Doktorspiele

IBM muss derzeit viel Kritik und Häme einstecken, weil die KI-Software Watson die Erwartungen in der Medizin nicht erfüllt. Ist der Konzern Opfer seines eigenen überzogenen Marketings geworden?

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Das wird ein paar unangenehme Gespräche geben bei IBM: Erst berichtete die "FAZ" dass "die Wunderwaffe Watson", die "als Heilsbringer gegen Krebs und andere schwere Krankheiten angepriesen" wurde, "im Krankenhaus durchgefallen" sei. Jetzt legte auch der "Spiegel" mit einer ähnlich kritischen Geschichte nach.

"Am Universitätsklinikum Gießen und Marburg hat man das Programm erprobt, und ist recht froh, dass das Experiment mit Watson wieder eingestellt wurde", heißt es in der Geschichte beispielsweise. "In der Praxis entpuppte sich das System als deutlich weniger intelligent als erhofft… Tippte der Arzt ein, dass der Patient unter Brustschmerzen leide, kam anfänglich kaum etwas auf der Liste der wahrscheinlichsten Diagnosen nach oben: Herzinfarkt, Angina Pectoris, Aortenriss. Stattdessen hielt Watson eine seltene Infektionskrankheit für den nicht unwahrscheinlichen Auslöser der Beschwerden". Und etwas weiter: "Ist IBMs angeblicher Supercomputer Watson weniger ein Spitzenprodukt künstlicher Intelligenz als vielmehr ein nutzloser Bluff und das Produkt gut gemachter Marketingarbeit des Softwarekonzerns"?

Ein harter Vorwurf, und die Antwort auf diese Frage hätte mich wirklich interessiert. Nicht, weil ich IBM-Aktien besitze, oder Watson für eine so phantastische Technologie halte, sondern weil ich die Frage, ob künstliche Intelligenz einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Medizin leisten kann, für sehr spannend halte. Immerhin sind menschliche Mediziner in dem 1971 ausgerufenen Krieg gegen den Krebs bislang gescheitert. Da könnte ein bisschen maschinelle Unterstützung nicht schaden, oder?

Leider bekommen wir sie nicht - die Antwort auf diese Frage. EIne nähere Schilderung der Umstände, wo und was zum Beispiel in Marburg getestete wurde, bleibt der Spiegel-Artikel leider schuldig. Vielleicht handelt es sich um diesen Versuch im "Zentrum für unerkannte und seltene Krankheiten", über den das Ärzteblatt 2017 berichtete? Man weiß es nicht so genau, aber wenn wäre das sehr interessant. Denn das Zentrum arbeitet für den herkömmlichen Medizinbetrieb sehr untypisch. Dort arbeiten 15 Experten unterschiedlicher medizinischer Fachgebiete zusammen "für die das Luxusgut schlechthin in der heutigen Medizin zur Verfügung steht: Zeit". Sollte die Software also schlicht den Durchsatz erhöhen - also letztendlich Kosten sparen? Wenn sie diesen Anspruch nicht erfüllt hat, kann das ganz verschiedene Urasachen haben. Zum Beispiel eine zu aufwendige Aufbereitung der Rohdaten.

Tatsächlich beklagen die befragten Experten, dass Watson nach wie vor Schwierigkeiten bei der Sprachsteuerung hat, und auch bei geschriebenen Texten auf spezielle Schwierigkeiten "der Artzprosa", also gerne genommenen doppelten Verneinungen und kryptischen Stenogrammstil ("HF 75, SR, bekannte BAK") erst trainiert werden muss. Ach was. Wer hätte das gedacht?

Natürlich sind die Schwierigkeiten mit Watson keine reine Erfindung der Spiegel-Redaktion. Diverse Kliniken und Forschungseinrichtungen nach anfänglicher Euphorie und viel medialem Getrommel ihre Versuche mit Watson wieder eingestellt. Was mich in diesem Zusammenhang aber wirklich überzeugen würde, sind echte wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Systems. Dazu habe ich bislang nur einen Artikel in der Fachzeitschrift "The Lancet" gefunden. Darin kritisiert der Autor eine Untersuchung aus Indien, die sich auf den ersten Blick sehr positiv liest. Die Kritik des Autors entzündet sich aber nicht in erster Linie an der Frage, ob und wie gut das System funktioniert, sondern arbeitet sich hauptsächlich daran ab, ob man mit dem für das Computersystem nötigen Geld nicht viel nützlichere Dinge tun könnte.

Ach, und dann wäre da noch die "Analysten der Investmentbank Jefferies", die den Kollegen vom "Spiegel" bescheinigt haben, dass sie "IBM in Sachen künstlicher Intelligenz nicht all zu viel zutrauen". Ausgerechnet Banker, mit ihrer erwiesenen Kompetenz in Sachen Zukunftsprognose zur Tauglichkeit einer Hochtechnologie zu befragen, hinterlässt bei mir tiefe Zweifel. Aber nicht an Watson.

(wst)