Idlib: HTS behauptet, alle bewaffnete Gruppen hätten sich zusammengeschlossen

HTS-Kämpfer sollen sich als Weißhelme in Idlib maskieren. Bild: SMMSyria

Das türkisch-russische Abkommen steht jedenfalls vor dem Scheitern, Iran mischt sich ein, es droht eine Offensive und damit ein Konflikt mit den USA und ihren Alliierten

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Seitdem Russland und die Türkei Ende September ein Abkommen geschlossen haben, ist es dort ruhiger geworden. Das Abkommen wurde auch von den USA, Frankreich und Deutschland unterstützt. Damit wurde die geplante russisch-syrische Offensive auf das letzte Rebellengebiet abgeblasen, in dem neben Zehntausenden von teils schwer bewaffneten Gruppen 2-3 Millionen Menschen leben sollen. Es war vor einer humanitären Katastrophe gewarnt worden, die USA mit Alliierten hatten gedroht, militärisch zu intervenieren. Auch die Türkei lehnte eine Offensive ab, sie hat das Interesse, den Einfluss in Syrien über die bereits besetzten Gebiete hinaus zu erweitern und mit eigenen Milizen, denen sich viele Islamisten aus Gruppen wie Ashrar al-Sham oder HTS angeschlossen haben, Kontrolle auszuüben.

Russland hatte dem Druck nachgegeben und wollte auch die Türkei als Partner, immerhin ein wichtiger Spieler in der Region und zugleich ein Nato-Mitglied, nicht verlieren (https://www.heise.de/tp/features/Idlib-Im-Deal-mit-der-Tuerkei-verzichtet-Russland-auf-die-militaerische-Offensive-4166947.html). Mit der Assad-Regierung war vereinbart worden, dass im Gegenzug die von Militanten gesperrten Straßen zwischen Aleppo und Hama und zwischen Aleppo und Latakia geräumt werden.

Friedlich geht es allerdings dennoch nicht wirklich zu. Es finden am Rand der 15-20 km breiten Pufferzone um Idlib weiter Kämpfe und Bombardierungen und im Inneren Kämpfe zwischen den militanten Gruppen und Anschläge auf Führungspersonen statt, allerdings keine Luftangriffe mehr. Der Plan sah allerdings vor, dass die Türkei, die für die Abriegelung des Gebiets zuständig ist, bis 15. Oktober dafür sorgt, dass sich die "Terroristen und Radikalen" sich aus der Pufferzone zurückgezogen haben. Bis dahin sollten auch alle schwere Waffen der syrischen Armee und der so genannten Rebellen abgezogen werden. Und irgendwie sollte Ankara die angeblich moderaten Oppositionskämpfer von den Radikalen trennen, die dann - weiß Allah wohin - abziehen sollten, sofern sie sich nicht ergeben.

Türkei hat die Dschihadisten bislang nicht unter Kontrolle

Viele der in Idlib präsenten Gruppen schlossen sich der neuen, von der Türkei geschaffenen Nationalen Befreiungsfront (NLF) an, HTS, ehemals Jabhat al-Nusra, und andere dschihadistische Gruppen wie Hurras Al Deen oder Jaysh Al Izza wollten sich nicht unterwerfen und weiter kämpfen. Das durchkreuzte die Strategie der Türken, die Radikalen einfach durch Verschmelzung mit der NLF zum Verschwinden zu bringen und sie so steuern zu können, auch wenn sich dadurch ihre Ideologie nicht verändert hat. Schließlich gibt es jetzt nicht mehr die Möglichkeit, die Radikalen woanders anzusiedeln, wie dies im Kampf um Aleppo geschehen ist. Es ist aber schon lange klar gewesen, dass die Türkei keine Probleme hat, mit Dschihadisten, auch dem Islamischen Staat, zusammenzuarbeiten, wenn es den eigenen Interessen dient - und die sind auf eine Zerschlagung der kurdischen Kontrolle in Nordsyrien und einen Einfluss auf die Syrienpolitik angelegt.

Mitte Oktober ist längst vorbei, nach Angaben von AFP besetzen die Radikalen weiterhin 70 Prozent der geplanten Pufferzone, auch die schweren Waffen scheinen nicht abgezogen worden zu sein. Die syrische Regierung kritisierte die Türkei, die ihre Verpflichtungen nicht einhalte, Russland beklagte Provokationen vor allem von HTS und wiederholte Angriffe von der demilitarisierten Zone auf Vorstädte von Aleppo, die syrische Armee berichtete von wiederholten Angriffen aus Idlib auf Stellungen an der Pufferzone in Hama. Russland hatte auch mehrmals berichtet, zuletzt Anfang November, dass die Weißhelme mit HTS einen Giftgasanschlag inszenieren wollen. Unklar ist seitdem, warum Russland sich von der Türkei, die ihre Verpflichtungen offensichtlich nicht umsetzen kann, seitdem auf der Nase herumtanzen lässt (Idlib: Erdogans Spielräume und die Geduld Russlands).

Allerdings wurde Anfang November bei Morek in Idlib, das von HTS kontrolliert wird, ein Übergang in das von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiet eröffnet, um Warentransport und den Übergang von Zivilisten zu ermöglichen. So sollen bereits Dutzende von Bussen mit Zivilisten die Möglichkeit genutzt haben, meist soll es sich um ältere Menschen aus Idlib handeln, die Verwandte besuchen oder in Krankenhäuser gehen, aber auch um Studenten, die wieder an die Uni gehen. Die syrische Grenzpolizei und die russische Militärpolizei würden aber hohe Auflagen für Händler machen, die Waren nach Idlib bringen. Pro Lastwagen soll der "Zoll" bis zu 200 US-Dollar betragen, HTS soll 100 US-Dollar verlangen. Es gibt also durchaus Verhandlungen zwischen den Dschihadisten in Idlib und Damaskus sowie Moskau.

Kämpfe nehem zu

Während die syrische Armee von Angriffe aus Idlib berichtet, sagt HTS dasselbe von der syrischen Armee. Beide Seiten werfen sich Verletzungen des Waffenstillstands vor. Die Weißhelme veröffentlichten ein Bild von einem angeblich durch Artilleriebeschuss von Babuline getöteten Kind, zudem seien eine Frau und ein Mädchen verletzt worden (getötete Männer oder gar Kämpfer gibt es auffälligerweise bei dden Weißhelmen nicht). Ein im Oktober eingerichteter Twitter-Account Noor And Alaa mit zwei kleinen Mädchen dient ziemlich offensichtlich Propagandazwecken der Rebellen.

‏Nachdem vergangenen Samstag HTS-Kämpfer letzten Samstag mehrere syrische Soldaten getötet haben, zuvor waren syrische Soldaten nach einem Angriff von Jaish al-Izza in die Pufferzone vorgerückt und hatten über 20 von deren Kämpfern getötet, fürchten die Dschihadisten angeblich nun eine syrische Offensive und sollen ihre Kämpfer mobilisiert haben. Stellungen von Jaish al-Izza wurden auch gestern von der syrischen Armee beschossen.

Wie lange Russland noch die Interessen von Damaskus, Teheran und Ankara ausbalancieren kann, ohne als schwach zu erscheinen, ist fraglich. Teheran hat sich jetzt auch eingemischt und erklärt, auf Wunsch von Damaskus nun Truppen an die Pufferzone zu schicken. Am Donnerstag sagte der Kommandant der Truppen der Islamischen Revolutionsgarde, Mohammad Ali Jafari, man werde dort eine begrenzte Zahl von Friedenstruppen einsetzen. Die Freie Syrische Armee berichtet von mehreren iranische Milizen, die um Idlib Stellung bezogen hätten.

HTS-Sprecher, der die große Vereinigung aller bewaffneten Gruppen propagiert.

Provoziert HTS, um Russland und die Türkei gegeneinander aufzuhetzen?

Gestern meldete RT, dass HTS, also der frühere al-Qaida-Ableger al-Nusra, es angeblich geschafft habe, alle Rebellen unter ein einziges Kommando zu stellen. Das würde, falls es zutreffen sollte, das Gegenteil dessen sein, was das Abkommen bezweckte. RT verlinkt auf ein Video von OGN TV (On the Ground News)O, das am Mittwoch ein Interview mit einem angeblichen HTS-Sprecher veröffentlicht hat, der diese Ankündigung machte und den Zusammenschluss mit einem drohenden Angriff der syrischen Armee begründete. Alle Gruppen, ohne Ausnahme, hätten sich angeschlossen. Überdies sagte er, HTS habe das Abkommen nur benutzt, um sich auf einen Konflikt vorzubereiten.

Sprecher von Sprecher von Jaysh al-Izza

In einem Interview mit einem Sprecher von Jaysh al-Izza von gestern ist allerdings von einem solchen Zusammenschluss nicht die Rede. Dieser meinte, dass der Iran versuche, das Abkommen zu untergraben. Aus einer anderen, Damaskus unterstützende Quelle wird mit der Veröffentlichung von Fotos behauptet, einstige HTS-Kämpfer hätten sich als Weißhelme ausgegeben.

Ob die Unruhe bedeutet, dass eine Offensive der syrischen Armee mit schiitischen Milizen und eventuell russischen Soldaten tatsächlich droht, lässt sich schwer sagen. Moskau scheint auf jeden Fall vorzubauen. Russische Staatsmedien verweisen auf die katastrophale humanitäre Situation in dem Flüchtlingslager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze mitten in der Wüste, in dem sich seit längerem auch islamistische Kämpfer angesiedelt haben. Sie schützen sich in der Masse der 50.000 syrischen Flüchtlinge, die nicht wissen, wohin sie können, da Jordanien die Grenze geschlossen hat.

Hier sollen sich auch IS-Kämpfer aufhalten, Sputniknews nennt die Gruppe Maghawir Al-Thawra, 6000 Kämpfer dieser Gruppe sollen sich dort aufhalten. Kämpfer dieser Gruppe sollen früher von der CIA in Jordanien trainiert und ausgerüstet worden sein. Die Gruppe sagt, sie sei Partner der internationalen Koalition und der Amerikaner und würde die vom US-Militär beanspruchte Sicherheitszone schützen.

Camp Rubkan. Bild: WHO

Yury Tarasov vom russischen Verteidigungsministerium, zuständig für Verhandlungen in Genf über Waffenstillstand und humanitäre Themen, sagt, die Verantwortung für die Situation hätten die USA, da sie "das Territorium illegal besetzen und die humanitären Probleme des Flüchtlingslagers benützen, um ihre militärische Präsenz in Südsyrien zu rechtfertigen". Dabei geht es um Al-Tanf, wo die USA einen militärischen Stützpunkt und eine ausgedehnte Sicherheitszone eingerichtet haben, innerhalb derer das Flüchtlingslager liegt.

Maghawir Al-Thawra "schützt" den UN-Konvoi

OCHA hat die vergangenen Tage mit einem Konvoi erstmals seit Januar wieder Lebensmittel und Hilfsgüter in das Camp gebracht. Die Zahntausende seien dort gefangen, heißt es, die Situation der Menschen sei schlimm und inakzeptabel. Maghawir Al-Thawra behauptet, den OCHA-Konvoi "gesichert" zu haben.

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