Digitale Landwirtschaft: Experten fordern offene Datenplattform und Open Source

Im Agrarbereich müssen marktbeherrschende Konzerne wie Facebook oder Google verhindert werden, waren sich Sachverständige im Bundestag einig.

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LTE auf dem Land

Ein Agrarroboter bei der Arbeit.

(Bild: dpa, Rainer Jensen)

Lesezeit: 5 Min.
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Die Digitalisierung bietet für die Landwirtschaft große Chancen, lautete der Tenor eines Fachgesprächs am Montag im Bundestag. Dortige Prozesse könnten mithilfe von Big Data und Künstlicher Intelligenz (KI) "ressourcenschonender und tiergerechter" gestaltet werden, erklärte Engel Friederike Hessel, Digitalisierungsbeauftragte des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Es bestehe die Chance, "Pflanze und Tier wieder in den Mittelpunkt" zu stellen.

Vor allem Tiere ließen sich besser beobachten anhand ihrer Vitalitätsparameter und Bewegung mit "elektronischen Kuhglocken", ergänzte Hermann Buitkamp vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Betriebe könnten in der Erntezeit ihre Mähdrescher über eine Logistikzentrale ohne Sprechfunk steuern oder kleinere, intelligente Maschinen einsetzen, die über die Cloud koordiniert werden. Geforscht werde auch an neuen Anbausystemen, die umweltfreundlicher und ertragsstabilisierend seien, berichtete Sonoko Bellingrath-Kimura vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF).

"In absehbarer Zukunft werden Algorithmen bessere Handlungsempfehlungen machen als die erfahrensten Landwirte", prophezeite Reiner Brunsch vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB). Diese könnten im Gegensatz zum Menschen "relativ breite Rückkopplungen verarbeiten". Zugleich drohe aber ein "Wissensverlust beim einzelnen Landwirt oder auch kollektiv über die Erzeugung und Zubereitung einer gesunden Nahrung" und damit ein "Verlust der Ernährungssouveränität".

Als Gegenmittel ist eine offene, am Gemeinwohl ausgerichtete Datenplattform für die Agrarwirtschaft unerlässlich, postulierten die Experten einvernehmlich. Brunsch brachte dafür ein Betreiberkonzept ins Spiel, das sich zwar an den Regeln des Marktes orientiere, aber zugleich "in einer Art genossenschaftlichem System" organisiert werde. Die Beteiligten legten dabei fest, welche Informationen eingebracht werden und wie diese genutzt werden können, um in der Gesamtheit einen Mehrwert für alle zu erzeugen. Ein wissenschaftliches Konsortium arbeite derzeit "mit Hochdruck" an einem Konzept, um diesen Bereich mit eigenen Instrumenten "von Datenmonopolen zu emanzipieren".

Walter Haefeker vom Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund (DBIB) bezeichnete es als "wichtigste politische Aufgabe, diese Offenheit herzustellen". Öffentlich verfügbare Daten in Form von Open Data reichten dafür aber nicht aus. Sämtliche staatlichen Forschungsgelder im Bereich der digitalen Landwirtschaft müssten mit Auflage verbunden werden, Open Source und damit öffentliche Güter zu sein.

Je mehr Technologien wie Algorithmen, Datenbestände oder Bilddatenbanken offen verfügbar seien, desto breiter könnten auch kleinere und mittlere Agrarbetriebe Lösungen finden, "die in unsere Region passen", begründete der frühere IT-Manager im Silicon Valley seinen Appell. "Wir brauchen maximalen Wettbewerb." Daraus werde es aber nichts, wenn wenige Konzerne wie Bayer mit Monsanto, BASF oder Syngenta "alles patentiert haben" oder sich weitere gewerbliche Schutzrechte von Universitäten kauften. Nur dank Open Source könne auch die Sicherheit der Systeme einfach nachgewiesen und verhindert werden, dass die Kleinen mit dem Einstieg in Cloud die Großen finanzierten.

Gerade bei Geo-, Wetter- und Satellitendaten sei ein Bestand an öffentlichen Informationen in Form einer digitalen Allmende nötig, stellte auch der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Bernhard Krüsken fest. Die Branche habe dafür einen Verhaltenskodex formuliert. Dieser solle andererseits aber auch sicherstellen, dass produzierte Daten zunächst dem Landwirt gehören, "bei dem sie entstehen". Zugleich war er sich bewusst: Ein echter Gewinn entstehe letztlich erst, wenn derlei Informationen zusammengeführt würden.

Wissenschaftseinrichtungen werkelten bereits am Aufbau einer Agrar-Masterplattform, die Offenheit garantierte, erläuterte Hansjörg Dittus aus dem Vorstand des Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). An Material dafür mangele es nicht: "Wir erreichen mit unseren Satelliten eine hohe zeitliche und räumliche Auflösung." Deutschland könne damit innerhalb von zwei bis drei Tagen mit einer Auflösung bis fünf oder zwanzig Meter erfasst werden. Dies erlaube "Kulturklassifikationen mit 80 bis 90 Prozent Genauigkeit". Es sei möglich, Pflanzenkrankheiten- und Erntevoraussagen zu treffen oder die Bodenfeuchte aufgrund Radarmessungen zu ermitteln.

Auch der Informationsaustausch könne über eine solche Open-Data-Plattform über neue Schnittstellen vereinfacht werden, verdeutlichte der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow. Heute müsse ein Bauer etwa eine Güllefahrt in mindestens vier verschiedene Systeme eingeben, was automatisierbar sei. Aus Deutschland heraus sei bereits die Norm für den ISOBUS für die Kommunikation zwischen Traktoren und unterschiedlichen Geräten gezündet worden. Eine vergleichbare Standardisierung für offen definierte Schnittstellen könnten hiesige Branchenorganisationen nun für die Landwirtschaft 4.0 vorantreiben.

Derzeit gibt es hierzulande allein rund 40 Farm-Managementsysteme zu kaufen, die alle nicht miteinander kompatibel sind. Sämtliche Anbieter versuchten, darüber exklusiv Daten zu gewinnen und Nutzerprofile zu erstellen, warnte Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam vor einer "großflächige Überwachung und Verhaltenssteuerung" durch Algorithmen analog zur Plattformökonomie von Facebook, Google & Co.: "Jeder will den Verkauf von Saatgut, Düngemitteln oder Pestiziden ankurbeln." Sie forderte deshalb mehr Transparenz für die "Blackbox" KI sowie strenge kartellrechtliche Vorgaben für Datenfirmen auch in der Landwirtschaft. (axk)