Ein radikales Experiment

Ein britischer Ethik-Professor will eine wissenschaftliche Zeitschrift herausgeben, in der Forscher "umstrittene Ideen" unter Pseudonym veröffentlichen dürfen.

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Zugegeben, der Mann ist konsequent: Nächstes Jahr will der britische Ethik-Professor Jeff McMahan von der University of Oxford das Journal of Controversial Ideas herausbringen – eine Zeitschrift für "umstrittene" wissenschaftliche Ideen –, um die offene Diskussion an den Universitäten zu fördern. Denn diese offene Diskussion ist seiner Meinung nach gefährdet, weil Forscher sich aus Angst vor beruflichen und persönlichen Repressionen zunehmend weniger trauen würden, über bestimmte Themen zu sprechen oder zu schreiben. In der neuen Zeitschrift, in der die Artikel wie bei anderen wissenschaftlichen Fachzeitschriften auch von Fachleuten begutachtet werden, sollen die Autoren jedoch die Möglichkeit erhalten, unter Pseudonym zu veröffentlichen.

Hätte mit jemand vor 20 Jahren diese Idee unter die Nase gehalten, ich wäre begeistert gewesen. Denn die Idee, Wissen und Theorie unzensiert, offen und ohne Angst diskutieren zu können, bietet faszinierende Möglichkeiten. Mittlerweile bin ich allerdings weit skeptischer. Denn die Initiative findet vor dem Hintergrund einer angeblichen Unterdrückung von Meinungsfreiheit durch linksliberale Eliten statt.

Welche Art "umstrittene Ideen" gemeint ist, lässt sich in der Tat ahnen, wenn man sich ansieht, wer noch an dem Projekt beteiligt ist: Der australische Bioethiker Peter Singer etwa, der aus einem radikalen Utilitarismus ableitet, dass behinderte Babys abgetrieben werden sollten, die australische Anti-Feministin Claire Lehmann oder der Psychologe Jordan Peterson, der sich selbst am liebsten als Tabubrecher inszeniert.

Also alles klar? Nur ein weiteres Produkt der "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Fraktion? Ganz so einfach vom Tisch zu wischen ist die Diskussion um Sinn und Unsinn einer solchen Zeitschrift leider doch nicht. Es gibt "gefährliches Wissen", zweischneidige Forschung, zum Beispiel zu Genveränderung an menschlichen Embryonen, die wir aus Angst vor Missbrauch nicht zulassen.

Auch das MIT Medialab, das nicht unter dem Verdacht steht, offen reaktionär zu sein, widmete sich der Frage, wie die Forschung mit "verbotenen Themen" umgehen sollte bereits 2016 in einem Workshop. Das Themenspektrum der dort diskutierten Beispiele reichte von Sexrobotern für die Therapie von Pädophilen über Geoengineering, Genmanipulation bis hin zum Aushebeln staatlicher Computerüberwachung. Alles Themen, die zwar spannend und vielleicht auch relevant sind, die Forscher, die Wert auf eine normale Karriere legen, aber lieber nicht anfassen sollten.

Eine Antwort auf die Frage, wie die Wissenschaft mit Themen umgehen sollte, die ethisch, politisch oder juristisch heikel sind – oder schlicht illegal – haben die beteiligten Wissenschaftler damals nicht gefunden. Der Schriftsteller Cory Doctorow hat aber in der einleitenden Rede eine interessante Idee präsentiert: Wann immer ein Wissenschaftler an einem Projekt arbeitet, das in der einen oder anderen Art und Weise missbraucht werden könnte, sollte er Sicherungen einbauen. "Es ist keine Sünde, ein Werwolf zu sein", sagte Doktorow. "Aber wenn man ein Werwolf ist, besteht die Sünde darin, sich bei Vollmond nicht einzuschließen".

(wst)