Italien führt die von der M5S versprochene Grundsicherung ein

Nach dem Ende des Haushaltsstreits mit der EU sollen die Italiener außerdem in Rente gehen können, wenn ihr Lebensalter und ihre Rentenversicherungszeit addiert mindestens die Zahl Hundert ergibt

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Nach dem Kompromiss im Haushaltsstreit mit der EU (vgl. EU-Kommission akzeptiert etwas kleineres italienisches Haushaltsdefizit) hat die italienische Regierung gestern zwei Wahlversprechen auf den Weg gebracht, die nun dem Parlament zur Genehmigung vorliegen.

Eines davon ist die Einführung einer Grundsicherung, die die M5S versprochen hatte: Sie gewährt ab dem 1. April 2019 geschätzten 5,1 Millionen Italienern, Staatsangehörigen aus EU-Mitgliedsländern und anderen Ausländern, die seit mindestens zehn Jahren legal in Italien leben, Zugang zu maximal 780 Euro Staatshilfe monatlich. Das wird den italienischen Staatshaushalt 2019 voraussichtlich mit sieben und 2020 mit 7,8 Milliarden belasten. Ursprünglich waren dafür im ersten Jahr 17 Milliarden Euro vorgesehen.

Sicherungen gegen Missbrauch

Anspruchsberechtigt sind nicht nur Arbeitslose, sondern auch etwa eine Million Alte sowie Geringverdiener, die damit ihr Einkommen aufstocken können, wenn es unterhalb dieser 780 Euro-Schwelle liegt und ihre Ersparnisse weniger als 6.000 Euro betragen. Dazu zählt auch der Wert teurer Autos und Boote. Haben sie ein Haus oder eine Eigentumswohnung, müssen sie das oder diese zwar nicht verkaufen, bekommen aber 280 Euro weniger, die für die Miete vorgesehen sind. Außer sie haben das Haus oder die Wohnung noch nicht abgezahlt: In diesem Hall können sie die Kreditraten als Quasi-Miete ansetzen.

Ebenfalls vom Bezug ausgeschlossen sind Personen, die drei ihnen angebotene Arbeitsstellen ablehnen. Kündigen sie oder ein Familienmitglied eine Arbeitsstelle selbst, gilt eine zwölfmonatige Sperre, während der die Grundsicherung nicht bezogen werden kann. Gezahlt wird sie maximal 18 Monate lang, danach können Bedürftige aber einen neuen Antrag darauf stellen. Für Familien gelten geringere Grundsicherungssätze als für Alleinstehende: Ein Ehepaar mit einem Kind bekommt maximal 1.080 Euros, eine mit drei Kindern höchstens 1.280.

Weitere Maßnahmen, die Missbrauch begrenzen sollen, sind die Androhung von bis zu sechs Jahren Haft bei Falschangaben und die Verpflichtung zur Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie zu acht Stunden gemeinnütziger Arbeit wöchentlich. Ausgezahlt wird die Grundsicherung über eine Debit-Karte, deren Guthaben verfällt, wenn es bis zum Monatsende nicht aufgebraucht wurde.

Rentenformel "Quota 100"

Während die Grundsicherung ein Wahlversprechen der M5S war, ist die Reform der 2011 auf den Druck Brüssels hin durchgeführten italienischen Rentenreform eines der Lega: Sie setzte durch, dass die Italiener nicht mehr schrittweise bis zum 67. Lebensjahr arbeiten müssen, um ihren Rentenanspruch einzulösen. Stattdessen können sie ab dem 1. April 2019 in Rente gehen, wenn ihr Lebensalter zusammen mit den Jahren, in die sie in die Rentenkasse einzahlen, addiert die Zahl Hundert ergibt oder übersteigt. Ist jemand dann beispielsweise 62 Jahre alt und war 38 Jahre lang rentenversichert, kann er sofort in den Ruhestand gehen. Vorausgesetzt, er arbeitet in der Privatwirtschaft. Arbeitskräfte im Staatsdienst sollen nämlich noch bis August warten müssen, bevor sie die Option in Anspruch nehmen können.

Für diese auf die griffige Formel "Quota 100" gebrachten Reform der Reform hat die italienische Regierung 2019 vier und 2020 gut acht Milliarden Euro vorgesehen. Sie erwartet sich davon eine Million frei werdende Stellen in den nächsten drei Jahren, in die junge Italiener nachrücken und dadurch die enorme Jugendarbeitslosigkeit senken können. Aktuell liegt sie unter den 15- bis 34-Jährigen bei nahezu 20 Prozent. Voraussetzung dafür, dass diese Rechnung aufgeht, ist allerdings, dass die jungen Arbeitslosen auch über entsprechende Ausbildungen und Fähigkeiten verfügen, wie sie die Neurentner hatten.

Berlusconi will ins Europaparlament

Der Lega-Vorsitzende Matteo Salvini und der M5S-Capo Luigi Di Maio meinten beim Vorstellen dieser beiden eingelösten Wahlversprechen, dies sei erst der Anfang, und die Italiener sollten sich auf die nächsten zehn Jahre freuen. Einer, der das wahrscheinlich nicht macht, ist Silvio Berlusconi, der Chef der Oppositionspartei Forza Italia. Einen Tag vor dem 25-jährigen Jubiläum der Gründung dieser zwischenzeitlich um- und dann wieder rückbenannten Partei (vgl. Italien: Die Geschichte wiederholt sich), kündigte er gestern an, für sie in das Europaparlament einziehen zu wollen.

Ob der 82-jährige dreimalige Ministerpräsident, der wegen einer Verurteilung mehrere Jahre lang nicht kandidieren durfte, noch die Zugkraft hat, damit die Umfragewerte seiner Partei zu verbessern, wird sich zeigen. Aktuell liegt sie mit acht Prozent noch einmal deutlich unter den bei der italienischen Parlamentswahl vom März 2018 erreichten 17,98 Prozent, obwohl sie bereits dort 7,58 Prozent eigenbüßt hatte. Dafür hat die Lega, ihr ehemaliger Verbündeter, von 17,34 auf 33 Prozent zugelegt.