sie zu dem Schluss, dass eine Steigerung der monatlichen Durchschnittstemperatur um 1 ˚C die Selbstmordraten um 0,7 Prozent in den USA und um 2,1 Prozent in Mexiko anwachsen ließ.

Im Rahmen des "Weiter wie bisher"-Emissionsszenarios des UN-Klimarats könnten die globalen Oberflächentemperaturen bis 2050 in den USA um 2,5 °C und in Mexiko um 2,1 ˚C ansteigen. Das würde in diesem Zeitraum zu etwa 9.000 bis 40.000 zusätzlichen Selbstmorden in diesen Ländern führen.

Die Gründe sind noch unklar, aber eine Hypothese besagt, dass hohe Temperaturen das psychische Wohlbefinden direkt beeinflussen und zwar "möglicherweise aufgrund von Nebenwirkungen der Thermoregulation". Mit anderen Worten, die Durchblutungsmuster im Gehirn können sich ändern, wenn der Körper verstärkt damit beschäftigt ist, seine Temperatur in einem bestimmten Bereich zu halten.

Um herauszufinden, ob hohe Temperaturen das geistige Wohlbefinden beeinflussen, analysierten die Forscher Daten von mehr als 600 Millionen Twitter-Posts, die mit einem Geotag versehen waren. Sie entdeckten, dass jedes zusätzliche Grad Celsius bei den monatlichen Durchschnittstemperaturen die Wahrscheinlichkeit einer "depressiven" Sprache in Tweets - wie "einsam", "gefangen" oder "selbstmörderisch" - um bis zu 1,35 Prozent erhöht.

Die Studie schließt sich einer wachsenden Zahl von Forschungspapieren an, die zeigen, dass der Klimawandel weitreichende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden haben wird. Zwei der Autoren, Marshall Burke in Stanford und Solomon Hsiang in Berkeley, zeigten schon in einer früheren Arbeit, dass sich auch die Gewalt in weiten Teilen der Welt deutlich erhöhen wird.

Ihre Studie von 2011 zeigte, dass sich die Fälle von Bürgerkrieg in tropischen Ländern zu bestimmten Zeiten verdoppelten. In diesen Perioden erzeugte der El-Niño-Effekt ungewöhnlich warme Temperaturen in Breitengraden nahe des Äquators. Das Papier war das erste, das einen globalen Klimaeffekt mit einem Konflikt verbinden konnte. Einige Jahre später analysierten Hsiang, Burke und Kollegen die wachsende Literatur zu Klima und Konflikt und fanden in 60 Forschungsarbeiten ein konsistentes Ergebnis: steigende Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster erhöhten das Risiko von Konflikten. Burke sagt: "Wenn die Temperaturen in Afrika südlich der Sahara etwas wärmer sind, sehen wir dort 20 bis 30 Prozent mehr zivile Konflikte. Das ist eine riesige Zahl."

Einige Politikwissenschaftler sind nicht davon überzeugt, dass solche Klimaeffekte Kriege auslösen. "Es gibt mehr, was wir nicht wissen als das, was wir wissen. Aber wir wissen, dass es keinen allgemeinen und direkten Zusammenhang zwischen Klimavariabilität und groß angelegten Kriegen gibt", sagt Halvard Buhaug vom Friedensforschungsinstitut Oslo in Norwegen. Dennoch sagt Buhaug, dass es "Sinn macht", dass der Klimawandel die Hauptursachen für Bürgerkrieg verschärfen könnte. Zu denen zählen systemische Ungleichheit, schwere Armut und schlechte Regierungsführung. "Wenn der Klimawandel Gruppen in der Gesellschaft unterschiedlich stark betrifft oder Probleme erzeugt, die für politische Systeme zu sgravierend sind, um sie zu lösen", sagt er, "dann könnte der Klimawandel natürlich zu mehr Instabilität in der Zukunft beitragen".

Hsiang betrachtet die aktuelle Untersuchung der Selbstmordrate als Ergänzung zu den früheren Ergebnissen. "Jetzt sehen wir, dass Menschen unter dem Einfluss von Hitze nicht nur andere verletzen, sondern einige Menschen auch selbst verletzen", sagt er in einer Erklärung. "Es scheint, dass Hitze den menschlichen Verstand stark beeinflusst und mit ihm unsere Bereitschaft, gewaltsam zu handeln."

(anwe)