Das Einsteinchen

Minecraft ist das Lego der digitalen Revolution. Es ist die Demokratisierung des Modellbaus – und seine Radikalisierung.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Wie verhindert man, dass die Leute sich langweilen, wenn wieder mal eines der menschgemachten Riesenprobleme des Planeten zur Sprache kommt, sagen wir: der Klimawandel? Man verbindet das Ganze mit etwas, das einen gleichartig fetten Wow-Effekt auslöst und den Zuschauer in einen Zustand des heftigen Hinundhergerissenseins versetzt – eine Welt aus Minecraft-Steinchen, so detailtief erschaffen, wie es einer allein nie könnte.

Ilja Andrich ist Dirigent eines solchen deutschen Minecraft-Bauteams mit Namen PixelBiester UG (was nicht für User Group steht, sondern nüchtern für Unternehmergesellschaft, die deutsche Rechtsform einer Kapitalgesellschaft). Zahllose Webvideos sind heute Triumphe einer Community.

Darf man das? Eine so ernste Sache wie den Klimawandel einbetten in stimmungsvolle, nachtleuchtende Meisterwerke virtuellen Weltenbaus? Man muss das sogar. Nur so kann man ein derartiges Problemkaliber davor bewahren, hinter einem bloßen Herbeten von Schlagzeilen zu verschwinden – und zugleich die verführerische Schönheit verschwendeter fossiler Energie demonstrieren.

2012 gab es rund vier Millionen Videos über Minecraft auf YouTube, Ende 2014 waren unter dem Stichwort bereits mehr als 78 Millionen Clips zu finden. 15% aller YouTube-Inhalte haben mit Games zu tun, auf dem Spitzenplatz: Minecraft.

Minecraft ist das Lego der digitalen Revolution. Es ist die Demokratisierung des Modellbaus – und seine Radikalisierung. Nichts kann nun nicht mehr gebaut werden, die Welt wartet auf ihre Neuerschaffung durch die kybernetischen Klötzchen. Tatsächlich gibt es seit 2012 auch LEGO Minecraft, eine Adaption des Spiels mit analogen Lego-Bausteinen. Der Mindcraft-Baustein ist genial, er ist das Einsteinchen unter den Voxeln.

"Wir bauen eine neue Stadt, sie soll die allerschönste sein", heißt es in einem Kinderlied von Paul Hindemith aus den Dreissigerjahren. "Klimawandel" von Ilja Andrich und seiner virtuellen Baufirma fühlt sich an wie die jüngste Strophe dazu. Denn wo schon etwas Interessantes ist, kann man auch noch seinen eigenen Beitrag hinzufügen, lehrt uns das Netz, es geht ganz einfach und schnell. Es zeigt uns auch, wie YouTube & Co langsam erwachsen werden.

Was die eine vielleicht immer noch als unbeholfen ansieht, ist für den anderen die Rettung vor der Verwechselbarkeit. Vor den Gefahren der Professionalisierung. Um Punkmusiker zu sein reichte es, drei Akkorde zu können. Was aber, wenn man irgendwann unvermeidlich einen vierten Akkord dazulernt? Ist Entwicklung Verrat an den ursprünglichen Idealen? Auch den jungen Bilderschaffenden im Netz bleiben die Wachstumsschmerzen, mit denen Subkulturen in die Regionen erhöhter Aufmerksamkeit aufwachsen, nicht erspart.

(bsc)